deiner Schaar, aber besinne dich! Gedenkst du nicht Al¬ les auszuführen, so überlaß es mir und mach dich aus dem Staube."
Der Rath des Argos.
Jason und seine zwei Helden erhoben sich von ihren Sitzen; von den Söhnen des Phrixus folgte ihnen allein Argos, denn er hatte den Brüdern gewinkt, drinnen zu bleiben. Jene aber verließen den Pallast. Aesons Sohn leuchtete von Schönheit und Anmuth. Die Jungfrau Medea ließ ihre Augen durch den Schleier nach ihm schweifen und ihr Sinn folgte seinen Fußstapfen wie ein Traum. Als sie wieder allein in ihrem Frauengemache war, fing sie an zu weinen, dann sprach sie zu sich selbst: "Was verzehre ich mich in Schmerz? was geht mich je¬ ner Held an? mag er der Herrlichste von allen Halb¬ göttern seyn, oder der schlechteste, wenn er zu Grunde gehen soll, so mag er's! Und doch -- o möchte er dem Verderben entrinnen! Laß ihn, ehrwürdige Göttin Hekate, nach Hause zurückkehren! Soll er aber von den Stieren überwältigt werden, so wisse er vorher, daß ich wenig¬ stens über sein trauriges Loos mich nicht freue!"
Während Medea sich so härmte, waren die Helden unterwegs nach dem Schiffe und Argos sagte zu Jason: "Du wirst meinen Rath vielleicht schelten: dennoch will ich ihn dir mittheilen. Ich kenne eine Jungfrau, die mit Zaubertränken umzugehen versteht, welche Hekate, die Göt¬ tin der Unterwelt, sie brauen lehrt. Können wir diese auf unsere Seite bringen, so bezweifle ich nicht, daß du
deiner Schaar, aber beſinne dich! Gedenkſt du nicht Al¬ les auszuführen, ſo überlaß es mir und mach dich aus dem Staube.“
Der Rath des Argos.
Jaſon und ſeine zwei Helden erhoben ſich von ihren Sitzen; von den Söhnen des Phrixus folgte ihnen allein Argos, denn er hatte den Brüdern gewinkt, drinnen zu bleiben. Jene aber verließen den Pallaſt. Aeſons Sohn leuchtete von Schönheit und Anmuth. Die Jungfrau Medea ließ ihre Augen durch den Schleier nach ihm ſchweifen und ihr Sinn folgte ſeinen Fußſtapfen wie ein Traum. Als ſie wieder allein in ihrem Frauengemache war, fing ſie an zu weinen, dann ſprach ſie zu ſich ſelbſt: „Was verzehre ich mich in Schmerz? was geht mich je¬ ner Held an? mag er der Herrlichſte von allen Halb¬ göttern ſeyn, oder der ſchlechteſte, wenn er zu Grunde gehen ſoll, ſo mag er's! Und doch — o möchte er dem Verderben entrinnen! Laß ihn, ehrwürdige Göttin Hekate, nach Hauſe zurückkehren! Soll er aber von den Stieren überwältigt werden, ſo wiſſe er vorher, daß ich wenig¬ ſtens über ſein trauriges Loos mich nicht freue!“
Während Medea ſich ſo härmte, waren die Helden unterwegs nach dem Schiffe und Argos ſagte zu Jaſon: „Du wirſt meinen Rath vielleicht ſchelten: dennoch will ich ihn dir mittheilen. Ich kenne eine Jungfrau, die mit Zaubertränken umzugehen verſteht, welche Hekate, die Göt¬ tin der Unterwelt, ſie brauen lehrt. Können wir dieſe auf unſere Seite bringen, ſo bezweifle ich nicht, daß du
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0152"n="126"/>
deiner Schaar, aber beſinne dich! Gedenkſt du nicht Al¬<lb/>
les auszuführen, ſo überlaß es mir und mach dich aus<lb/>
