Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

aber man hört einseitig, wo einmal Parteyen
sind, man hört nur Leidenschaft, Eigennutz,
Hochmuth und Erbitterung sprechen, und man
kann nur dann jeder Partey ihren Theil von
Recht und Unrecht zusprechen, wenn man
selbst die Verfassung aus ihren Quellen und
aus Erfahrung kennen gelernt hat. Soviel
glaube ich aber im Allgemeinen zur Beurthei-
lung dieser innern Zwistigkeiten sagen zu kön-
nen: das Patriziat handelt nach den Grund-
sätzen einer Aristokratie, die zur Ochlokratie
neigt, verdrängt die übrigen Staatsbürger
von den Hauptgeschäften der Regierung und
von den obern Stellen, und schmälert die
Vorrechte derer, die sie selbst für rathsfähig
anerkennt. Daher Klagen der Patrizier vom
neuern Dato gegen die vom ältern; daher
Beschwerden der niedern patrizischen Beamten
gegen die höhern; daher Unzufriedenheit der
mittlern Bürgerklassen, des Kaufmanns- und
Gelehrten-Standes mit beyden Klasse der

aber man hoͤrt einſeitig, wo einmal Parteyen
ſind, man hoͤrt nur Leidenſchaft, Eigennutz,
Hochmuth und Erbitterung ſprechen, und man
kann nur dann jeder Partey ihren Theil von
Recht und Unrecht zuſprechen, wenn man
ſelbſt die Verfaſſung aus ihren Quellen und
aus Erfahrung kennen gelernt hat. Soviel
glaube ich aber im Allgemeinen zur Beurthei-
lung dieſer innern Zwiſtigkeiten ſagen zu koͤn-
nen: das Patriziat handelt nach den Grund-
ſaͤtzen einer Ariſtokratie, die zur Ochlokratie
neigt, verdraͤngt die uͤbrigen Staatsbuͤrger
von den Hauptgeſchaͤften der Regierung und
von den obern Stellen, und ſchmaͤlert die
Vorrechte derer, die ſie ſelbſt fuͤr rathsfaͤhig
anerkennt. Daher Klagen der Patrizier vom
neuern Dato gegen die vom aͤltern; daher
Beſchwerden der niedern patriziſchen Beamten
gegen die hoͤhern; daher Unzufriedenheit der
mittlern Buͤrgerklaſſen, des Kaufmanns- und
Gelehrten-Standes mit beyden Klaſſe der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <floatingText>
          <body>
            <div n="1">
              <p><pb facs="#f0170" n="162"/>
aber man ho&#x0364;rt ein&#x017F;eitig, wo einmal Parteyen<lb/>
&#x017F;ind, man ho&#x0364;rt nur Leiden&#x017F;chaft, Eigennutz,<lb/>
Hochmuth und Erbitterung &#x017F;prechen, und man<lb/>
kann nur dann jeder Partey ihren Theil von<lb/>
Recht und Unrecht zu&#x017F;prechen, wenn man<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t die Verfa&#x017F;&#x017F;ung aus ihren Quellen und<lb/>
aus Erfahrung kennen gelernt hat. Soviel<lb/>
glaube ich aber im Allgemeinen zur Beurthei-<lb/>
lung die&#x017F;er innern Zwi&#x017F;tigkeiten &#x017F;agen zu ko&#x0364;n-<lb/>
nen: das Patriziat handelt nach den Grund-<lb/>
&#x017F;a&#x0364;tzen einer Ari&#x017F;tokratie, die zur Ochlokratie<lb/>
neigt, verdra&#x0364;ngt die u&#x0364;brigen Staatsbu&#x0364;rger<lb/>
von den Hauptge&#x017F;cha&#x0364;ften der Regierung und<lb/>
von den obern Stellen, und &#x017F;chma&#x0364;lert die<lb/>
Vorrechte derer, die &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t fu&#x0364;r rathsfa&#x0364;hig<lb/>
anerkennt. Daher Klagen der Patrizier vom<lb/>
neuern Dato gegen die vom a&#x0364;ltern; daher<lb/>
Be&#x017F;chwerden der niedern patrizi&#x017F;chen Beamten<lb/>
gegen die ho&#x0364;hern; daher Unzufriedenheit der<lb/>
mittlern Bu&#x0364;rgerkla&#x017F;&#x017F;en, des Kaufmanns- und<lb/>
Gelehrten-Standes mit beyden Kla&#x017F;&#x017F;e der<lb/></p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0170] aber man hoͤrt einſeitig, wo einmal Parteyen ſind, man hoͤrt nur Leidenſchaft, Eigennutz, Hochmuth und Erbitterung ſprechen, und man kann nur dann jeder Partey ihren Theil von Recht und Unrecht zuſprechen, wenn man ſelbſt die Verfaſſung aus ihren Quellen und aus Erfahrung kennen gelernt hat. Soviel glaube ich aber im Allgemeinen zur Beurthei- lung dieſer innern Zwiſtigkeiten ſagen zu koͤn- nen: das Patriziat handelt nach den Grund- ſaͤtzen einer Ariſtokratie, die zur Ochlokratie neigt, verdraͤngt die uͤbrigen Staatsbuͤrger von den Hauptgeſchaͤften der Regierung und von den obern Stellen, und ſchmaͤlert die Vorrechte derer, die ſie ſelbſt fuͤr rathsfaͤhig anerkennt. Daher Klagen der Patrizier vom neuern Dato gegen die vom aͤltern; daher Beſchwerden der niedern patriziſchen Beamten gegen die hoͤhern; daher Unzufriedenheit der mittlern Buͤrgerklaſſen, des Kaufmanns- und Gelehrten-Standes mit beyden Klaſſe der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/170
Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/170>, abgerufen am 11.12.2024.