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Schulze, Wilhelm: Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. Berlin, 1911.

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Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. 19


lexikalischen Sammlungen, aber sie offenbarte ihm auch die werktätige Liebe
seiner Schüler, Freunde, Kollegen, in deren vorderster Reihe der greise
Theodor Mommsen stand, und ließ uns alle staunend erkennen, indem
sie ihn der selbstgeschaffenen Hilfsmittel der Forschung grausam beraubte,
wie unabhängig von allen äußeren Arbeitsbehelfen, fast körperhaft lebendig
sich das Bild einer allumfassenden keltischen Philologie seinem Denken und
Anschauen eingegraben hatte. Denn dies vor allem sichert seinem Namen
den Nachruhm und seiner Arbeit die in ferne Zukunft reichende Wirkung,
viel mehr noch als die wahrlich große Summe aller Einzelleistungen, daß
eine ganze Disziplin in seinem Kopfe zum ersten Male sich der Weite ihres
Gebietes, der Vielgestaltigkeit und Bedeutung ihrer Aufgaben und zugleich
ihrer notwendigen inneren Einheit in Klarheit bewußt geworden ist. Seit
seiner um Jahre verspäteten akademischen Antrittsrede vom 30. Juni 1904
schien in langsamer Rückkehr der Arbeitskraft auch die Arbeitsfreudigkeit
früherer Tage zu neuem Fluge wieder die Schwingen regen zu wollen.
Noch einmal führte er uns -- in einer Reihe großer Abhandlungen aus
den Jahren 1906-1909 -- durch alle Stätten seiner Lebensarbeit, rührte
an alle Seiten einer fast unabsehbaren Überlieferung und zeigte in lebendig
angeschauten Bildern die immer großen Ziele seiner vom Einzelnen zum
Ganzen strebenden Forschung, noch einmal faßte er den Ertrag "jahrelanger,
immer erneuter, unverwandter Beschauung der Geschichte" zusammen, um in
kräftigen, sicheren Umrissen ein Gesamtbild des Keltentums, seiner Sprachen
und Literaturen, vor uns hinzustellen (Die Kultur der Gegenwart, Teil I,
Abteilung XI 1, 1909). Aber was den Freunden als hoffnungsvoller Anfang
einer neuen Schaffensperiode erscheinen mochte, ist in Wahrheit sein Ver-
mächtnis geworden. Die Kraft zur Arbeit und zum Leben, das ihm zu allen
Zeiten mit Arbeit gleichbedeutend gewesen, war aufgezehrt. Am 29. Juli
I910 ist er von uns gegangen, das Dunkel der Todesnacht mit den Worten
des Aiax grüßend:


EPEBOC O DAENNOTATON OC EMOI.


Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. 19


lexikalischen Sammlungen, aber sie offenbarte ihm auch die werktätige Liebe
seiner Schüler, Freunde, Kollegen, in deren vorderster Reihe der greise
Theodor Mommsen stand, und ließ uns alle staunend erkennen, indem
sie ihn der selbstgeschaffenen Hilfsmittel der Forschung grausam beraubte,
wie unabhängig von allen äußeren Arbeitsbehelfen, fast körperhaft lebendig
sich das Bild einer allumfassenden keltischen Philologie seinem Denken und
Anschauen eingegraben hatte. Denn dies vor allem sichert seinem Namen
den Nachruhm und seiner Arbeit die in ferne Zukunft reichende Wirkung,
viel mehr noch als die wahrlich große Summe aller Einzelleistungen, daß
eine ganze Disziplin in seinem Kopfe zum ersten Male sich der Weite ihres
Gebietes, der Vielgestaltigkeit und Bedeutung ihrer Aufgaben und zugleich
ihrer notwendigen inneren Einheit in Klarheit bewußt geworden ist. Seit
seiner um Jahre verspäteten akademischen Antrittsrede vom 30. Juni 1904
schien in langsamer Rückkehr der Arbeitskraft auch die Arbeitsfreudigkeit
früherer Tage zu neuem Fluge wieder die Schwingen regen zu wollen.
Noch einmal führte er uns — in einer Reihe großer Abhandlungen aus
den Jahren 1906-1909 — durch alle Stätten seiner Lebensarbeit, rührte
an alle Seiten einer fast unabsehbaren Überlieferung und zeigte in lebendig
angeschauten Bildern die immer großen Ziele seiner vom Einzelnen zum
Ganzen strebenden Forschung, noch einmal faßte er den Ertrag »jahrelanger,
immer erneuter, unverwandter Beschauung der Geschichte« zusammen, um in
kräftigen, sicheren Umrissen ein Gesamtbild des Keltentums, seiner Sprachen
und Literaturen, vor uns hinzustellen (Die Kultur der Gegenwart, Teil I,
Abteilung XI 1, 1909). Aber was den Freunden als hoffnungsvoller Anfang
einer neuen Schaffensperiode erscheinen mochte, ist in Wahrheit sein Ver-
mächtnis geworden. Die Kraft zur Arbeit und zum Leben, das ihm zu allen
Zeiten mit Arbeit gleichbedeutend gewesen, war aufgezehrt. Am 29. Juli
I910 ist er von uns gegangen, das Dunkel der Todesnacht mit den Worten
des Aiax grüßend:


