war verhärtet. Er versprach ihr, sie und die Kinder mit reichlichem Gelde und Briefen an seine Gastfreunde versehen, zu entlassen. Sie aber verschmähte Alles: "Geh, vermähle dich," sprach sie, "du wirst eine Hochzeit feiern, die dich gereuen wird!" Als sie ihren Gemahl verlassen hatte, reuten sie die letzten Worte wieder, nicht weil sie andern Sinnes geworden war, sondern weil sie fürchtete, er möchte ihre Schritte beobachten und sie an der Aus¬ führung ihres Frevels verhindern. Sie ließ daher um eine zweite Unterredung mit ihm bitten und sprach zu ihm mit veränderter Miene: "Jason, verzeih mir, was ich gesprochen; der blinde Zorn hat mich verführt, ich sehe jetzt ein, daß Alles, was du gethan hast, zu unserm ei¬ genen Besten gereichen soll. Arm und verbannt sind wir hierher gekommen, du willst durch deine neue Heirath für dich, für deine Kinder, zuletzt auch für mich selbst sorgen. Wenn sie eine Weile ferne gewesen sind, wirst du deine Söhne zurückberufen, wirst sie theilnehmen lassen an dem Glücke der Geschwister, die sie erhalten sollen. Kommt herbei, kommt herbei, Kinder, umarmet euren Vater, versöhnet euch mit ihm, wie ich mich mit ihm versöhnet habe!" Jason glaubte an diese Sinnesänderung, und war hoch erfreut darüber, er versprach ihr und den Kindern das Beste; und Medea fing an, ihn noch sicherer zu machen. Sie bat ihn, die Kinder bei sich zu behalten, und sie allein ziehen zu lassen. Damit die neue Gattin und ihr Vater dieses dulde, ließ sie aus ihrer Vorrathskammer köstliche goldene Gewänder holen und reichte sie dem Jason als Brautgeschenk für die Kö¬ nigstochter. Nach einigem Bedenken ließ dieser sich überreden und ein Diener ward abgesandt, die Gaben
war verhärtet. Er verſprach ihr, ſie und die Kinder mit reichlichem Gelde und Briefen an ſeine Gaſtfreunde verſehen, zu entlaſſen. Sie aber verſchmähte Alles: „Geh, vermähle dich,“ ſprach ſie, „du wirſt eine Hochzeit feiern, die dich gereuen wird!“ Als ſie ihren Gemahl verlaſſen hatte, reuten ſie die letzten Worte wieder, nicht weil ſie andern Sinnes geworden war, ſondern weil ſie fürchtete, er möchte ihre Schritte beobachten und ſie an der Aus¬ führung ihres Frevels verhindern. Sie ließ daher um eine zweite Unterredung mit ihm bitten und ſprach zu ihm mit veränderter Miene: „Jaſon, verzeih mir, was ich geſprochen; der blinde Zorn hat mich verführt, ich ſehe jetzt ein, daß Alles, was du gethan haſt, zu unſerm ei¬ genen Beſten gereichen ſoll. Arm und verbannt ſind wir hierher gekommen, du willſt durch deine neue Heirath für dich, für deine Kinder, zuletzt auch für mich ſelbſt ſorgen. Wenn ſie eine Weile ferne geweſen ſind, wirſt du deine Söhne zurückberufen, wirſt ſie theilnehmen laſſen an dem Glücke der Geſchwiſter, die ſie erhalten ſollen. Kommt herbei, kommt herbei, Kinder, umarmet euren Vater, verſöhnet euch mit ihm, wie ich mich mit ihm verſöhnet habe!“ Jaſon glaubte an dieſe Sinnesänderung, und war hoch erfreut darüber, er verſprach ihr und den Kindern das Beſte; und Medea fing an, ihn noch ſicherer zu machen. Sie bat ihn, die Kinder bei ſich zu behalten, und ſie allein ziehen zu laſſen. Damit die neue Gattin und ihr Vater dieſes dulde, ließ ſie aus ihrer Vorrathskammer köſtliche goldene Gewänder holen und reichte ſie dem Jaſon als Brautgeſchenk für die Kö¬ nigstochter. Nach einigem Bedenken ließ dieſer ſich überreden und ein Diener ward abgeſandt, die Gaben
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war verhärtet. Er verſprach ihr, ſie und die Kinder
mit reichlichem Gelde und Briefen an ſeine Gaſtfreunde
verſehen, zu entlaſſen. Sie aber verſchmähte Alles: „Geh,
vermähle dich,“ ſprach ſie, „du wirſt eine Hochzeit feiern,
die dich gereuen wird!“ Als ſie ihren Gemahl verlaſſen
hatte, reuten ſie die letzten Worte wieder, nicht weil ſie
andern Sinnes geworden war, ſondern weil ſie fürchtete,
er möchte ihre Schritte beobachten und ſie an der Aus¬
führung ihres Frevels verhindern. Sie ließ daher um
eine zweite Unterredung mit ihm bitten und ſprach zu ihm
mit veränderter Miene: „Jaſon, verzeih mir, was ich
geſprochen; der blinde Zorn hat mich verführt, ich ſehe
jetzt ein, daß Alles, was du gethan haſt, zu unſerm ei¬
genen Beſten gereichen ſoll. Arm und verbannt ſind wir
hierher gekommen, du willſt durch deine neue Heirath für
dich, für deine Kinder, zuletzt auch für mich ſelbſt ſorgen.
Wenn ſie eine Weile ferne geweſen ſind, wirſt du deine
Söhne zurückberufen, wirſt ſie theilnehmen laſſen an dem
Glücke der Geſchwiſter, die ſie erhalten ſollen. Kommt
herbei, kommt herbei, Kinder, umarmet euren Vater,
verſöhnet euch mit ihm, wie ich mich mit ihm verſöhnet
habe!“ Jaſon glaubte an dieſe Sinnesänderung, und
war hoch erfreut darüber, er verſprach ihr und den
Kindern das Beſte; und Medea fing an, ihn noch
ſicherer zu machen. Sie bat ihn, die Kinder bei ſich
zu behalten, und ſie allein ziehen zu laſſen. Damit die
neue Gattin und ihr Vater dieſes dulde, ließ ſie aus
ihrer Vorrathskammer köſtliche goldene Gewänder holen
und reichte ſie dem Jaſon als Brautgeſchenk für die Kö¬
nigstochter. Nach einigem Bedenken ließ dieſer ſich
überreden und ein Diener ward abgeſandt, die Gaben
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/199>, abgerufen am 22.11.2024.
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