Gott Bacchus im Traum, erklärte, daß Ariadne die ihm vom Schicksal bestimmte Braut sey, und drohte ihm alles Unheil, wenn Theseus die Geliebte nicht ihm überlassen würde. Theseus war von seinem Großvater in Götter¬ furcht erzogen worden: er scheute den Zorn des Gottes, ließ die wehklagende, verzagende Königstochter auf der einsamen Insel zurück und schiffte weiter. In der Nacht erschien Ariadne's rechter Bräutigam, Bac¬ chus, und entführte sie auf den Berg Drios; dort ver¬ schwand zuerst der Gott, bald darauf ward auch Ariadne unsichtbar. Theseus und seine Gefährten waren über den Raub der Jungfrau tief betrübt. In ihrer Traurigkeit vergaßen sie, daß ihr Schiff noch die schwarzen Segel aufgezogen hatte, mit welchen es die attische Küste ver¬ lassen; sie unterließen es, dem Befehle des Aegeus zu folge die weißen Tücher aufzuspannen und das Schiff flog in seiner schwarzen Trauertracht der Heimathküste entgegen. Aegeus befand sich eben an der Küste als das schwarze Schiff herangesegelt kam, und genoß von einem Felsenvorsprunge die Aussicht auf die offene See. Aus der Farbe der Segel schloß er, daß sein Sohn todt sey. -- Da erhub er sich von dem Felsen, auf dem er saß, und im unbegränzten Schmerze des Lebens überdrüssig, stürzte er sich in die jähe Tiefe. Indessen war Theseus gelan¬ det und, nachdem er im Hafen die Opfer dargebracht hatte, die er bei der Abfahrt den Göttern gelobt, schickte er einen Herold in die Stadt, die Rettung der sieben Jünglinge und sieben Jungfrauen und seine eigene zu verkündigen. Der Bote wußte nicht, was er von dem Empfange denken sollte, der ihm in der Stadt zu Theil ward. Während die Einen ihn voll Freude bewillkommten
Schwab, das klass. Alterthum I. 19
Gott Bacchus im Traum, erklärte, daß Ariadne die ihm vom Schickſal beſtimmte Braut ſey, und drohte ihm alles Unheil, wenn Theſeus die Geliebte nicht ihm überlaſſen würde. Theſeus war von ſeinem Großvater in Götter¬ furcht erzogen worden: er ſcheute den Zorn des Gottes, ließ die wehklagende, verzagende Königstochter auf der einſamen Inſel zurück und ſchiffte weiter. In der Nacht erſchien Ariadne's rechter Bräutigam, Bac¬ chus, und entführte ſie auf den Berg Drios; dort ver¬ ſchwand zuerſt der Gott, bald darauf ward auch Ariadne unſichtbar. Theſeus und ſeine Gefährten waren über den Raub der Jungfrau tief betrübt. In ihrer Traurigkeit vergaßen ſie, daß ihr Schiff noch die ſchwarzen Segel aufgezogen hatte, mit welchen es die attiſche Küſte ver¬ laſſen; ſie unterließen es, dem Befehle des Aegeus zu folge die weißen Tücher aufzuſpannen und das Schiff flog in ſeiner ſchwarzen Trauertracht der Heimathküſte entgegen. Aegeus befand ſich eben an der Küſte als das ſchwarze Schiff herangeſegelt kam, und genoß von einem Felſenvorſprunge die Ausſicht auf die offene See. Aus der Farbe der Segel ſchloß er, daß ſein Sohn todt ſey. — Da erhub er ſich von dem Felſen, auf dem er ſaß, und im unbegränzten Schmerze des Lebens überdrüſſig, ſtürzte er ſich in die jähe Tiefe. Indeſſen war Theſeus gelan¬ det und, nachdem er im Hafen die Opfer dargebracht hatte, die er bei der Abfahrt den Göttern gelobt, ſchickte er einen Herold in die Stadt, die Rettung der ſieben Jünglinge und ſieben Jungfrauen und ſeine eigene zu verkündigen. Der Bote wußte nicht, was er von dem Empfange denken ſollte, der ihm in der Stadt zu Theil ward. Während die Einen ihn voll Freude bewillkommten
Schwab, das klaſſ. Alterthum I. 19
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Gott Bacchus im Traum, erklärte, daß Ariadne die ihm
vom Schickſal beſtimmte Braut ſey, und drohte ihm alles
Unheil, wenn Theſeus die Geliebte nicht ihm überlaſſen
würde. Theſeus war von ſeinem Großvater in Götter¬
furcht erzogen worden: er ſcheute den Zorn des Gottes,
ließ die wehklagende, verzagende Königstochter auf
der einſamen Inſel zurück und ſchiffte weiter. In
der Nacht erſchien Ariadne's rechter Bräutigam, Bac¬
chus, und entführte ſie auf den Berg Drios; dort ver¬
ſchwand zuerſt der Gott, bald darauf ward auch Ariadne
unſichtbar. Theſeus und ſeine Gefährten waren über den
Raub der Jungfrau tief betrübt. In ihrer Traurigkeit
vergaßen ſie, daß ihr Schiff noch die ſchwarzen Segel
aufgezogen hatte, mit welchen es die attiſche Küſte ver¬
laſſen; ſie unterließen es, dem Befehle des Aegeus zu
folge die weißen Tücher aufzuſpannen und das Schiff
flog in ſeiner ſchwarzen Trauertracht der Heimathküſte
entgegen. Aegeus befand ſich eben an der Küſte als das
ſchwarze Schiff herangeſegelt kam, und genoß von einem
Felſenvorſprunge die Ausſicht auf die offene See. Aus
der Farbe der Segel ſchloß er, daß ſein Sohn todt ſey. —
Da erhub er ſich von dem Felſen, auf dem er ſaß, und
im unbegränzten Schmerze des Lebens überdrüſſig, ſtürzte
er ſich in die jähe Tiefe. Indeſſen war Theſeus gelan¬
det und, nachdem er im Hafen die Opfer dargebracht
hatte, die er bei der Abfahrt den Göttern gelobt, ſchickte
er einen Herold in die Stadt, die Rettung der ſieben
Jünglinge und ſieben Jungfrauen und ſeine eigene zu
verkündigen. Der Bote wußte nicht, was er von dem
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ward. Während die Einen ihn voll Freude bewillkommten
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/315>, abgerufen am 22.11.2024.
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