Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Fluth, bald tobte er nach beiden Seiten, wie ein von
Hunden verfolgter Eber. Perseus brachte ihm Wunde
um Wunde bei, bis ein dunkler Blutstrom sich aus seinem
Rachen ergoß. Indessen troffen die Flügel des Halbgotts,
und Perseus wagte nicht länger, sich dem wasserschweren
Gefieder anzuvertrauen. Glücklicherweise erblickte er ein
Felsriff, dessen oberste Spitze aus dem Meere hervorragte.
Auf diese Felswand stützte er sich mit der Linken, und
stieß das Eisen drei bis viermal in das Gekröse des Un¬
gethüms. Das Meer trieb die ungeheure Leiche fort, und
bald war sie in den Fluthen verschwunden. Perseus
hatte sich indessen ans Land geschwungen, hatte den Fel¬
sen erklommen und die Jungfrau, die ihn mit Blicken des
Dankes und der Liebe begrüßte, der Fesseln entledigt.
Er brachte sie den glücklichen Eltern, und der goldene
Pallast empfing ihn als Bräutigam. Noch dampfte das
Hochzeitmahl und die Stunden strichen dem Vater und
der Mutter, dem Bräutigam und der geretteten Braut
in sorgenfreier Eile dahin, als plötzlich die Vorhöfe der
Königsburg mit einem dumpfen brausenden Getümmel
sich füllten. Phineus, der Bruder des Königes Cepheus,
der früher um seine Nichte Andromeda geworben, aber
in der letzten Noth sie verlassen hatte, nahte mit einer
Schaar von Kriegern und erneuerte seine Ansprüche.
Den Speer schwingend, trat er in den Hochzeitsaal und
rief dem erstaunten Perseus zu: "Sieh mich hier, der ich
komme, die mir entrissene Gattin zu rächen, weder deine
Flügel, noch dein Vater Jupiter sollen dich mir entreis¬
sen!" So rief er, schon zum Speerwurfe sich anschickend;
da hub sich Cepheus, der König vom Mahle. "Rasender
Bruder," rief er, "welcher Gedanke treibt dich zur Un¬

Fluth, bald tobte er nach beiden Seiten, wie ein von
Hunden verfolgter Eber. Perſeus brachte ihm Wunde
um Wunde bei, bis ein dunkler Blutſtrom ſich aus ſeinem
Rachen ergoß. Indeſſen troffen die Flügel des Halbgotts,
und Perſeus wagte nicht länger, ſich dem waſſerſchweren
Gefieder anzuvertrauen. Glücklicherweiſe erblickte er ein
Felsriff, deſſen oberſte Spitze aus dem Meere hervorragte.
Auf dieſe Felswand ſtützte er ſich mit der Linken, und
ſtieß das Eiſen drei bis viermal in das Gekröſe des Un¬
gethüms. Das Meer trieb die ungeheure Leiche fort, und
bald war ſie in den Fluthen verſchwunden. Perſeus
hatte ſich indeſſen ans Land geſchwungen, hatte den Fel¬
ſen erklommen und die Jungfrau, die ihn mit Blicken des
Dankes und der Liebe begrüßte, der Feſſeln entledigt.
Er brachte ſie den glücklichen Eltern, und der goldene
Pallaſt empfing ihn als Bräutigam. Noch dampfte das
Hochzeitmahl und die Stunden ſtrichen dem Vater und
der Mutter, dem Bräutigam und der geretteten Braut
in ſorgenfreier Eile dahin, als plötzlich die Vorhöfe der
Königsburg mit einem dumpfen brauſenden Getümmel
ſich füllten. Phineus, der Bruder des Königes Cepheus,
der früher um ſeine Nichte Andromeda geworben, aber
in der letzten Noth ſie verlaſſen hatte, nahte mit einer
Schaar von Kriegern und erneuerte ſeine Anſprüche.
