Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, [H. 3]. Berlin, 1795.Wien feinere und gebildetere Leute die Hetze Wien feinere und gebildetere Leute die Hetze <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0049" n="39"/> Wien feinere und gebildetere Leute die Hetze<lb/> beſuchen und ſich bey dieſem rohen, und, trotz<lb/> aller Grauſamkeit, erbaͤrmlichen Schauſpiele<lb/> zu Stunden verweilen koͤnnen. Es iſt in der<lb/> That ungerecht, daraus zu folgern, es fehle<lb/> dieſen Klaſſen in beyden Staͤdten ſo ſehr an<lb/> Geſchmack und Gefuͤhl, daß ſie wirklich Ge-<lb/> fallen an dieſen blutigen Raufereyen faͤnden,<lb/> und mir daͤucht, die wohlwollenden Maͤnner,<lb/> die ſich beſonders uͤber die Wiener Hetze ſo<lb/> nachdruͤcklich erklaͤrt haben, ſind bey ihren<lb/> Schluͤſſen zu uͤbereilt geweſen. Es ſcheint frey-<lb/> lich in dem menſchlichen Herzen an ſich ſchon<lb/> ein Hang zu liegen, Kaͤmpfe auf Tod und Le-<lb/> ben, ſo wie Hinrichtungen und Beſtrafungen,<lb/> gern anzuſehen; aber bey einer genauern Un-<lb/> terſuchung wuͤrde man, meyne ich, finden, daß<lb/> Neugier, Nachahmungsſucht, Hang ſich zu<lb/> zeigen, oder Leute zu ſehen, und hundert andre<lb/> geſellſchaftliche Antriebe wenigſtens zur Haͤlfte<lb/> dazu beytragen, daß bey ſolchen Gelegenhei-<lb/> ten die Fenſter und Geruͤſte von Perſonen je-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [39/0049]
Wien feinere und gebildetere Leute die Hetze
beſuchen und ſich bey dieſem rohen, und, trotz
aller Grauſamkeit, erbaͤrmlichen Schauſpiele
zu Stunden verweilen koͤnnen. Es iſt in der
That ungerecht, daraus zu folgern, es fehle
dieſen Klaſſen in beyden Staͤdten ſo ſehr an
Geſchmack und Gefuͤhl, daß ſie wirklich Ge-
fallen an dieſen blutigen Raufereyen faͤnden,
und mir daͤucht, die wohlwollenden Maͤnner,
die ſich beſonders uͤber die Wiener Hetze ſo
nachdruͤcklich erklaͤrt haben, ſind bey ihren
Schluͤſſen zu uͤbereilt geweſen. Es ſcheint frey-
lich in dem menſchlichen Herzen an ſich ſchon
ein Hang zu liegen, Kaͤmpfe auf Tod und Le-
ben, ſo wie Hinrichtungen und Beſtrafungen,
gern anzuſehen; aber bey einer genauern Un-
terſuchung wuͤrde man, meyne ich, finden, daß
Neugier, Nachahmungsſucht, Hang ſich zu
zeigen, oder Leute zu ſehen, und hundert andre
geſellſchaftliche Antriebe wenigſtens zur Haͤlfte
dazu beytragen, daß bey ſolchen Gelegenhei-
ten die Fenſter und Geruͤſte von Perſonen je-
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