durch seine Tyranney verhaßt gemacht hatte, und den vä¬ terlichen Thron wieder erringe. Als der alte Diener nach Arkadien kam, fand er den König Cypselus und das ganze Königshaus in großer Bestürzung, denn sein Enkel Aepytus war verschwunden, und Niemand wußte, was aus ihm geworden war. Trostlos eilte der alte Diener nach Messene zurück und erzählte der Königin, was geschehen. Beide hatten nun keinen andern Gedan¬ ken, als daß der Fremdling, der vor dem Könige erschie¬ nen sey, den Preis zu verdienen, gewiß den armen Aepy¬ tus in Arkadien ermordet und seinen Leichnam nach Mes¬ sene gebracht habe. Sie besannen sich nicht lange, und da der Fremde, von Polyphontes in seine Königsburg aufgenommen, seine Wohnung in derselben hatte, betrat die Königin, von Rachedurst erfüllt, mit einer Art be¬ waffnet, und von ihrem Vertrauten, dem alten Diener, begleitet, nächtlicher Weile die Kammer des Fremden, in der Absicht, den Schlummernden zu erschlagen. Der Jüngling aber schlief ruhig und sanft, und der Strahl des Mondes beleuchtete sein Antlitz. Schon hatten sich beide über sein Lager gebeugt und Merope die Mordart erhoben, als der Diener, der, dem Schlafenden näher ste¬ hend, sein Angesicht genauer betrachtete, plötzlich mit ei¬ nem angstvollen Schrei der Ueberraschung den Arm der Kö¬ nigin erfaßte. "Halt ein," rief er, "es ist dein Sohn Aepytus, den du erschlagen willst!" Merope ließ den Arm mit der Axt sinken, und warf sich über das Bett ihres Sohnes, den sie mit ihrem lauten Schluchzen erweckte. Nachdem sie sich lange in den Armen gelegen, eröffnete ihr der Sohn, daß er gekommen sey, nicht sich den Mör¬ dern in die Hände zu liefern, sondern diese zu bestrafen,
durch ſeine Tyranney verhaßt gemacht hatte, und den vä¬ terlichen Thron wieder erringe. Als der alte Diener nach Arkadien kam, fand er den König Cypſelus und das ganze Königshaus in großer Beſtürzung, denn ſein Enkel Aepytus war verſchwunden, und Niemand wußte, was aus ihm geworden war. Troſtlos eilte der alte Diener nach Meſſene zurück und erzählte der Königin, was geſchehen. Beide hatten nun keinen andern Gedan¬ ken, als daß der Fremdling, der vor dem Könige erſchie¬ nen ſey, den Preis zu verdienen, gewiß den armen Aepy¬ tus in Arkadien ermordet und ſeinen Leichnam nach Meſ¬ ſene gebracht habe. Sie beſannen ſich nicht lange, und da der Fremde, von Polyphontes in ſeine Königsburg aufgenommen, ſeine Wohnung in derſelben hatte, betrat die Königin, von Rachedurſt erfüllt, mit einer Art be¬ waffnet, und von ihrem Vertrauten, dem alten Diener, begleitet, nächtlicher Weile die Kammer des Fremden, in der Abſicht, den Schlummernden zu erſchlagen. Der Jüngling aber ſchlief ruhig und ſanft, und der Strahl des Mondes beleuchtete ſein Antlitz. Schon hatten ſich beide über ſein Lager gebeugt und Merope die Mordart erhoben, als der Diener, der, dem Schlafenden näher ſte¬ hend, ſein Angeſicht genauer betrachtete, plötzlich mit ei¬ nem angſtvollen Schrei der Ueberraſchung den Arm der Kö¬ nigin erfaßte. „Halt ein,“ rief er, „es iſt dein Sohn Aepytus, den du erſchlagen willſt!“ Merope ließ den Arm mit der Axt ſinken, und warf ſich über das Bett ihres Sohnes, den ſie mit ihrem lauten Schluchzen erweckte. Nachdem ſie ſich lange in den Armen gelegen, eröffnete ihr der Sohn, daß er gekommen ſey, nicht ſich den Mör¬ dern in die Hände zu liefern, ſondern dieſe zu beſtrafen,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0436"n="410"/>
durch ſeine Tyranney verhaßt gemacht hatte, und den vä¬<lb/>
terlichen Thron wieder erringe. Als der alte Diener<lb/>
