Schutze des Völkerrechts als heilige Gesandte von den Trojanern ohne Widerspruch in ihre Mauern aufge¬ nommen.
Priamus und seine Söhne in ihrem Königspallaste, der fern auf der Burg der Stadt gelegen war, wußten noch nicht, was zu ihren Füßen vorging, als schon die Gesandtschaft auf dem Marktplatze Troja's stille hielt und, von trojanischem Volk umgeben, Menelaus das Wort ergriff und sich mit herzzerschneidenden Worten über die frevelhafte Verletzung des Völkerrechts beklagte, die sich Paris an seinem heiligsten und theuersten Besitzthum durch den frechen Raub seiner Gemahlin zu Schulden kommen lassen. Er sprach so beredt und eindringlich, daß die umstehenden Trojaner alle, und darunter die ältesten Häupter des Volkes, von seinen Worten ergriffen wurden und unter Thränen des Mitleids ihm Recht geben mußten. Als Odysseus ihre Rührung bemerkte, nahm auch er das Wort und sprach: "Mir däucht, ihr sollet wissen, Häup¬ ter und andre Bewohner von Troja, daß die Griechen ein Volk sind, die nichts unüberlegter Weise unternehmen, und daß sie schon von ihren Vorfahren her bei allen ihren Thaten darauf bedacht sind, Lob und nicht Schmach davon zu tragen. So wisset ihr denn auch, daß nach der unerhörten Beleidigung, die uns Allen eures Königes Sohn Paris durch die Entführung der Fürstin Helena angethan hat, wir, bevor wir die Waffen gegen euch erhoben, zur gütlichen Beilegung dieses Handels eine friedliche Gesandtschaft an euch geschickt haben. Erst als dieß vergebens war, ist der Krieg, und zwar noch dazu durch einen Ueberfall von eurer Seite, begonnen worden. Auch jetzt, nachdem ihr unsern Arm gefühlt
Schutze des Völkerrechts als heilige Geſandte von den Trojanern ohne Widerſpruch in ihre Mauern aufge¬ nommen.
Priamus und ſeine Söhne in ihrem Königspallaſte, der fern auf der Burg der Stadt gelegen war, wußten noch nicht, was zu ihren Füßen vorging, als ſchon die Geſandtſchaft auf dem Marktplatze Troja's ſtille hielt und, von trojaniſchem Volk umgeben, Menelaus das Wort ergriff und ſich mit herzzerſchneidenden Worten über die frevelhafte Verletzung des Völkerrechts beklagte, die ſich Paris an ſeinem heiligſten und theuerſten Beſitzthum durch den frechen Raub ſeiner Gemahlin zu Schulden kommen laſſen. Er ſprach ſo beredt und eindringlich, daß die umſtehenden Trojaner alle, und darunter die älteſten Häupter des Volkes, von ſeinen Worten ergriffen wurden und unter Thränen des Mitleids ihm Recht geben mußten. Als Odyſſeus ihre Rührung bemerkte, nahm auch er das Wort und ſprach: „Mir däucht, ihr ſollet wiſſen, Häup¬ ter und andre Bewohner von Troja, daß die Griechen ein Volk ſind, die nichts unüberlegter Weiſe unternehmen, und daß ſie ſchon von ihren Vorfahren her bei allen ihren Thaten darauf bedacht ſind, Lob und nicht Schmach davon zu tragen. So wiſſet ihr denn auch, daß nach der unerhörten Beleidigung, die uns Allen eures Königes Sohn Paris durch die Entführung der Fürſtin Helena angethan hat, wir, bevor wir die Waffen gegen euch erhoben, zur gütlichen Beilegung dieſes Handels eine friedliche Geſandtſchaft an euch geſchickt haben. Erſt als dieß vergebens war, iſt der Krieg, und zwar noch dazu durch einen Ueberfall von eurer Seite, begonnen worden. Auch jetzt, nachdem ihr unſern Arm gefühlt
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Schutze des Völkerrechts als heilige Geſandte von den
Trojanern ohne Widerſpruch in ihre Mauern aufge¬
nommen.
Priamus und ſeine Söhne in ihrem Königspallaſte,
der fern auf der Burg der Stadt gelegen war, wußten
noch nicht, was zu ihren Füßen vorging, als ſchon die
Geſandtſchaft auf dem Marktplatze Troja's ſtille hielt und,
von trojaniſchem Volk umgeben, Menelaus das Wort
ergriff und ſich mit herzzerſchneidenden Worten über die
frevelhafte Verletzung des Völkerrechts beklagte, die ſich
Paris an ſeinem heiligſten und theuerſten Beſitzthum durch
den frechen Raub ſeiner Gemahlin zu Schulden kommen
laſſen. Er ſprach ſo beredt und eindringlich, daß die
umſtehenden Trojaner alle, und darunter die älteſten
Häupter des Volkes, von ſeinen Worten ergriffen wurden
und unter Thränen des Mitleids ihm Recht geben mußten.
Als Odyſſeus ihre Rührung bemerkte, nahm auch er das
Wort und ſprach: „Mir däucht, ihr ſollet wiſſen, Häup¬
ter und andre Bewohner von Troja, daß die Griechen
ein Volk ſind, die nichts unüberlegter Weiſe unternehmen,
und daß ſie ſchon von ihren Vorfahren her bei allen ihren
Thaten darauf bedacht ſind, Lob und nicht Schmach davon
zu tragen. So wiſſet ihr denn auch, daß nach der
unerhörten Beleidigung, die uns Allen eures Königes
Sohn Paris durch die Entführung der Fürſtin Helena
angethan hat, wir, bevor wir die Waffen gegen euch
erhoben, zur gütlichen Beilegung dieſes Handels eine
friedliche Geſandtſchaft an euch geſchickt haben. Erſt
als dieß vergebens war, iſt der Krieg, und zwar noch
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/100>, abgerufen am 22.11.2024.
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