Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

der Feinde ab und streckte einen um den andern nieder.
Erst als er sah, daß die Tapferkeit der Menge erliegen
müsse, entschloß er sich, das letzte aber untrügliche Mit¬
tel, das ihm zu Gebote stand, zu gebrauchen. "Weil ihr
mich genöthiget, sprach er, will ich mir die Hülfe bei
meinem alten Feinde holen! Wende sein Antlitz ab, wer
noch mein Freund ist!" Mit diesen Worten zog er, aus
der Tasche, die ihm immer an der Seite hing, das Gor¬
gonenhaupt, und streckte es dem ersten Gegner zu, der
jetzt eben auf ihn eindrang. "Suche Andere," rief dieser
verächtlich beim ersten flüchtigen Blicke, "die du mit dei¬
nen Mirakeln erschüttern kannst." Aber als seine Hand
sich heben wollte, den Wurfspieß abzusenden, blieb er
mitten in dieser Geberde versteinert, wie eine Bildsäule.
Und so widerfuhr es einem nach dem andern. Zuletzt
waren nur noch zweihundert übrig. Da hub Perseus
das Gorgonenhaupt hoch in die Luft empor, daß alle es
erblicken konnten und verwandelte die zweihundert auf
einmal in starres Gestein. Jetzt erst bereute Phineus den
unrechtmäßigen und unvernünftigen Krieg. Rechts und
links erblickt er nichts als Steinbilder in der mannig¬
faltigsten Stellung. Er ruft seine Freunde mit Namen,
er berührt ungläubig die Körper der Zunächststehenden:
Alles ist Marmor. Entsetzen faßte ihn und sein Trotz
verwandelte sich in demüthiges Flehen. "Laß mir nur
das Leben, dein sey das Reich und die Braut!" rief er
und kehrte sein verzagendes Angesicht seitwärts. Aber
Perseus, über den Tod seiner neuen Freunde erbittert,
kannte kein Erbarmen. "Verräther, schrie er zornig, ich
will dir für alle Ewigkeit ein bleibendes Denkmal in
meines Schwähers Hause stiften!" und so sehr Phineus

Schwab, das klass. Alterthum. I. 5

der Feinde ab und ſtreckte einen um den andern nieder.
Erſt als er ſah, daß die Tapferkeit der Menge erliegen
müſſe, entſchloß er ſich, das letzte aber untrügliche Mit¬
tel, das ihm zu Gebote ſtand, zu gebrauchen. „Weil ihr
mich genöthiget, ſprach er, will ich mir die Hülfe bei
meinem alten Feinde holen! Wende ſein Antlitz ab, wer
noch mein Freund iſt!“ Mit dieſen Worten zog er, aus
der Taſche, die ihm immer an der Seite hing, das Gor¬
gonenhaupt, und ſtreckte es dem erſten Gegner zu, der
jetzt eben auf ihn eindrang. „Suche Andere,“ rief dieſer
verächtlich beim erſten flüchtigen Blicke, „die du mit dei¬
nen Mirakeln erſchüttern kannſt.“ Aber als ſeine Hand
ſich heben wollte, den Wurfſpieß abzuſenden, blieb er
mitten in dieſer Geberde verſteinert, wie eine Bildſäule.
Und ſo widerfuhr es einem nach dem andern. Zuletzt
waren nur noch zweihundert übrig. Da hub Perſeus
das Gorgonenhaupt hoch in die Luft empor, daß alle es
erblicken konnten und verwandelte die zweihundert auf
einmal in ſtarres Geſtein. Jetzt erſt bereute Phineus den
unrechtmäßigen und unvernünftigen Krieg. Rechts und
links erblickt er nichts als Steinbilder in der mannig¬
faltigſten Stellung. Er ruft ſeine Freunde mit Namen,
er berührt ungläubig die Körper der Zunächſtſtehenden:
Alles iſt Marmor. Entſetzen faßte ihn und ſein Trotz
verwandelte ſich in demüthiges Flehen. „Laß mir nur
das Leben, dein ſey das Reich und die Braut!“ rief er
und kehrte ſein verzagendes Angeſicht ſeitwärts. Aber
Perſeus, über den Tod ſeiner neuen Freunde erbittert,
kannte kein Erbarmen. „Verräther, ſchrie er zornig, ich
will dir für alle Ewigkeit ein bleibendes Denkmal in
meines Schwähers Hauſe ſtiften!“ und ſo ſehr Phineus

