lung nicht, er nahm sie mitleidig auf die Arme und watete mit ihr durch den Fluß. Auf diesem Wege blieb ihm der eine Schuh im Schlamme stecken. Dennoch wanderte er weiter und kam zu Jolkos an, als sein Oheim Pelias gerade mitten unter allem Volke auf dem Marktplatze der Stadt dem Meeresgotte Neptunus ein feierliches Opfer brachte. Alles Volk verwunderte sich über seine Schön¬ heit und seinen majestätischen Wuchs, Sie meinten, Apollo oder Mars sey plötzlich in ihre Mitte getreten. Jetzt fielen auch die Blicke des opfernden Königes auf den Fremdling und mit Entsetzen bemerkte er, daß nur der eine Fuß desselben beschuhet sey. Als die heilige Hand¬ lung vorüber war, trat er dem Ankömmling entgegen und fragte ihn mit verheimlichter Bestürzung nach seinem Namen und seiner Heimath. Jason antwortete muthig, doch sanft: er sey Aesons Sohn, sey in Chirons Höhle erzogen worden und komme jetzt, das Haus seines Vaters zu schauen. Der kluge Pelias empfing ihn auf diese Mit¬ theilung freundlich und ohne seinen Schrecken merken zu lassen. Er ließ ihn überall im Pallaste herumführen und Jason weidete seine Augen mit Sehnsucht an dieser ersten Wohnstätte seiner Jugend. Fünf Tage lang feierte er hierauf das Wiedersehen mit seinen Vettern und Ver¬ wandten in fröhlichen Festen. Am sechsten Tage ver¬ ließen sie die Zelte, die für die Gäste aufgeschlagen wa¬ ren, und traten miteinander vor den König Pelias. Sanft und bescheiden sprach Jason zu seinem Oheim: "Du weißt, o König, daß ich der Sohn des rechtmäßigen Königes bin, und alles, was du besitzest, mein Eigenthum ist. Dennoch lasse ich dir die Schaaf- und Rinderheer¬ den und alles Feld, das du meinen Eltern entrissen hast;
lung nicht, er nahm ſie mitleidig auf die Arme und watete mit ihr durch den Fluß. Auf dieſem Wege blieb ihm der eine Schuh im Schlamme ſtecken. Dennoch wanderte er weiter und kam zu Jolkos an, als ſein Oheim Pelias gerade mitten unter allem Volke auf dem Marktplatze der Stadt dem Meeresgotte Neptunus ein feierliches Opfer brachte. Alles Volk verwunderte ſich über ſeine Schön¬ heit und ſeinen majeſtätiſchen Wuchs, Sie meinten, Apollo oder Mars ſey plötzlich in ihre Mitte getreten. Jetzt fielen auch die Blicke des opfernden Königes auf den Fremdling und mit Entſetzen bemerkte er, daß nur der eine Fuß deſſelben beſchuhet ſey. Als die heilige Hand¬ lung vorüber war, trat er dem Ankömmling entgegen und fragte ihn mit verheimlichter Beſtürzung nach ſeinem Namen und ſeiner Heimath. Jaſon antwortete muthig, doch ſanft: er ſey Aeſons Sohn, ſey in Chirons Höhle erzogen worden und komme jetzt, das Haus ſeines Vaters zu ſchauen. Der kluge Pelias empfing ihn auf dieſe Mit¬ theilung freundlich und ohne ſeinen Schrecken merken zu laſſen. Er ließ ihn überall im Pallaſte herumführen und Jaſon weidete ſeine Augen mit Sehnſucht an dieſer erſten Wohnſtätte ſeiner Jugend. Fünf Tage lang feierte er hierauf das Wiederſehen mit ſeinen Vettern und Ver¬ wandten in fröhlichen Feſten. Am ſechſten Tage ver¬ ließen ſie die Zelte, die für die Gäſte aufgeſchlagen wa¬ ren, und traten miteinander vor den König Pelias. Sanft und beſcheiden ſprach Jaſon zu ſeinem Oheim: „Du weißt, o König, daß ich der Sohn des rechtmäßigen Königes bin, und alles, was du beſitzeſt, mein Eigenthum iſt. Dennoch laſſe ich dir die Schaaf- und Rinderheer¬ den und alles Feld, das du meinen Eltern entriſſen haſt;
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lung nicht, er nahm ſie mitleidig auf die Arme und watete
mit ihr durch den Fluß. Auf dieſem Wege blieb ihm
der eine Schuh im Schlamme ſtecken. Dennoch wanderte
er weiter und kam zu Jolkos an, als ſein Oheim Pelias
gerade mitten unter allem Volke auf dem Marktplatze der
Stadt dem Meeresgotte Neptunus ein feierliches Opfer
brachte. Alles Volk verwunderte ſich über ſeine Schön¬
heit und ſeinen majeſtätiſchen Wuchs, Sie meinten, Apollo
oder Mars ſey plötzlich in ihre Mitte getreten. Jetzt
fielen auch die Blicke des opfernden Königes auf den
Fremdling und mit Entſetzen bemerkte er, daß nur der
eine Fuß deſſelben beſchuhet ſey. Als die heilige Hand¬
lung vorüber war, trat er dem Ankömmling entgegen
und fragte ihn mit verheimlichter Beſtürzung nach ſeinem
Namen und ſeiner Heimath. Jaſon antwortete muthig,
doch ſanft: er ſey Aeſons Sohn, ſey in Chirons Höhle
erzogen worden und komme jetzt, das Haus ſeines Vaters
zu ſchauen. Der kluge Pelias empfing ihn auf dieſe Mit¬
theilung freundlich und ohne ſeinen Schrecken merken zu
laſſen. Er ließ ihn überall im Pallaſte herumführen und
Jaſon weidete ſeine Augen mit Sehnſucht an dieſer erſten
Wohnſtätte ſeiner Jugend. Fünf Tage lang feierte er
hierauf das Wiederſehen mit ſeinen Vettern und Ver¬
wandten in fröhlichen Feſten. Am ſechſten Tage ver¬
ließen ſie die Zelte, die für die Gäſte aufgeſchlagen wa¬
ren, und traten miteinander vor den König Pelias.
Sanft und beſcheiden ſprach Jaſon zu ſeinem Oheim:
„Du weißt, o König, daß ich der Sohn des rechtmäßigen
Königes bin, und alles, was du beſitzeſt, mein Eigenthum
iſt. Dennoch laſſe ich dir die Schaaf- und Rinderheer¬
den und alles Feld, das du meinen Eltern entriſſen haſt;
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/118>, abgerufen am 23.11.2024.
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