Den Speer ſchwingend, trat er in den Hochzeitſaal und
rief dem erſtaunten Perſeus zu: „Sieh mich hier, der ich
komme, die mir entriſſene Gattin zu rächen, weder deine
Flügel, noch dein Vater Jupiter ſollen dich mir entreiſ¬
ſen!“ So rief er, ſchon zum Speerwurfe ſich anſchickend;
da hub ſich Cepheus, der König vom Mahle. „Raſender
Bruder,“ rief er, „welcher Gedanke treibt dich zur Un¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0089" n="63"/>
Fluth, bald tobte er nach beiden Seiten, wie ein von<lb/>
Hunden verfolgter Eber. Per&#x017F;eus brachte ihm Wunde<lb/>
um Wunde bei, bis ein dunkler Blut&#x017F;trom &#x017F;ich aus &#x017F;einem<lb/>
Rachen ergoß. Inde&#x017F;&#x017F;en troffen die Flügel des Halbgotts,<lb/>
und Per&#x017F;eus wagte nicht länger, &#x017F;ich dem wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;chweren<lb/>
Gefieder anzuvertrauen. Glücklicherwei&#x017F;e erblickte er ein<lb/>
Felsriff, de&#x017F;&#x017F;en ober&#x017F;te Spitze aus dem Meere hervorragte.<lb/>
Auf die&#x017F;e Felswand &#x017F;tützte er &#x017F;ich mit der Linken, und<lb/>
&#x017F;tieß das Ei&#x017F;en drei bis viermal in das Gekrö&#x017F;e des Un¬<lb/>
gethüms. Das Meer trieb die ungeheure Leiche fort, und<lb/>
bald war &#x017F;ie in den Fluthen ver&#x017F;chwunden. Per&#x017F;eus<lb/>
hatte &#x017F;ich inde&#x017F;&#x017F;en ans Land ge&#x017F;chwungen, hatte den Fel¬<lb/>
&#x017F;en erklommen und die Jungfrau, die ihn mit Blicken des<lb/>
Dankes und der Liebe begrüßte, der Fe&#x017F;&#x017F;eln entledigt.<lb/>
Er brachte &#x017F;ie den glücklichen Eltern, und der goldene<lb/>
Palla&#x017F;t empfing ihn als Bräutigam. Noch dampfte das<lb/>
Hochzeitmahl und die Stunden &#x017F;trichen dem Vater und<lb/>
der Mutter, dem Bräutigam und der geretteten Braut<lb/>
in &#x017F;orgenfreier Eile dahin, als plötzlich die Vorhöfe der<lb/>
Königsburg mit einem dumpfen brau&#x017F;enden Getümmel<lb/>
&#x017F;ich füllten. Phineus, der Bruder des Königes Cepheus,<lb/>
der früher um &#x017F;eine Nichte Andromeda geworben, aber<lb/>
in der letzten Noth &#x017F;ie verla&#x017F;&#x017F;en hatte, nahte mit einer<lb/>
Schaar von Kriegern und erneuerte &#x017F;eine An&#x017F;prüche.<lb/>
Den Speer &#x017F;chwingend, trat er in den Hochzeit&#x017F;aal und<lb/>
rief dem er&#x017F;taunten Per&#x017F;eus zu: &#x201E;Sieh mich hier, der ich<lb/>
komme, die mir entri&#x017F;&#x017F;ene Gattin zu rächen, weder deine<lb/>
Flügel, noch dein Vater Jupiter &#x017F;ollen dich mir entrei&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en!&#x201C; So rief er, &#x017F;chon zum Speerwurfe &#x017F;ich an&#x017F;chickend;<lb/>
da hub &#x017F;ich Cepheus, der König vom Mahle. &#x201E;Ra&#x017F;ender<lb/>
Bruder,&#x201C; rief er, &#x201E;welcher Gedanke treibt dich zur Un¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0089] Fluth, bald tobte er nach beiden Seiten, wie ein von Hunden verfolgter Eber. Perſeus brachte ihm Wunde um Wunde bei, bis ein dunkler Blutſtrom ſich aus ſeinem Rachen ergoß. Indeſſen troffen die Flügel des Halbgotts, und Perſeus wagte nicht länger, ſich dem waſſerſchweren Gefieder anzuvertrauen. Glücklicherweiſe erblickte er ein Felsriff, deſſen oberſte Spitze aus dem Meere hervorragte. Auf dieſe Felswand ſtützte er ſich mit der Linken, und ſtieß das Eiſen drei bis viermal in das Gekröſe des Un¬ gethüms. Das Meer trieb die ungeheure Leiche fort, und bald war ſie in den Fluthen verſchwunden. Perſeus hatte ſich indeſſen ans Land geſchwungen, hatte den Fel¬ ſen erklommen und die Jungfrau, die ihn mit Blicken des Dankes und der Liebe begrüßte, der Feſſeln entledigt. Er brachte ſie den glücklichen Eltern, und der goldene Pallaſt empfing ihn als Bräutigam. Noch dampfte das Hochzeitmahl und die Stunden ſtrichen dem Vater und der Mutter, dem Bräutigam und der geretteten Braut in ſorgenfreier Eile dahin, als plötzlich die Vorhöfe der Königsburg mit einem dumpfen brauſenden Getümmel ſich füllten. Phineus, der Bruder des Königes Cepheus, der früher um ſeine Nichte Andromeda geworben, aber in der letzten Noth ſie verlaſſen hatte, nahte mit einer Schaar von Kriegern und erneuerte ſeine Anſprüche. Den Speer ſchwingend, trat er in den Hochzeitſaal und rief dem erſtaunten Perſeus zu: „Sieh mich hier, der ich komme, die mir entriſſene Gattin zu rächen, weder deine Flügel, noch dein Vater Jupiter ſollen dich mir entreiſ¬ ſen!“ So rief er, ſchon zum Speerwurfe ſich anſchickend; da hub ſich Cepheus, der König vom Mahle. „Raſender Bruder,“ rief er, „welcher Gedanke treibt dich zur Un¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/89
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/89>, abgerufen am 04.05.2024.