dem Staube.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="3"><head><hirendition="#fr #g">Der Rath des Argos.</hi><lb/></head><p>Jaſon und ſeine zwei Helden erhoben ſich von ihren<lb/>
Sitzen; von den Söhnen des Phrixus folgte ihnen allein<lb/>
Argos, denn er hatte den Brüdern gewinkt, drinnen zu<lb/>
bleiben. Jene aber verließen den Pallaſt. Aeſons Sohn<lb/>
leuchtete von Schönheit und Anmuth. Die Jungfrau<lb/>
Medea ließ ihre Augen durch den Schleier nach ihm<lb/>ſchweifen und ihr Sinn folgte ſeinen Fußſtapfen wie ein<lb/>
Traum. Als ſie wieder allein in ihrem Frauengemache<lb/>
war, fing ſie an zu weinen, dann ſprach ſie zu ſich ſelbſt:<lb/>„Was verzehre ich mich in Schmerz? was geht mich je¬<lb/>
ner Held an? mag er der Herrlichſte von allen Halb¬<lb/>
göttern ſeyn, oder der ſchlechteſte, wenn er zu Grunde<lb/>
gehen ſoll, ſo mag er's! Und doch — o möchte er dem<lb/>
Verderben entrinnen! Laß ihn, ehrwürdige Göttin Hekate,<lb/>
nach Hauſe zurückkehren! Soll er aber von den Stieren<lb/>
überwältigt werden, ſo wiſſe er vorher, daß ich wenig¬<lb/>ſtens über ſein trauriges Loos mich nicht freue!“</p><lb/><p>Während Medea ſich ſo härmte, waren die Helden<lb/>
unterwegs nach dem Schiffe und Argos ſagte zu Jaſon:<lb/>„Du wirſt meinen Rath vielleicht ſchelten: dennoch will<lb/>
ich ihn dir mittheilen. Ich kenne eine Jungfrau, die mit<lb/>
Zaubertränken umzugehen verſteht, welche Hekate, die Göt¬<lb/>
tin der Unterwelt, ſie brauen lehrt. Können wir dieſe<lb/>
auf unſere Seite bringen, ſo bezweifle ich nicht, daß du<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[126/0152]
deiner Schaar, aber beſinne dich! Gedenkſt du nicht Al¬
les auszuführen, ſo überlaß es mir und mach dich aus
dem Staube.“
Der Rath des Argos.
Jaſon und ſeine zwei Helden erhoben ſich von ihren
Sitzen; von den Söhnen des Phrixus folgte ihnen allein
Argos, denn er hatte den Brüdern gewinkt, drinnen zu
bleiben. Jene aber verließen den Pallaſt. Aeſons Sohn
leuchtete von Schönheit und Anmuth. Die Jungfrau
Medea ließ ihre Augen durch den Schleier nach ihm
ſchweifen und ihr Sinn folgte ſeinen Fußſtapfen wie ein
Traum. Als ſie wieder allein in ihrem Frauengemache
war, fing ſie an zu weinen, dann ſprach ſie zu ſich ſelbſt:
„Was verzehre ich mich in Schmerz? was geht mich je¬
ner Held an? mag er der Herrlichſte von allen Halb¬
göttern ſeyn, oder der ſchlechteſte, wenn er zu Grunde
gehen ſoll, ſo mag er's! Und doch — o möchte er dem
Verderben entrinnen! Laß ihn, ehrwürdige Göttin Hekate,
nach Hauſe zurückkehren! Soll er aber von den Stieren
überwältigt werden, ſo wiſſe er vorher, daß ich wenig¬
ſtens über ſein trauriges Loos mich nicht freue!“
Während Medea ſich ſo härmte, waren die Helden
unterwegs nach dem Schiffe und Argos ſagte zu Jaſon:
„Du wirſt meinen Rath vielleicht ſchelten: dennoch will
ich ihn dir mittheilen. Ich kenne eine Jungfrau, die mit
Zaubertränken umzugehen verſteht, welche Hekate, die Göt¬
tin der Unterwelt, ſie brauen lehrt. Können wir dieſe
auf unſere Seite bringen, ſo bezweifle ich nicht, daß du
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/152>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.