Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Joseph musterte verwundert den Mann, der mit so wenig Blödigkeit sich fremden Eigenthums bemächtigte und einem Wildfremden dann solch einen nicht gerade unbedeutenden Dienst zumuthete. Da dieser Mann eine Rolle von entschiedener Bedeutung in der Erzählung spielt, welche wir hier dem Leser vortragen, so müssen wir zunächst ein Bild seines Aeußern entwerfen. Seine Gestalt war groß, mager, von feinem Knochenbau; eine hochaufstrebende Stirn, schmale und lange Nase von geringer Biegung, so daß es zu viel gesagt wäre, hätte man sie mit römisch bezeichnet, und darunter ein schöner Mund, den schmal geschnittene Lippen bildeten. Es war ein intelligenter, geistreicher Kopf. Er hatte dunkle Haare und lebhafte braune Augen, starke Brauen und auffallend kleine, schmale Hände und Füße, und überhaupt war an ihm jeder Zoll ein Aristokrat. Während Joseph diese Beobachtungen machte, betrachtete der Fremde seinerseits mit großer Dreistigkeit die beiden Frauen. Mein Herr, sagte der Freiherr von Windschrot -- der letzte Mann, der sich etwas bieten ließ, oder für nichts und wieder nichts sich im Dienste Anderer in Kosten setzte -- ich begreife nicht ganz, was Sie mir zumuthen und was ich mit der Entwendung dieses Kahns zu schaffen habe. Ich bin der Freiherr von Windschrot, Herr dieser Baronie. Der zweite Fremde, kleiner, stärker, aber eben so Joseph musterte verwundert den Mann, der mit so wenig Blödigkeit sich fremden Eigenthums bemächtigte und einem Wildfremden dann solch einen nicht gerade unbedeutenden Dienst zumuthete. Da dieser Mann eine Rolle von entschiedener Bedeutung in der Erzählung spielt, welche wir hier dem Leser vortragen, so müssen wir zunächst ein Bild seines Aeußern entwerfen. Seine Gestalt war groß, mager, von feinem Knochenbau; eine hochaufstrebende Stirn, schmale und lange Nase von geringer Biegung, so daß es zu viel gesagt wäre, hätte man sie mit römisch bezeichnet, und darunter ein schöner Mund, den schmal geschnittene Lippen bildeten. Es war ein intelligenter, geistreicher Kopf. Er hatte dunkle Haare und lebhafte braune Augen, starke Brauen und auffallend kleine, schmale Hände und Füße, und überhaupt war an ihm jeder Zoll ein Aristokrat. Während Joseph diese Beobachtungen machte, betrachtete der Fremde seinerseits mit großer Dreistigkeit die beiden Frauen. Mein Herr, sagte der Freiherr von Windschrot — der letzte Mann, der sich etwas bieten ließ, oder für nichts und wieder nichts sich im Dienste Anderer in Kosten setzte — ich begreife nicht ganz, was Sie mir zumuthen und was ich mit der Entwendung dieses Kahns zu schaffen habe. Ich bin der Freiherr von Windschrot, Herr dieser Baronie. Der zweite Fremde, kleiner, stärker, aber eben so <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <pb facs="#f0066"/> <p>Joseph musterte verwundert den Mann, der mit so wenig Blödigkeit sich fremden Eigenthums bemächtigte und einem Wildfremden dann solch einen nicht gerade unbedeutenden Dienst zumuthete. Da dieser Mann eine Rolle von entschiedener Bedeutung in der Erzählung spielt, welche wir hier dem Leser vortragen, so müssen wir zunächst ein Bild seines Aeußern entwerfen. Seine Gestalt war groß, mager, von feinem Knochenbau; eine hochaufstrebende Stirn, schmale und lange Nase von geringer Biegung, so daß es zu viel gesagt wäre, hätte man sie mit römisch bezeichnet, und darunter ein schöner Mund, den schmal geschnittene Lippen bildeten. Es war ein intelligenter, geistreicher Kopf. Er hatte dunkle Haare und lebhafte braune Augen, starke Brauen und auffallend kleine, schmale Hände und Füße, und überhaupt war an ihm jeder Zoll ein Aristokrat.</p><lb/> <p>Während Joseph diese Beobachtungen machte, betrachtete der Fremde seinerseits mit großer Dreistigkeit die beiden Frauen.</p><lb/> <p>Mein Herr, sagte der Freiherr von Windschrot — der letzte Mann, der sich etwas bieten ließ, oder für nichts und wieder nichts sich im Dienste Anderer in Kosten setzte — ich begreife nicht ganz, was Sie mir zumuthen und was ich mit der Entwendung dieses Kahns zu schaffen habe. Ich bin der Freiherr von Windschrot, Herr dieser Baronie.</p><lb/> <p>Der zweite Fremde, kleiner, stärker, aber eben so<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0066]
Joseph musterte verwundert den Mann, der mit so wenig Blödigkeit sich fremden Eigenthums bemächtigte und einem Wildfremden dann solch einen nicht gerade unbedeutenden Dienst zumuthete. Da dieser Mann eine Rolle von entschiedener Bedeutung in der Erzählung spielt, welche wir hier dem Leser vortragen, so müssen wir zunächst ein Bild seines Aeußern entwerfen. Seine Gestalt war groß, mager, von feinem Knochenbau; eine hochaufstrebende Stirn, schmale und lange Nase von geringer Biegung, so daß es zu viel gesagt wäre, hätte man sie mit römisch bezeichnet, und darunter ein schöner Mund, den schmal geschnittene Lippen bildeten. Es war ein intelligenter, geistreicher Kopf. Er hatte dunkle Haare und lebhafte braune Augen, starke Brauen und auffallend kleine, schmale Hände und Füße, und überhaupt war an ihm jeder Zoll ein Aristokrat.
Während Joseph diese Beobachtungen machte, betrachtete der Fremde seinerseits mit großer Dreistigkeit die beiden Frauen.
Mein Herr, sagte der Freiherr von Windschrot — der letzte Mann, der sich etwas bieten ließ, oder für nichts und wieder nichts sich im Dienste Anderer in Kosten setzte — ich begreife nicht ganz, was Sie mir zumuthen und was ich mit der Entwendung dieses Kahns zu schaffen habe. Ich bin der Freiherr von Windschrot, Herr dieser Baronie.
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Zitationshilfe: | Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/66>, abgerufen am 16.02.2025. |