nach Arkadien kam, fand er den König Cypſelus und<lb/>
das ganze Königshaus in großer Beſtürzung, denn ſein<lb/>
Enkel Aepytus war verſchwunden, und Niemand wußte,<lb/>
was aus ihm geworden war. Troſtlos eilte der alte<lb/>
Diener nach Meſſene zurück und erzählte der Königin,<lb/>
was geſchehen. Beide hatten nun keinen andern Gedan¬<lb/>
ken, als daß der Fremdling, der vor dem Könige erſchie¬<lb/>
nen ſey, den Preis zu verdienen, gewiß den armen Aepy¬<lb/>
tus in Arkadien ermordet und ſeinen Leichnam nach Meſ¬<lb/>ſene gebracht habe. Sie beſannen ſich nicht lange, und<lb/>
da der Fremde, von Polyphontes in ſeine Königsburg<lb/>
aufgenommen, ſeine Wohnung in derſelben hatte, betrat<lb/>
die Königin, von Rachedurſt erfüllt, mit einer Art be¬<lb/>
waffnet, und von ihrem Vertrauten, dem alten Diener,<lb/>
begleitet, nächtlicher Weile die Kammer des Fremden, in<lb/>
der Abſicht, den Schlummernden zu erſchlagen. Der<lb/>
Jüngling aber ſchlief ruhig und ſanft, und der Strahl<lb/>
des Mondes beleuchtete ſein Antlitz. Schon hatten ſich<lb/>
beide über ſein Lager gebeugt und Merope die Mordart<lb/>
erhoben, als der Diener, der, dem Schlafenden näher ſte¬<lb/>
hend, ſein Angeſicht genauer betrachtete, plötzlich mit ei¬<lb/>
nem angſtvollen Schrei der Ueberraſchung den Arm der Kö¬<lb/>
nigin erfaßte. „Halt ein,“ rief er, „es iſt dein Sohn<lb/>
Aepytus, den du erſchlagen willſt!“ Merope ließ den Arm<lb/>
mit der Axt ſinken, und warf ſich über das Bett ihres<lb/>
Sohnes, den ſie mit ihrem lauten Schluchzen erweckte.<lb/>
Nachdem ſie ſich lange in den Armen gelegen, eröffnete<lb/>
ihr der Sohn, daß er gekommen ſey, nicht ſich den Mör¬<lb/>
dern in die Hände zu liefern, ſondern dieſe zu beſtrafen,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[410/0436]
durch ſeine Tyranney verhaßt gemacht hatte, und den vä¬
terlichen Thron wieder erringe. Als der alte Diener
nach Arkadien kam, fand er den König Cypſelus und
das ganze Königshaus in großer Beſtürzung, denn ſein
Enkel Aepytus war verſchwunden, und Niemand wußte,
was aus ihm geworden war. Troſtlos eilte der alte
Diener nach Meſſene zurück und erzählte der Königin,
was geſchehen. Beide hatten nun keinen andern Gedan¬
ken, als daß der Fremdling, der vor dem Könige erſchie¬
nen ſey, den Preis zu verdienen, gewiß den armen Aepy¬
tus in Arkadien ermordet und ſeinen Leichnam nach Meſ¬
ſene gebracht habe. Sie beſannen ſich nicht lange, und
da der Fremde, von Polyphontes in ſeine Königsburg
aufgenommen, ſeine Wohnung in derſelben hatte, betrat
die Königin, von Rachedurſt erfüllt, mit einer Art be¬
waffnet, und von ihrem Vertrauten, dem alten Diener,
begleitet, nächtlicher Weile die Kammer des Fremden, in
der Abſicht, den Schlummernden zu erſchlagen. Der
Jüngling aber ſchlief ruhig und ſanft, und der Strahl
des Mondes beleuchtete ſein Antlitz. Schon hatten ſich
beide über ſein Lager gebeugt und Merope die Mordart
erhoben, als der Diener, der, dem Schlafenden näher ſte¬
hend, ſein Angeſicht genauer betrachtete, plötzlich mit ei¬
nem angſtvollen Schrei der Ueberraſchung den Arm der Kö¬
nigin erfaßte. „Halt ein,“ rief er, „es iſt dein Sohn
Aepytus, den du erſchlagen willſt!“ Merope ließ den Arm
mit der Axt ſinken, und warf ſich über das Bett ihres
Sohnes, den ſie mit ihrem lauten Schluchzen erweckte.
Nachdem ſie ſich lange in den Armen gelegen, eröffnete
ihr der Sohn, daß er gekommen ſey, nicht ſich den Mör¬
dern in die Hände zu liefern, ſondern dieſe zu beſtrafen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/436>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.