Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Masse des Fahrzeugs sich scheu zurückzuziehen schienen. Zur
Linken hatten sie den hohen Kaukasus und Cyta, die
Hauptstadt des Kolcherlandes; zur Rechten breitete sich
das Feld und der heilige Hain des Mars aus, wo der
Drache das goldne Vließ, das an den blätterreichen Ae¬
sten einer hohen Eiche hing, mit seinen scharfen Augen
bewachte. Jetzt erhub sich Jason am Borde des Schif¬
fes, er schwenkte hoch in der Hand einen goldenen Becher
voll Weins und brachte dem Flusse, der Mutter Erde,
den Göttern des Landes und den auf den Fahrt verstor¬
benen Heroen ein Trankopfer dar. Er bat sie alle, mit
liebreicher Hülfe ihnen nahe zu seyn und über den Tauen
des Schiffes, das sie eben anbinden wollten, zu wachen.
"So wären wir denn glücklich zum Kolchischen Lande
gelangt," sprach der Steuermann Amäus; "nun ist's
Zeit, daß wir uns ernstlich berathen, ob wir den König
Aeetes in Güte angehen oder auf irgend eine andere
Weise unser Vorhaben ins Werk setzen wollen" "Mor¬
gen," riefen die müden Helden. Und so befahl denn
Jason, das Schiff in einer schattigen Bucht des Flusses
vor Anker gehen zu lassen. Alle legten sich zu süßem
Schlummer nieder, der sie jedoch nur mit kurzer Rast
erquickte, denn bald öffnete ihnen das Morgenroth die
Augenlieder.


Jason im Pallaste des Aeetes.

Der frühe Morgen vereinigte die Helden zur Raths¬
versammlung. Jason erhub sich und sprach: "Wenn euch
meine Meinung gefällt, ihr Helden und Genossen, so sollt

Maſſe des Fahrzeugs ſich ſcheu zurückzuziehen ſchienen. Zur
Linken hatten ſie den hohen Kaukaſus und Cyta, die
Hauptſtadt des Kolcherlandes; zur Rechten breitete ſich
das Feld und der heilige Hain des Mars aus, wo der
Drache das goldne Vließ, das an den blätterreichen Ae¬
ſten einer hohen Eiche hing, mit ſeinen ſcharfen Augen
bewachte. Jetzt erhub ſich Jaſon am Borde des Schif¬
fes, er ſchwenkte hoch in der Hand einen goldenen Becher
voll Weins und brachte dem Fluſſe, der Mutter Erde,
den Göttern des Landes und den auf den Fahrt verſtor¬
benen Heroen ein Trankopfer dar. Er bat ſie alle, mit
liebreicher Hülfe ihnen nahe zu ſeyn und über den Tauen
des Schiffes, das ſie eben anbinden wollten, zu wachen.
„So wären wir denn glücklich zum Kolchiſchen Lande
gelangt,“ ſprach der Steuermann Amäus; „nun iſt's
Zeit, daß wir uns ernſtlich berathen, ob wir den König
Aeetes in Güte angehen oder auf irgend eine andere
Weiſe unſer Vorhaben ins Werk ſetzen wollen“ „Mor¬
gen,“ riefen die müden Helden. Und ſo befahl denn
Jaſon, das Schiff in einer ſchattigen Bucht des Fluſſes
vor Anker gehen zu laſſen. Alle legten ſich zu ſüßem
Schlummer nieder, der ſie jedoch nur mit kurzer Raſt
erquickte, denn bald öffnete ihnen das Morgenroth die
Augenlieder.


Jaſon im Pallaſte des Aeetes.

