Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.genblick kann mein Bruder kommen; es ist unmöglich, Hoheit! Was ist unmöglich einer Schönheit, wie die Ihrige, Mademoiselle! -- Ihr Bruder weiß Sie gut aufgehoben -- er wird warten, wenn er kommt! Der Graf hatte ihren Arm gefaßt und hob sie in den Wagen. Nach ihr half er Frau von Breteuil hinein, setzte sich zu ihnen, und der Wagen rollte davon. Das Ziel der Spazierfahrt sollte eine Ruine am andern Ufer der Mosel sein. Nachdem man etwa eine Stunde gefahren, verließ man die Wagen, um sich in einem Nachen über den Fluß setzen zu lassen und die übrige Strecke des Weges zu Fuß zu machen. Leonore athmete froh auf, als sie den Wagen verlassen konnte. Während der ganzen Fahrt hatte Frau von Breteuil geschlafen, oder sich schlafend gestellt, und Artois war Leonoren während des Tete-a-Tete, das daraus folgte, immer unheimlicher geworden. Er war ihr immer näher gerückt, er hatte nicht aufgehört, ihr die übertriebensten Schmeicheleien zu sagen, und in seinem ganzen Wesen einen spöttischen Uebermuth verrathen, eine sieggewöhnte Unverschämtheit, die Leonoren empörte und der sie doch weder recht zu antworten, noch sich zu entziehen vermochte -- so sehr imponirte ihr noch immer der Rang und der Name des Mannes, der sie demüthigte. Auch während man den Pfad zu der Burgruine hinanstieg, war er fortwährend an ihrer Seite. In genblick kann mein Bruder kommen; es ist unmöglich, Hoheit! Was ist unmöglich einer Schönheit, wie die Ihrige, Mademoiselle! — Ihr Bruder weiß Sie gut aufgehoben — er wird warten, wenn er kommt! Der Graf hatte ihren Arm gefaßt und hob sie in den Wagen. Nach ihr half er Frau von Breteuil hinein, setzte sich zu ihnen, und der Wagen rollte davon. Das Ziel der Spazierfahrt sollte eine Ruine am andern Ufer der Mosel sein. Nachdem man etwa eine Stunde gefahren, verließ man die Wagen, um sich in einem Nachen über den Fluß setzen zu lassen und die übrige Strecke des Weges zu Fuß zu machen. Leonore athmete froh auf, als sie den Wagen verlassen konnte. Während der ganzen Fahrt hatte Frau von Breteuil geschlafen, oder sich schlafend gestellt, und Artois war Leonoren während des Tête-a-Tête, das daraus folgte, immer unheimlicher geworden. Er war ihr immer näher gerückt, er hatte nicht aufgehört, ihr die übertriebensten Schmeicheleien zu sagen, und in seinem ganzen Wesen einen spöttischen Uebermuth verrathen, eine sieggewöhnte Unverschämtheit, die Leonoren empörte und der sie doch weder recht zu antworten, noch sich zu entziehen vermochte — so sehr imponirte ihr noch immer der Rang und der Name des Mannes, der sie demüthigte. Auch während man den Pfad zu der Burgruine hinanstieg, war er fortwährend an ihrer Seite. In <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="7"> <p><pb facs="#f0096"/> genblick kann mein Bruder kommen; es ist unmöglich, Hoheit!</p><lb/> <p>Was ist unmöglich einer Schönheit, wie die Ihrige, Mademoiselle! — Ihr Bruder weiß Sie gut aufgehoben — er wird warten, wenn er kommt!</p><lb/> <p>Der Graf hatte ihren Arm gefaßt und hob sie in den Wagen. Nach ihr half er Frau von Breteuil hinein, setzte sich zu ihnen, und der Wagen rollte davon.</p><lb/> <p>Das Ziel der Spazierfahrt sollte eine Ruine am andern Ufer der Mosel sein. Nachdem man etwa eine Stunde gefahren, verließ man die Wagen, um sich in einem Nachen über den Fluß setzen zu lassen und die übrige Strecke des Weges zu Fuß zu machen. Leonore athmete froh auf, als sie den Wagen verlassen konnte. Während der ganzen Fahrt hatte Frau von Breteuil geschlafen, oder sich schlafend gestellt, und Artois war Leonoren während des Tête-a-Tête, das daraus folgte, immer unheimlicher geworden. Er war ihr immer näher gerückt, er hatte nicht aufgehört, ihr die übertriebensten Schmeicheleien zu sagen, und in seinem ganzen Wesen einen spöttischen Uebermuth verrathen, eine sieggewöhnte Unverschämtheit, die Leonoren empörte und der sie doch weder recht zu antworten, noch sich zu entziehen vermochte — so sehr imponirte ihr noch immer der Rang und der Name des Mannes, der sie demüthigte.</p><lb/> <p>Auch während man den Pfad zu der Burgruine hinanstieg, war er fortwährend an ihrer Seite. In<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0096]
genblick kann mein Bruder kommen; es ist unmöglich, Hoheit!
Was ist unmöglich einer Schönheit, wie die Ihrige, Mademoiselle! — Ihr Bruder weiß Sie gut aufgehoben — er wird warten, wenn er kommt!
Der Graf hatte ihren Arm gefaßt und hob sie in den Wagen. Nach ihr half er Frau von Breteuil hinein, setzte sich zu ihnen, und der Wagen rollte davon.
Das Ziel der Spazierfahrt sollte eine Ruine am andern Ufer der Mosel sein. Nachdem man etwa eine Stunde gefahren, verließ man die Wagen, um sich in einem Nachen über den Fluß setzen zu lassen und die übrige Strecke des Weges zu Fuß zu machen. Leonore athmete froh auf, als sie den Wagen verlassen konnte. Während der ganzen Fahrt hatte Frau von Breteuil geschlafen, oder sich schlafend gestellt, und Artois war Leonoren während des Tête-a-Tête, das daraus folgte, immer unheimlicher geworden. Er war ihr immer näher gerückt, er hatte nicht aufgehört, ihr die übertriebensten Schmeicheleien zu sagen, und in seinem ganzen Wesen einen spöttischen Uebermuth verrathen, eine sieggewöhnte Unverschämtheit, die Leonoren empörte und der sie doch weder recht zu antworten, noch sich zu entziehen vermochte — so sehr imponirte ihr noch immer der Rang und der Name des Mannes, der sie demüthigte.
Auch während man den Pfad zu der Burgruine hinanstieg, war er fortwährend an ihrer Seite. In
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Zitationshilfe: | Schücking, Levin: Die Schwester. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 169–291. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schuecking_schwester_1910/96>, abgerufen am 16.02.2025. |