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Schupp, Johann Balthasar: Schrifften. Hrsg. v. Anton Meno Schupp. [Hanau], [1663].

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Der rachgierige
Allein an diesem grossen Tag wird das Lamb Gottes/ das der gantzen
Welt Sünde trägt/ zürnen/ und wird sagen: Jhr böse giffcige Leut/
ich hab mich für euch gegeben zum Opffer. Jch hab euch mit der Milch so
vieler Gutthaten geträncket. Jch hab mein Fleisch euch zur Speise geben.
Jch hab mein Fleisch und Blut geleget in euer Fleisch und Blut. Jch hab
euch mit der Woll meines verdienstes wollen kleiden. Aber ihr habt meiner
gedult und Sanfftmuth schändlich mißbraucht. Ach wie wird als dann
eine solche unglückselige Seel erschrecken? Sie wird heulen/ aber sie
wird selbst bekennen/ daß solch Heulen zu spätt sey/ sondern wird sa-
gen: All mein Heulen und Wehklagen ist nun umbsonst. Das Urtheil
ist schon gefället/ der Stab ist schon gebrochen. Es gehet schon nach
der Höllen zu. Gute Nacht ihr lieben Freunde. Gute Nacht Vater
und Mutter. Ach sehet euch doch noch einmal ümb/ und erbarmet euch
über das Fleisch von eurem Fleisch/ über die Beine von euren Beinen/
die jetzo umb Zorn und Rachgier willen/ ewig zur Höllen verstossen
werden! Allein was mach ich? Jch sehe Lucidor, daß ich euch zu lange
auffhalte/ und mit meinen Reden eben so viel außrichte/ als wann ich
bey einem Tauben ein stücklein auff der Lauten schlagen wolte. Wolt
ihr mir zuhören/ so wil ich euch eine Histori erzehlen. Man sagt/ Ca-
rolus
ein König in Franckreich hab den Brauch gehabt/ daß er alle-
zeit nach der Mahlzeit hab pflegen einen geschelten Apffel zu essen.
Einsmals haben Jhm seine drey Söhn bey der Tafel auffgewartet/
da hab er probiren wollen/ welcher unter ihnen am gehorsamsten sey?
Hab demnach ein stück von einem Apffel auff ein Messer gestecket/ und
zu seinem ältesten Sohn Gobando gesagt/ komm her und nehm diesen
Bissen auß deines Vaters Hand/ Gobandus hab sich auff Hofmän-
nische und Frantzösische Art entschuldiget/ er sey nicht werth daß ihm
der König diene. Da hab der König seinem andern Sohn geruffen/
der hab gedacht/ er sey schuldig alles zu thun/ was ihm sein Vater be-
fehle. Hab demnach den Mund weit auffgesperret/ und das stück vom
Apffel angenommen und gessen. Da hab der König gesagt/ umb die-
ses Gehorsams willen/ solt du König in Franckreich werden. Darauf
hab er seinem dritten Sohn Lothario geruffen uud gesagt komm und
iß dieses übrige stück Apffel auß deines Vaters Hand: Lotharius sey
alsbald kommen/ und hab das übrige stück Apffels gessen. Da hab der
König gesagt: Nun umb dieses Gehorsams willen/ solt du Hertzog
von Lothringen seyn. Da dieses sein ältester Sohn Gobandus gese-
hen/ hab er gesagt: Herr Vater/ wann euch geliebet/ so gebt mir auch
ein stück Apffel. Der König aber hab geantwortet/ Jch hab für dich
keinen Apffel mehr/ auch kein Königreich. Darauff haben die Frantzo-
sen ein Sprichwort gemacht und gesagt: Gobande du hast das Maul
zu langsam auffgethan. Sehet zu/ Lucidor, daß ihr auch das Maul