Schwab, das klaſſ. Alterthum. I. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0091" n="65"/>
der Feinde ab und &#x017F;treckte einen um den andern nieder.<lb/>
Er&#x017F;t als er &#x017F;ah, daß die Tapferkeit der Menge erliegen<lb/>&#x017F;&#x017F;e, ent&#x017F;chloß er &#x017F;ich, das letzte aber untrügliche Mit¬<lb/>
tel, das ihm zu Gebote &#x017F;tand, zu gebrauchen. &#x201E;Weil ihr<lb/>
mich genöthiget, &#x017F;prach er, will ich mir die Hülfe bei<lb/>
meinem alten Feinde holen! Wende &#x017F;ein Antlitz ab, wer<lb/>
noch mein Freund i&#x017F;t!&#x201C; Mit die&#x017F;en Worten zog er, aus<lb/>
der Ta&#x017F;che, die ihm immer an der Seite hing, das Gor¬<lb/>
gonenhaupt, und &#x017F;treckte es dem er&#x017F;ten Gegner zu, der<lb/>
jetzt eben auf ihn eindrang. &#x201E;Suche Andere,&#x201C; rief die&#x017F;er<lb/>
verächtlich beim er&#x017F;ten flüchtigen Blicke, &#x201E;die du mit dei¬<lb/>
nen Mirakeln er&#x017F;chüttern kann&#x017F;t.&#x201C; Aber als &#x017F;eine Hand<lb/>
&#x017F;ich heben wollte, den Wurf&#x017F;pieß abzu&#x017F;enden, blieb er<lb/>
mitten in die&#x017F;er Geberde ver&#x017F;teinert, wie eine Bild&#x017F;äule.<lb/>
Und &#x017F;o widerfuhr es einem nach dem andern. Zuletzt<lb/>
waren nur noch zweihundert übrig. Da hub Per&#x017F;eus<lb/>
das Gorgonenhaupt hoch in die Luft empor, daß alle es<lb/>
erblicken konnten und verwandelte die zweihundert auf<lb/>
einmal in &#x017F;tarres Ge&#x017F;tein. Jetzt er&#x017F;t bereute Phineus den<lb/>
unrechtmäßigen und unvernünftigen Krieg. Rechts und<lb/>
links erblickt er nichts als Steinbilder in der mannig¬<lb/>
faltig&#x017F;ten Stellung. Er ruft &#x017F;eine Freunde mit Namen,<lb/>
er berührt ungläubig die Körper der Zunäch&#x017F;t&#x017F;tehenden:<lb/>
Alles i&#x017F;t Marmor. Ent&#x017F;etzen faßte ihn und &#x017F;ein Trotz<lb/>
verwandelte &#x017F;ich in demüthiges Flehen. &#x201E;Laß mir nur<lb/>
das Leben, dein &#x017F;ey das Reich und die Braut!&#x201C; rief er<lb/>
und kehrte &#x017F;ein verzagendes Ange&#x017F;icht &#x017F;eitwärts. Aber<lb/>
Per&#x017F;eus, über den Tod &#x017F;einer neuen Freunde erbittert,<lb/>
kannte kein Erbarmen. &#x201E;Verräther, &#x017F;chrie er zornig, ich<lb/>
will dir für alle Ewigkeit ein bleibendes Denkmal in<lb/>
meines Schwähers Hau&#x017F;e &#x017F;tiften!&#x201C; und &#x017F;o &#x017F;ehr Phineus<lb/>
<fw type="sig" place="bottom">Schwab, das kla&#x017F;&#x017F;. Alterthum. <hi rendition="#aq">I</hi>. 5<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0091] der Feinde ab und ſtreckte einen um den andern nieder. Erſt als er ſah, daß die Tapferkeit der Menge erliegen müſſe, entſchloß er ſich, das letzte aber untrügliche Mit¬ tel, das ihm zu Gebote ſtand, zu gebrauchen. „Weil ihr mich genöthiget, ſprach er, will ich mir die Hülfe bei meinem alten Feinde holen! Wende ſein Antlitz ab, wer noch mein Freund iſt!“ Mit dieſen Worten zog er, aus der Taſche, die ihm immer an der Seite hing, das Gor¬ gonenhaupt, und ſtreckte es dem erſten Gegner zu, der jetzt eben auf ihn eindrang. „Suche Andere,“ rief dieſer verächtlich beim erſten flüchtigen Blicke, „die du mit dei¬ nen Mirakeln erſchüttern kannſt.“ Aber als ſeine Hand ſich heben wollte, den Wurfſpieß abzuſenden, blieb er mitten in dieſer Geberde verſteinert, wie eine Bildſäule. Und ſo widerfuhr es einem nach dem andern. Zuletzt waren nur noch zweihundert übrig. Da hub Perſeus das Gorgonenhaupt hoch in die Luft empor, daß alle es erblicken konnten und verwandelte die zweihundert auf einmal in ſtarres Geſtein. Jetzt erſt bereute Phineus den unrechtmäßigen und unvernünftigen Krieg. Rechts und links erblickt er nichts als Steinbilder in der mannig¬ faltigſten Stellung. Er ruft ſeine Freunde mit Namen, er berührt ungläubig die Körper der Zunächſtſtehenden: Alles iſt Marmor. Entſetzen faßte ihn und ſein Trotz verwandelte ſich in demüthiges Flehen. „Laß mir nur das Leben, dein ſey das Reich und die Braut!“ rief er und kehrte ſein verzagendes Angeſicht ſeitwärts. Aber Perſeus, über den Tod ſeiner neuen Freunde erbittert, kannte kein Erbarmen. „Verräther, ſchrie er zornig, ich will dir für alle Ewigkeit ein bleibendes Denkmal in meines Schwähers Hauſe ſtiften!“ und ſo ſehr Phineus Schwab, das klaſſ. Alterthum. I. 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/91
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/91>, abgerufen am 24.11.2024.