Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, H. 4. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

so fern ganz unbestimmt erwähnte, als er ih-
nen freye Religionsübung, aber nichts weiter,
zusicherte.

Wie die Dissidenten noch bis jetzt den Wi-
derwillen der Katholischen tragen müssen, eben
so leiden sie noch unter ihrer Verachtung; denn,
anstatt friedlich unter einander selbst zu leben,
was der erste Grundsatz einer gedrückten Ge-
sellschaft seyn sollte, haben sie allen erdenkli-
chen Uneinigkeiten, die so kleinlich, so ärger-
lich sind, Thür und Thor geöffnet. Seit dem
Jahre 1768, wo sie wiederum ein politisches
Daseyn bekamen, waren Gemeinen gegen
Gemeinen, und in diesen die bürgerlichen Mit-
glieder gegen die Adelichen, die adelichen Vor-
steher gegen die bürgerlichen, in einer bestän-
digen, höchst erbitterten Fehde begriffen. Die
Grundsätze der politischen Verfassung, die eine
Aristokratie begründen, wurden von dem dis-
sidentischen Adel auf die kirchliche Verfassung
angewandt, und er suchte eine kirchliche Ari-
stokratie durchzusetzen. Er maßte sich die Ge-

ſo fern ganz unbeſtimmt erwaͤhnte, als er ih-
nen freye Religionsuͤbung, aber nichts weiter,
zuſicherte.

Wie die Diſſidenten noch bis jetzt den Wi-
derwillen der Katholiſchen tragen muͤſſen, eben
ſo leiden ſie noch unter ihrer Verachtung; denn,
anſtatt friedlich unter einander ſelbſt zu leben,
was der erſte Grundſatz einer gedruͤckten Ge-
ſellſchaft ſeyn ſollte, haben ſie allen erdenkli-
chen Uneinigkeiten, die ſo kleinlich, ſo aͤrger-
lich ſind, Thuͤr und Thor geoͤffnet. Seit dem
Jahre 1768, wo ſie wiederum ein politiſches
Daſeyn bekamen, waren Gemeinen gegen
Gemeinen, und in dieſen die buͤrgerlichen Mit-
glieder gegen die Adelichen, die adelichen Vor-
ſteher gegen die buͤrgerlichen, in einer beſtaͤn-
digen, hoͤchſt erbitterten Fehde begriffen. Die
Grundſaͤtze der politiſchen Verfaſſung, die eine
Ariſtokratie begruͤnden, wurden von dem diſ-
ſidentiſchen Adel auf die kirchliche Verfaſſung
angewandt, und er ſuchte eine kirchliche Ari-
ſtokratie durchzuſetzen. Er maßte ſich die Ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0119" n="109"/>
&#x017F;o fern ganz unbe&#x017F;timmt erwa&#x0364;hnte, als er ih-<lb/>
nen freye Religionsu&#x0364;bung, aber nichts weiter,<lb/>
zu&#x017F;icherte.</p><lb/>
        <p>Wie die Di&#x017F;&#x017F;identen noch bis jetzt den Wi-<lb/>
derwillen der Katholi&#x017F;chen tragen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, eben<lb/>
&#x017F;o leiden &#x017F;ie noch unter ihrer Verachtung; denn,<lb/>
an&#x017F;tatt friedlich unter einander &#x017F;elb&#x017F;t zu leben,<lb/>
was der er&#x017F;te Grund&#x017F;atz einer gedru&#x0364;ckten Ge-<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;eyn &#x017F;ollte, haben &#x017F;ie allen erdenkli-<lb/>
chen Uneinigkeiten, die &#x017F;o kleinlich, &#x017F;o a&#x0364;rger-<lb/>
lich &#x017F;ind, Thu&#x0364;r und Thor geo&#x0364;ffnet. Seit dem<lb/>
Jahre 1768, wo &#x017F;ie wiederum ein politi&#x017F;ches<lb/>
Da&#x017F;eyn bekamen, waren Gemeinen gegen<lb/>
Gemeinen, und in die&#x017F;en die bu&#x0364;rgerlichen Mit-<lb/>
glieder gegen die Adelichen, die adelichen Vor-<lb/>
&#x017F;teher gegen die bu&#x0364;rgerlichen, in einer be&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
digen, ho&#x0364;ch&#x017F;t erbitterten Fehde begriffen. Die<lb/>
Grund&#x017F;a&#x0364;tze der politi&#x017F;chen Verfa&#x017F;&#x017F;ung, die eine<lb/>
Ari&#x017F;tokratie begru&#x0364;nden, wurden von dem di&#x017F;-<lb/>
&#x017F;identi&#x017F;chen Adel auf die kirchliche Verfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
angewandt, und er &#x017F;uchte eine kirchliche Ari-<lb/>
&#x017F;tokratie durchzu&#x017F;etzen. Er maßte &#x017F;ich die Ge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[109/0119] ſo fern ganz unbeſtimmt erwaͤhnte, als er ih- nen freye Religionsuͤbung, aber nichts weiter, zuſicherte. Wie die Diſſidenten noch bis jetzt den Wi- derwillen der Katholiſchen tragen muͤſſen, eben ſo leiden ſie noch unter ihrer Verachtung; denn, anſtatt friedlich unter einander ſelbſt zu leben, was der erſte Grundſatz einer gedruͤckten Ge- ſellſchaft ſeyn ſollte, haben ſie allen erdenkli- chen Uneinigkeiten, die ſo kleinlich, ſo aͤrger- lich ſind, Thuͤr und Thor geoͤffnet. Seit dem Jahre 1768, wo ſie wiederum ein politiſches Daſeyn bekamen, waren Gemeinen gegen Gemeinen, und in dieſen die buͤrgerlichen Mit- glieder gegen die Adelichen, die adelichen Vor- ſteher gegen die buͤrgerlichen, in einer beſtaͤn- digen, hoͤchſt erbitterten Fehde begriffen. Die Grundſaͤtze der politiſchen Verfaſſung, die eine Ariſtokratie begruͤnden, wurden von dem diſ- ſidentiſchen Adel auf die kirchliche Verfaſſung angewandt, und er ſuchte eine kirchliche Ari- ſtokratie durchzuſetzen. Er maßte ſich die Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0202_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0202_1795/119
Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, H. 4. Berlin, 1795, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0202_1795/119>, abgerufen am 09.11.2024.