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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, H. 4. Berlin, 1795.

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Spatzierfahrt für die höheren Klassen. Hun-
derte von Wagen findet man in der Gegend
des Klosters aufgefahren, deren Besitzer und
Besitzerinnen selten aussteigen, weil sie das Ge-
dränge der andächtigern Fußgänger scheuen;
steigen sie aber aus, so geschieht es, um Ge-
sellschaften zu bilden, die eine Weile spatzie-
ren und sich sodann zu einem mitgebrachten
Goutee setzen, dessen Anfang, Mittel und
Ende nichts von christlicher Reue, Kasteyung
und Buße verrathen.

Dieser einzelnen Mißbräuche ungeachtet,
muß man doch bekennen, daß die Polen der
höhern Klasse, überhaupt genommen, den äu-
ßern Schein zu bewahren suchen. Sie scher-
zen nicht über ihr Bekenntniß; sie lassen sich
nicht auf Erörterungen darüber ein; sie ma-
chen bey vorkommenden Gelegenheiten die Ge-
bräuche der Kirche mit; sie haben die gebüh-
rende Ehrfurcht für deren Diener; sie lassen
sogar nicht einmal merken, daß sie den Aus-
wurf derselben, die Mönche, verachten; sie

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Spatzierfahrt fuͤr die hoͤheren Klaſſen. Hun-
derte von Wagen findet man in der Gegend
des Kloſters aufgefahren, deren Beſitzer und
Beſitzerinnen ſelten ausſteigen, weil ſie das Ge-
draͤnge der andaͤchtigern Fußgaͤnger ſcheuen;
ſteigen ſie aber aus, ſo geſchieht es, um Ge-
ſellſchaften zu bilden, die eine Weile ſpatzie-
ren und ſich ſodann zu einem mitgebrachten
Goutee ſetzen, deſſen Anfang, Mittel und
Ende nichts von chriſtlicher Reue, Kaſteyung
und Buße verrathen.

Dieſer einzelnen Mißbraͤuche ungeachtet,
muß man doch bekennen, daß die Polen der
hoͤhern Klaſſe, uͤberhaupt genommen, den aͤu-
ßern Schein zu bewahren ſuchen. Sie ſcher-
zen nicht uͤber ihr Bekenntniß; ſie laſſen ſich
nicht auf Eroͤrterungen daruͤber ein; ſie ma-
chen bey vorkommenden Gelegenheiten die Ge-
braͤuche der Kirche mit; ſie haben die gebuͤh-
rende Ehrfurcht fuͤr deren Diener; ſie laſſen
ſogar nicht einmal merken, daß ſie den Aus-
wurf derſelben, die Moͤnche, verachten; ſie

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[83/0093] Spatzierfahrt fuͤr die hoͤheren Klaſſen. Hun- derte von Wagen findet man in der Gegend des Kloſters aufgefahren, deren Beſitzer und Beſitzerinnen ſelten ausſteigen, weil ſie das Ge- draͤnge der andaͤchtigern Fußgaͤnger ſcheuen; ſteigen ſie aber aus, ſo geſchieht es, um Ge- ſellſchaften zu bilden, die eine Weile ſpatzie- ren und ſich ſodann zu einem mitgebrachten Goutee ſetzen, deſſen Anfang, Mittel und Ende nichts von chriſtlicher Reue, Kaſteyung und Buße verrathen. Dieſer einzelnen Mißbraͤuche ungeachtet, muß man doch bekennen, daß die Polen der hoͤhern Klaſſe, uͤberhaupt genommen, den aͤu- ßern Schein zu bewahren ſuchen. Sie ſcher- zen nicht uͤber ihr Bekenntniß; ſie laſſen ſich nicht auf Eroͤrterungen daruͤber ein; ſie ma- chen bey vorkommenden Gelegenheiten die Ge- braͤuche der Kirche mit; ſie haben die gebuͤh- rende Ehrfurcht fuͤr deren Diener; ſie laſſen ſogar nicht einmal merken, daß ſie den Aus- wurf derſelben, die Moͤnche, verachten; ſie F 2

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, H. 4. Berlin, 1795, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0202_1795/93>, abgerufen am 22.12.2024.