Der frühe Morgen vereinigte die Helden zur Raths¬
verſammlung. Jaſon erhub ſich und ſprach: „Wenn euch
meine Meinung gefällt, ihr Helden und Genoſſen, ſo ſollt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0145" n="119"/>
Ma&#x017F;&#x017F;e des Fahrzeugs &#x017F;ich &#x017F;cheu zurückzuziehen &#x017F;chienen. Zur<lb/>
Linken hatten &#x017F;ie den hohen Kauka&#x017F;us und Cyta, die<lb/>
Haupt&#x017F;tadt des Kolcherlandes; zur Rechten breitete &#x017F;ich<lb/>
das Feld und der heilige Hain des Mars aus, wo der<lb/>
Drache das goldne Vließ, das an den blätterreichen Ae¬<lb/>
&#x017F;ten einer hohen Eiche hing, mit &#x017F;einen &#x017F;charfen Augen<lb/>
bewachte. Jetzt erhub &#x017F;ich Ja&#x017F;on am Borde des Schif¬<lb/>
fes, er &#x017F;chwenkte hoch in der Hand einen goldenen Becher<lb/>
voll Weins und brachte dem Flu&#x017F;&#x017F;e, der Mutter Erde,<lb/>
den Göttern des Landes und den auf den Fahrt ver&#x017F;tor¬<lb/>
benen Heroen ein Trankopfer dar. Er bat &#x017F;ie alle, mit<lb/>
liebreicher Hülfe ihnen nahe zu &#x017F;eyn und über den Tauen<lb/>
des Schiffes, das &#x017F;ie eben anbinden wollten, zu wachen.<lb/>
&#x201E;So wären wir denn glücklich zum Kolchi&#x017F;chen Lande<lb/>
gelangt,&#x201C; &#x017F;prach der Steuermann Amäus; &#x201E;nun i&#x017F;t's<lb/>
Zeit, daß wir uns ern&#x017F;tlich berathen, ob wir den König<lb/>
Aeetes in Güte angehen oder auf irgend eine andere<lb/>
Wei&#x017F;e un&#x017F;er Vorhaben ins Werk &#x017F;etzen wollen&#x201C; &#x201E;Mor¬<lb/>
gen,&#x201C; riefen die müden Helden. Und &#x017F;o befahl denn<lb/>
Ja&#x017F;on, das Schiff in einer &#x017F;chattigen Bucht des Flu&#x017F;&#x017F;es<lb/>
vor Anker gehen zu la&#x017F;&#x017F;en. Alle legten &#x017F;ich zu &#x017F;üßem<lb/>
Schlummer nieder, der &#x017F;ie jedoch nur mit kurzer Ra&#x017F;t<lb/>
erquickte, denn bald öffnete ihnen das Morgenroth die<lb/>
Augenlieder.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          </div>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b #g">Ja&#x017F;on im Palla&#x017F;te des Aeetes.</hi><lb/>
            </head>
            <p>Der frühe Morgen vereinigte die Helden zur Raths¬<lb/>
ver&#x017F;ammlung. Ja&#x017F;on erhub &#x017F;ich und &#x017F;prach: &#x201E;Wenn euch<lb/>
meine Meinung gefällt, ihr Helden und Geno&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o &#x017F;ollt<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0145] Maſſe des Fahrzeugs ſich ſcheu zurückzuziehen ſchienen. Zur Linken hatten ſie den hohen Kaukaſus und Cyta, die Hauptſtadt des Kolcherlandes; zur Rechten breitete ſich das Feld und der heilige Hain des Mars aus, wo der Drache das goldne Vließ, das an den blätterreichen Ae¬ ſten einer hohen Eiche hing, mit ſeinen ſcharfen Augen bewachte. Jetzt erhub ſich Jaſon am Borde des Schif¬ fes, er ſchwenkte hoch in der Hand einen goldenen Becher voll Weins und brachte dem Fluſſe, der Mutter Erde, den Göttern des Landes und den auf den Fahrt verſtor¬ benen Heroen ein Trankopfer dar. Er bat ſie alle, mit liebreicher Hülfe ihnen nahe zu ſeyn und über den Tauen des Schiffes, das ſie eben anbinden wollten, zu wachen. „So wären wir denn glücklich zum Kolchiſchen Lande gelangt,“ ſprach der Steuermann Amäus; „nun iſt's Zeit, daß wir uns ernſtlich berathen, ob wir den König Aeetes in Güte angehen oder auf irgend eine andere Weiſe unſer Vorhaben ins Werk ſetzen wollen“ „Mor¬ gen,“ riefen die müden Helden. Und ſo befahl denn Jaſon, das Schiff in einer ſchattigen Bucht des Fluſſes vor Anker gehen zu laſſen. Alle legten ſich zu ſüßem Schlummer nieder, der ſie jedoch nur mit kurzer Raſt erquickte, denn bald öffnete ihnen das Morgenroth die Augenlieder. Jaſon im Pallaſte des Aeetes. Der frühe Morgen vereinigte die Helden zur Raths¬ verſammlung. Jaſon erhub ſich und ſprach: „Wenn euch meine Meinung gefällt, ihr Helden und Genoſſen, ſo ſollt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/145
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/145>, abgerufen am 23.11.2024.