nicht

Der rachgierige
Allein an dieſem groſſen Tag wird das Lamb Gottes/ das der gantzen
Welt Suͤnde traͤgt/ zuͤrnen/ und wird ſagen: Jhr boͤſe giffcige Leut/
ich hab mich fuͤr euch gegebẽ zum Opffer. Jch hab euch mit deꝛ Milch ſo
vieler Gutthatẽ getraͤncket. Jch hab mein Fleiſch euch zur Speiſe gebẽ.
Jch hab mein Fleiſch uñ Blut geleget in eueꝛ Fleiſch und Blut. Jch hab
euch mit deꝛ Woll meines verdienſtes wollẽ kleidẽ. Abeꝛ ihr habt meiner
gedult und Sanfftmuth ſchaͤndlich mißbraucht. Ach wie wird als dann
eine ſolche ungluͤckſelige Seel erſchrecken? Sie wird heulen/ aber ſie
wird ſelbſt bekennen/ daß ſolch Heulen zu ſpaͤtt ſey/ ſondern wird ſa-
gen: All mein Heulen und Wehklagen iſt nun umbſonſt. Das Urtheil
iſt ſchon gefaͤllet/ der Stab iſt ſchon gebrochen. Es gehet ſchon nach
der Hoͤllen zu. Gute Nacht ihr lieben Freunde. Gute Nacht Vater
und Mutter. Ach ſehet euch doch noch einmal uͤmb/ und erbarmet euch
uͤber das Fleiſch von eurem Fleiſch/ uͤber die Beine von euren Beinen/
die jetzo umb Zorn und Rachgier willen/ ewig zur Hoͤllen verſtoſſen
werden! Allein was mach ich? Jch ſehe Lucidor, daß ich euch zu lange
auffhalte/ und mit meinen Reden eben ſo viel außrichte/ als wann ich
bey einem Tauben ein ſtuͤcklein auff der Lauten ſchlagen wolte. Wolt
ihr mir zuhoͤren/ ſo wil ich euch eine Hiſtori erzehlen. Man ſagt/ Ca-
rolus
ein Koͤnig in Franckreich hab den Brauch gehabt/ daß er alle-
zeit nach der Mahlzeit hab pflegen einen geſchelten Apffel zu eſſen.
Einsmals haben Jhm ſeine drey Soͤhn bey der Tafel auffgewartet/
da hab er probiren wollen/ welcher unter ihnen am gehorſamſten ſey?
Hab demnach ein ſtuͤck von einem Apffel auff ein Meſſer geſtecket/ uñ
zu ſeinem aͤlteſten Sohn Gobando geſagt/ kom̃ her und nehm dieſen
Biſſen auß deines Vaters Hand/ Gobandus hab ſich auff Hofmaͤn-
niſche und Frantzoͤſiſche Art entſchuldiget/ er ſey nicht werth daß ihm
der Koͤnig diene. Da hab der Koͤnig ſeinem andern Sohn geruffen/
der hab gedacht/ er ſey ſchuldig alles zu thun/ was ihm ſein Vater be-
fehle. Hab demnach den Mund weit auffgeſperꝛet/ und das ſtuͤck vom
Apffel angenommen und geſſen. Da hab der Koͤnig geſagt/ umb die-
ſes Gehorſams willen/ ſolt du Koͤnig in Franckreich werden. Darauf
hab er ſeinem dritten Sohn Lothario geruffen uud geſagt kom̃ und
iß dieſes uͤbrige ſtuͤck Apffel auß deines Vaters Hand: Lotharius ſey
alsbald kommen/ und hab das uͤbrige ſtuͤck Apffels geſſen. Da hab der
Koͤnig geſagt: Nun umb dieſes Gehorſams willen/ ſolt du Hertzog
von Lothringen ſeyn. Da dieſes ſein aͤlteſter Sohn Gobandus geſe-
hen/ hab er geſagt: Herꝛ Vater/ wann euch geliebet/ ſo gebt mir auch
ein ſtuͤck Apffel. Der Koͤnig aber hab geantwortet/ Jch hab fuͤr dich
keinen Apffel mehr/ auch kein Koͤnigreich. Darauff haben die Frantzo-
ſen ein Sprichwort gemacht und geſagt: Gobande du haſt das Maul
zu langſam auffgethan. Sehet zu/ Lucidor, daß ihr auch das Maul

