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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795.

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nicht absprechen. Sie haben in jeder Wissen-
schaft, besonders in den gründlichen, einige
Hauptköpfe besessen, und besitzen sie noch; und
in der Dichtkunst weisen sie Männer auf, die
in die vorderste Reihe der deutschen Dichter
gehören. Indessen sind hier, im Ganzen ge-
nommen, gründlichere Kenntnisse und ein fei-
ner, bestimmter Geschmack immer noch Sel-
tenheiten. Ein Mann von mittelmäßigem Wis-
sen macht in den Kollegien, an hohen Schulen,
vor den Gerichtshöfen, am Krankenbette, auf
der Kanzel etc. hier ungleich größere Figur, als
ein ähnlicher in Berlin, Dresden, Jena,
Leipzig, Hamburg, und in andern nördlich-
deutschen Städten. Ich habe oben den Um-
stand, daß Wien überhaupt verhältnißmäßig
wenig, und noch weniger gute Schriftsteller
hat, der bequemen Lage seiner Gelehrten zu-
geschrieben, und so ist es; jetzt kömmt noch
die große Beschränktheit der Presse dazu; aber
wären diese äußeren Hindernisse auch nicht,
wollten auch diese Gelehrten schreiben, sie wür-

nicht abſprechen. Sie haben in jeder Wiſſen-
ſchaft, beſonders in den gruͤndlichen, einige
Hauptkoͤpfe beſeſſen, und beſitzen ſie noch; und
in der Dichtkunſt weiſen ſie Maͤnner auf, die
in die vorderſte Reihe der deutſchen Dichter
gehoͤren. Indeſſen ſind hier, im Ganzen ge-
nommen, gruͤndlichere Kenntniſſe und ein fei-
ner, beſtimmter Geſchmack immer noch Sel-
tenheiten. Ein Mann von mittelmaͤßigem Wiſ-
ſen macht in den Kollegien, an hohen Schulen,
vor den Gerichtshoͤfen, am Krankenbette, auf
der Kanzel ꝛc. hier ungleich groͤßere Figur, als
ein aͤhnlicher in Berlin, Dresden, Jena,
Leipzig, Hamburg, und in andern noͤrdlich-
deutſchen Staͤdten. Ich habe oben den Um-
ſtand, daß Wien uͤberhaupt verhaͤltnißmaͤßig
wenig, und noch weniger gute Schriftſteller
hat, der bequemen Lage ſeiner Gelehrten zu-
geſchrieben, und ſo iſt es; jetzt koͤmmt noch
die große Beſchraͤnktheit der Preſſe dazu; aber
waͤren dieſe aͤußeren Hinderniſſe auch nicht,
wollten auch dieſe Gelehrten ſchreiben, ſie wuͤr-

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[239/0511] nicht abſprechen. Sie haben in jeder Wiſſen- ſchaft, beſonders in den gruͤndlichen, einige Hauptkoͤpfe beſeſſen, und beſitzen ſie noch; und in der Dichtkunſt weiſen ſie Maͤnner auf, die in die vorderſte Reihe der deutſchen Dichter gehoͤren. Indeſſen ſind hier, im Ganzen ge- nommen, gruͤndlichere Kenntniſſe und ein fei- ner, beſtimmter Geſchmack immer noch Sel- tenheiten. Ein Mann von mittelmaͤßigem Wiſ- ſen macht in den Kollegien, an hohen Schulen, vor den Gerichtshoͤfen, am Krankenbette, auf der Kanzel ꝛc. hier ungleich groͤßere Figur, als ein aͤhnlicher in Berlin, Dresden, Jena, Leipzig, Hamburg, und in andern noͤrdlich- deutſchen Staͤdten. Ich habe oben den Um- ſtand, daß Wien uͤberhaupt verhaͤltnißmaͤßig wenig, und noch weniger gute Schriftſteller hat, der bequemen Lage ſeiner Gelehrten zu- geſchrieben, und ſo iſt es; jetzt koͤmmt noch die große Beſchraͤnktheit der Preſſe dazu; aber waͤren dieſe aͤußeren Hinderniſſe auch nicht, wollten auch dieſe Gelehrten ſchreiben, ſie wuͤr-

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/511>, abgerufen am 22.11.2024.