Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.über den morgigen Tag eigentlich keine Silbe gesagt, die er nicht schon früher gewußt, und daß man die ganze Zeit damit zugebracht, über die Familien der benachbarten Edelleute und besonders über die Verhältnisse der Windschrots mit ihm zu plaudern. Sonderbare Leute, diese Franzosen, sagte der Alte kopfschüttelnd. Wenn sie nur plaudern können, sind sie selig! So unnütz die Zeit zu verschwenden! und ich habe alle Hände voll! Wir haben Joseph verlassen, wie er mit seinen Begleiterinnen seinem väterlichen Dache zueilt. Er machte im Uebermaß seiner freudigen Aufregung riesenlange Schritte. Leonore und Christine konnten ihm kaum folgen. Als sie auf dem Hofe angekommen waren, sagte Leonore: Geh nur hinein, lieber Joseph; ich will sogleich den Verwalter bitten, daß er den Kahn hinaufsendet. Erlaube, Leonore, dafür sorge ich selbst, versetzte Joseph eifrig und eilte auf die Wohnung des Verwalters zu. Seine Schwester folgte ihm. Der Verwalter stand an der Hausthüre. Joseph gab ihm seine Befehle, der Verwalter nickte bloß und sah dabei vertraulich lächelnd Leonoren an. Es hieße an der Wahrheit sündigen, wenn man ver- über den morgigen Tag eigentlich keine Silbe gesagt, die er nicht schon früher gewußt, und daß man die ganze Zeit damit zugebracht, über die Familien der benachbarten Edelleute und besonders über die Verhältnisse der Windschrots mit ihm zu plaudern. Sonderbare Leute, diese Franzosen, sagte der Alte kopfschüttelnd. Wenn sie nur plaudern können, sind sie selig! So unnütz die Zeit zu verschwenden! und ich habe alle Hände voll! Wir haben Joseph verlassen, wie er mit seinen Begleiterinnen seinem väterlichen Dache zueilt. Er machte im Uebermaß seiner freudigen Aufregung riesenlange Schritte. Leonore und Christine konnten ihm kaum folgen. Als sie auf dem Hofe angekommen waren, sagte Leonore: Geh nur hinein, lieber Joseph; ich will sogleich den Verwalter bitten, daß er den Kahn hinaufsendet. Erlaube, Leonore, dafür sorge ich selbst, versetzte Joseph eifrig und eilte auf die Wohnung des Verwalters zu. Seine Schwester folgte ihm. Der Verwalter stand an der Hausthüre. Joseph gab ihm seine Befehle, der Verwalter nickte bloß und sah dabei vertraulich lächelnd Leonoren an. Es hieße an der Wahrheit sündigen, wenn man ver- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0073"/> über den morgigen Tag eigentlich keine Silbe gesagt, die er nicht schon früher gewußt, und daß man die ganze Zeit damit zugebracht, über die Familien der benachbarten Edelleute und besonders über die Verhältnisse der Windschrots mit ihm zu plaudern.</p><lb/> <p>Sonderbare Leute, diese Franzosen, sagte der Alte kopfschüttelnd. Wenn sie nur plaudern können, sind sie selig! So unnütz die Zeit zu verschwenden! und ich habe alle Hände voll!</p><lb/> <p>Wir haben Joseph verlassen, wie er mit seinen Begleiterinnen seinem väterlichen Dache zueilt. Er machte im Uebermaß seiner freudigen Aufregung riesenlange Schritte.</p><lb/> <p>Leonore und Christine konnten ihm kaum folgen. Als sie auf dem Hofe angekommen waren, sagte Leonore:</p><lb/> <p>Geh nur hinein, lieber Joseph; ich will sogleich den Verwalter bitten, daß er den Kahn hinaufsendet.</p><lb/> <p>Erlaube, Leonore, dafür sorge ich selbst, versetzte Joseph eifrig und eilte auf die Wohnung des Verwalters zu. Seine Schwester folgte ihm. Der Verwalter stand an der Hausthüre. Joseph gab ihm seine Befehle, der Verwalter nickte bloß und sah dabei vertraulich lächelnd Leonoren an.</p><lb/> <p>Es hieße an der Wahrheit sündigen, wenn man ver-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0073]
über den morgigen Tag eigentlich keine Silbe gesagt, die er nicht schon früher gewußt, und daß man die ganze Zeit damit zugebracht, über die Familien der benachbarten Edelleute und besonders über die Verhältnisse der Windschrots mit ihm zu plaudern.
Sonderbare Leute, diese Franzosen, sagte der Alte kopfschüttelnd. Wenn sie nur plaudern können, sind sie selig! So unnütz die Zeit zu verschwenden! und ich habe alle Hände voll!
Wir haben Joseph verlassen, wie er mit seinen Begleiterinnen seinem väterlichen Dache zueilt. Er machte im Uebermaß seiner freudigen Aufregung riesenlange Schritte.
Leonore und Christine konnten ihm kaum folgen. Als sie auf dem Hofe angekommen waren, sagte Leonore:
Geh nur hinein, lieber Joseph; ich will sogleich den Verwalter bitten, daß er den Kahn hinaufsendet.
Erlaube, Leonore, dafür sorge ich selbst, versetzte Joseph eifrig und eilte auf die Wohnung des Verwalters zu. Seine Schwester folgte ihm. Der Verwalter stand an der Hausthüre. Joseph gab ihm seine Befehle, der Verwalter nickte bloß und sah dabei vertraulich lächelnd Leonoren an.
Es hieße an der Wahrheit sündigen, wenn man ver-
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Zitationshilfe: | Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/73>, abgerufen am 16.02.2025. |