nicht
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[324/0366] Der rachgierige Allein an dieſem groſſen Tag wird das Lamb Gottes/ das der gantzen Welt Suͤnde traͤgt/ zuͤrnen/ und wird ſagen: Jhr boͤſe giffcige Leut/ ich hab mich fuͤr euch gegebẽ zum Opffer. Jch hab euch mit deꝛ Milch ſo vieler Gutthatẽ getraͤncket. Jch hab mein Fleiſch euch zur Speiſe gebẽ. Jch hab mein Fleiſch uñ Blut geleget in eueꝛ Fleiſch und Blut. Jch hab euch mit deꝛ Woll meines verdienſtes wollẽ kleidẽ. Abeꝛ ihr habt meiner gedult und Sanfftmuth ſchaͤndlich mißbraucht. Ach wie wird als dann eine ſolche ungluͤckſelige Seel erſchrecken? Sie wird heulen/ aber ſie wird ſelbſt bekennen/ daß ſolch Heulen zu ſpaͤtt ſey/ ſondern wird ſa- gen: All mein Heulen und Wehklagen iſt nun umbſonſt. Das Urtheil iſt ſchon gefaͤllet/ der Stab iſt ſchon gebrochen. Es gehet ſchon nach der Hoͤllen zu. Gute Nacht ihr lieben Freunde. Gute Nacht Vater und Mutter. Ach ſehet euch doch noch einmal uͤmb/ und erbarmet euch uͤber das Fleiſch von eurem Fleiſch/ uͤber die Beine von euren Beinen/ die jetzo umb Zorn und Rachgier willen/ ewig zur Hoͤllen verſtoſſen werden! Allein was mach ich? Jch ſehe Lucidor, daß ich euch zu lange auffhalte/ und mit meinen Reden eben ſo viel außrichte/ als wann ich bey einem Tauben ein ſtuͤcklein auff der Lauten ſchlagen wolte. Wolt ihr mir zuhoͤren/ ſo wil ich euch eine Hiſtori erzehlen. Man ſagt/ Ca- rolus ein Koͤnig in Franckreich hab den Brauch gehabt/ daß er alle- zeit nach der Mahlzeit hab pflegen einen geſchelten Apffel zu eſſen. Einsmals haben Jhm ſeine drey Soͤhn bey der Tafel auffgewartet/ da hab er probiren wollen/ welcher unter ihnen am gehorſamſten ſey? Hab demnach ein ſtuͤck von einem Apffel auff ein Meſſer geſtecket/ uñ zu ſeinem aͤlteſten Sohn Gobando geſagt/ kom̃ her und nehm dieſen Biſſen auß deines Vaters Hand/ Gobandus hab ſich auff Hofmaͤn- niſche und Frantzoͤſiſche Art entſchuldiget/ er ſey nicht werth daß ihm der Koͤnig diene. Da hab der Koͤnig ſeinem andern Sohn geruffen/ der hab gedacht/ er ſey ſchuldig alles zu thun/ was ihm ſein Vater be- fehle. Hab demnach den Mund weit auffgeſperꝛet/ und das ſtuͤck vom Apffel angenommen und geſſen. Da hab der Koͤnig geſagt/ umb die- ſes Gehorſams willen/ ſolt du Koͤnig in Franckreich werden. Darauf hab er ſeinem dritten Sohn Lothario geruffen uud geſagt kom̃ und iß dieſes uͤbrige ſtuͤck Apffel auß deines Vaters Hand: Lotharius ſey alsbald kommen/ und hab das uͤbrige ſtuͤck Apffels geſſen. Da hab der Koͤnig geſagt: Nun umb dieſes Gehorſams willen/ ſolt du Hertzog von Lothringen ſeyn. Da dieſes ſein aͤlteſter Sohn Gobandus geſe- hen/ hab er geſagt: Herꝛ Vater/ wann euch geliebet/ ſo gebt mir auch ein ſtuͤck Apffel. Der Koͤnig aber hab geantwortet/ Jch hab fuͤr dich keinen Apffel mehr/ auch kein Koͤnigreich. Darauff haben die Frantzo- ſen ein Sprichwort gemacht und geſagt: Gobande du haſt das Maul zu langſam auffgethan. Sehet zu/ Lucidor, daß ihr auch das Maul nicht

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Zitationshilfe: Schupp, Johann Balthasar: Schrifften. Hrsg. v. Anton Meno Schupp. [Hanau], [1663], S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schupp_schriften_1663/366>, abgerufen am 25.11.2024.