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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, [H. 3]. Berlin, 1795.

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ein kleines körperliches Gebrechen mehr, als
ein Fehler des Herzens.

Die Mädchen bekommen ordentliche Hof-
meisterinnen, sobald sie zu reden anfangen.
Diese, die höchst selten andere, als Französin-
nen sind, fangen sogleich an, Körper und
Sprachorgane, und nachher Verstand und
Grundsätze, nach französischer Sitte zu bilden.
An der Mutter haben sie gewöhnlich das Vor-
bild ihrer pädagogischen Arbeiten und, indem
sie die Kopie dem Original ganz ähnlich zu
machen suchen, erwecken sie die Freygebigkeit
der Originale für sich, als Künstlerinnen, und
deren Liebe zu den Töchtern, als ihren Ko-
pieen.

Damit aber diese ihre kleinen Vorzüge und
Vollkommenheiten nicht in dem Schooße der
Familie vergraben halten; damit sie die Kunst,
unter fremden Augen ohne Schüchternheit zu
erscheinen und zu glänzen, so bald als mög-
lich, lernen mögen: so giebt man von Zeit zu
Zeit Bälle, zu denen alles, was in dem gan-

ein kleines koͤrperliches Gebrechen mehr, als
ein Fehler des Herzens.

Die Maͤdchen bekommen ordentliche Hof-
meiſterinnen, ſobald ſie zu reden anfangen.
Dieſe, die hoͤchſt ſelten andere, als Franzoͤſin-
nen ſind, fangen ſogleich an, Koͤrper und
Sprachorgane, und nachher Verſtand und
Grundſaͤtze, nach franzoͤſiſcher Sitte zu bilden.
An der Mutter haben ſie gewoͤhnlich das Vor-
bild ihrer paͤdagogiſchen Arbeiten und, indem
ſie die Kopie dem Original ganz aͤhnlich zu
machen ſuchen, erwecken ſie die Freygebigkeit
der Originale fuͤr ſich, als Kuͤnſtlerinnen, und
deren Liebe zu den Toͤchtern, als ihren Ko-
pieen.

Damit aber dieſe ihre kleinen Vorzuͤge und
Vollkommenheiten nicht in dem Schooße der
Familie vergraben halten; damit ſie die Kunſt,
unter fremden Augen ohne Schuͤchternheit zu
erſcheinen und zu glaͤnzen, ſo bald als moͤg-
lich, lernen moͤgen: ſo giebt man von Zeit zu
Zeit Baͤlle, zu denen alles, was in dem gan-

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[212/0222] ein kleines koͤrperliches Gebrechen mehr, als ein Fehler des Herzens. Die Maͤdchen bekommen ordentliche Hof- meiſterinnen, ſobald ſie zu reden anfangen. Dieſe, die hoͤchſt ſelten andere, als Franzoͤſin- nen ſind, fangen ſogleich an, Koͤrper und Sprachorgane, und nachher Verſtand und Grundſaͤtze, nach franzoͤſiſcher Sitte zu bilden. An der Mutter haben ſie gewoͤhnlich das Vor- bild ihrer paͤdagogiſchen Arbeiten und, indem ſie die Kopie dem Original ganz aͤhnlich zu machen ſuchen, erwecken ſie die Freygebigkeit der Originale fuͤr ſich, als Kuͤnſtlerinnen, und deren Liebe zu den Toͤchtern, als ihren Ko- pieen. Damit aber dieſe ihre kleinen Vorzuͤge und Vollkommenheiten nicht in dem Schooße der Familie vergraben halten; damit ſie die Kunſt, unter fremden Augen ohne Schuͤchternheit zu erſcheinen und zu glaͤnzen, ſo bald als moͤg- lich, lernen moͤgen: ſo giebt man von Zeit zu Zeit Baͤlle, zu denen alles, was in dem gan-

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, [H. 3]. Berlin, 1795, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0201_1795/222>, abgerufen am 26.11.2024.