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[21/0021] Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. 19 lexikalischen Sammlungen, aber sie offenbarte ihm auch die werktätige Liebe seiner Schüler, Freunde, Kollegen, in deren vorderster Reihe der greise Theodor Mommsen stand, und ließ uns alle staunend erkennen, indem sie ihn der selbstgeschaffenen Hilfsmittel der Forschung grausam beraubte, wie unabhängig von allen äußeren Arbeitsbehelfen, fast körperhaft lebendig sich das Bild einer allumfassenden keltischen Philologie seinem Denken und Anschauen eingegraben hatte. Denn dies vor allem sichert seinem Namen den Nachruhm und seiner Arbeit die in ferne Zukunft reichende Wirkung, viel mehr noch als die wahrlich große Summe aller Einzelleistungen, daß eine ganze Disziplin in seinem Kopfe zum ersten Male sich der Weite ihres Gebietes, der Vielgestaltigkeit und Bedeutung ihrer Aufgaben und zugleich ihrer notwendigen inneren Einheit in Klarheit bewußt geworden ist. Seit seiner um Jahre verspäteten akademischen Antrittsrede vom 30. Juni 1904 schien in langsamer Rückkehr der Arbeitskraft auch die Arbeitsfreudigkeit früherer Tage zu neuem Fluge wieder die Schwingen regen zu wollen. Noch einmal führte er uns — in einer Reihe großer Abhandlungen aus den Jahren 1906-1909 — durch alle Stätten seiner Lebensarbeit, rührte an alle Seiten einer fast unabsehbaren Überlieferung und zeigte in lebendig angeschauten Bildern die immer großen Ziele seiner vom Einzelnen zum Ganzen strebenden Forschung, noch einmal faßte er den Ertrag »jahrelanger, immer erneuter, unverwandter Beschauung der Geschichte« zusammen, um in kräftigen, sicheren Umrissen ein Gesamtbild des Keltentums, seiner Sprachen und Literaturen, vor uns hinzustellen (Die Kultur der Gegenwart, Teil I, Abteilung XI 1, 1909). Aber was den Freunden als hoffnungsvoller Anfang einer neuen Schaffensperiode erscheinen mochte, ist in Wahrheit sein Ver- mächtnis geworden. Die Kraft zur Arbeit und zum Leben, das ihm zu allen Zeiten mit Arbeit gleichbedeutend gewesen, war aufgezehrt. Am 29. Juli I910 ist er von uns gegangen, das Dunkel der Todesnacht mit den Worten des Aiax grüßend: ËPEBOC Ô DAENNÓTATON ÒC ËMOÍ.

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Zitationshilfe: Schulze, Wilhelm: Gedächtnisrede auf Heinrich Zimmer. Berlin, 1911, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulze_zimmer_1911/21>, abgerufen am 21.11.2024.