Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

zu bessern, nicht, wohl aber die Gewalt. Wir leben in
einem Staate, in welchem der Befehl des Königes Alles
gilt; ihm sich zu widersetzen, erlaubt die Verfassung unsers
Reiches, der Glaube, den wir von den Vätern ererbt,
und das Gewissen des Volkes keinem von uns. Wir
dürfen in allen öffentlichen Angelegenheiten nur alsdann
sprechen, wenn der König uns zu Rathe zieht; und wenn
wir gesprochen haben, so behält er noch immer freie Hand,
zu thun, was er will; damit du aber erfahrest, was die
Meinung der Besten im Volke über eure Angelegenheit
ist, so werden sich die Aeltesten unseres Volkes versammeln,
und vor euch ihre Meinung abgeben. Dieß ist, was uns
zu thun übrig bleibt und unser König selbst uns nicht ver¬
weigern kann."

Und so geschah es. Antenor veranstaltete einen Rath
der Aeltesten und führte die Gesandten in denselben ein.
Hier führte er den Vorsitz und befragte die Häupter des
Volkes der Reihe nach über die Gewaltthat des Paris.
Die vornehmsten Männer Troja's erklärten der Reihe
nach, daß sie die That für einen fluchwürdigen Frevel
hielten; nur Antimachus, ein kriegslustiger aber tückischer
Mann, vertheidigte den Raub der griechischen Fürstin.
Er war von Paris mit reichlichen Gaben bestochen wor¬
den, wo es immer Gelegenheit gäbe, sich seiner anzuneh¬
men und die Auslieferung Helena's zu verhindern. Auch
dießmal arbeitete er für diesen Zweck und hinter dem
Rücken der Helden ertheilte er den ruchlosen Rath, die
Gesandten der Griechen, drei ihrer tapfersten und klügsten
Helden, umzubringen. Als aber die Trojaner diesen Vor¬
schlag mit Abscheu von sich wiesen, rieth er, sie wenig¬
stens so lange zu behalten, bis sie den gefangenen

zu beſſern, nicht, wohl aber die Gewalt. Wir leben in
einem Staate, in welchem der Befehl des Königes Alles
gilt; ihm ſich zu widerſetzen, erlaubt die Verfaſſung unſers
Reiches, der Glaube, den wir von den Vätern ererbt,
und das Gewiſſen des Volkes keinem von uns. Wir
dürfen in allen öffentlichen Angelegenheiten nur alsdann
ſprechen, wenn der König uns zu Rathe zieht; und wenn
wir geſprochen haben, ſo behält er noch immer freie Hand,
zu thun, was er will; damit du aber erfahreſt, was die
Meinung der Beſten im Volke über eure Angelegenheit
iſt, ſo werden ſich die Aelteſten unſeres Volkes verſammeln,
und vor euch ihre Meinung abgeben. Dieß iſt, was uns
zu thun übrig bleibt und unſer König ſelbſt uns nicht ver¬
weigern kann.“

Und ſo geſchah es. Antenor veranſtaltete einen Rath
der Aelteſten und führte die Geſandten in denſelben ein.
Hier führte er den Vorſitz und befragte die Häupter des
Volkes der Reihe nach über die Gewaltthat des Paris.
Die vornehmſten Männer Troja's erklärten der Reihe
nach, daß ſie die That für einen fluchwürdigen Frevel
hielten; nur Antimachus, ein kriegsluſtiger aber tückiſcher
Mann, vertheidigte den Raub der griechiſchen Fürſtin.
Er war von Paris mit reichlichen Gaben beſtochen wor¬
den, wo es immer Gelegenheit gäbe, ſich ſeiner anzuneh¬
men und die Auslieferung Helena's zu verhindern. Auch
dießmal arbeitete er für dieſen Zweck und hinter dem
Rücken der Helden ertheilte er den ruchloſen Rath, die
Geſandten der Griechen, drei ihrer tapferſten und klügſten
Helden, umzubringen. Als aber die Trojaner dieſen Vor¬
ſchlag mit Abſcheu von ſich wieſen, rieth er, ſie wenig¬
ſtens ſo lange zu behalten, bis ſie den gefangenen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0102" n="80"/>
zu be&#x017F;&#x017F;ern, nicht, wohl aber die Gewalt. Wir leben in<lb/>
einem Staate, in welchem der Befehl des Königes Alles<lb/>
gilt; ihm &#x017F;ich zu wider&#x017F;etzen, erlaubt die Verfa&#x017F;&#x017F;ung un&#x017F;ers<lb/>
Reiches, der Glaube, den wir von den Vätern ererbt,<lb/>
und das Gewi&#x017F;&#x017F;en des Volkes keinem von uns. Wir<lb/>
dürfen in allen öffentlichen Angelegenheiten nur alsdann<lb/>
&#x017F;prechen, wenn der König uns zu Rathe zieht; und wenn<lb/>
wir ge&#x017F;prochen haben, &#x017F;o behält er noch immer freie Hand,<lb/>
zu thun, was er will; damit du aber erfahre&#x017F;t, was die<lb/>
Meinung der Be&#x017F;ten im Volke über eure Angelegenheit<lb/>
i&#x017F;t, &#x017F;o werden &#x017F;ich die Aelte&#x017F;ten un&#x017F;eres Volkes ver&#x017F;ammeln,<lb/>
und vor euch ihre Meinung abgeben. Dieß i&#x017F;t, was uns<lb/>
zu thun übrig bleibt und un&#x017F;er König &#x017F;elb&#x017F;t uns nicht ver¬<lb/>
weigern kann.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Und &#x017F;o ge&#x017F;chah es. Antenor veran&#x017F;taltete einen Rath<lb/>
der Aelte&#x017F;ten und führte die Ge&#x017F;andten in den&#x017F;elben ein.<lb/>
Hier führte er den Vor&#x017F;itz und befragte die Häupter des<lb/>
Volkes der Reihe nach über die Gewaltthat des Paris.<lb/>
Die vornehm&#x017F;ten Männer Troja's erklärten der Reihe<lb/>
nach, daß &#x017F;ie die That für einen fluchwürdigen Frevel<lb/>
hielten; nur Antimachus, ein kriegslu&#x017F;tiger aber tücki&#x017F;cher<lb/>
Mann, vertheidigte den Raub der griechi&#x017F;chen Für&#x017F;tin.<lb/>
Er war von Paris mit reichlichen Gaben be&#x017F;tochen wor¬<lb/>
den, wo es immer Gelegenheit gäbe, &#x017F;ich &#x017F;einer anzuneh¬<lb/>
men und die Auslieferung Helena's zu verhindern. Auch<lb/>
dießmal arbeitete er für die&#x017F;en Zweck und hinter dem<lb/>
Rücken der Helden ertheilte er den ruchlo&#x017F;en Rath, die<lb/>
Ge&#x017F;andten der Griechen, drei ihrer tapfer&#x017F;ten und klüg&#x017F;ten<lb/>
Helden, umzubringen. Als aber die Trojaner die&#x017F;en Vor¬<lb/>
&#x017F;chlag mit Ab&#x017F;cheu von &#x017F;ich wie&#x017F;en, rieth er, &#x017F;ie wenig¬<lb/>
&#x017F;tens &#x017F;o lange zu behalten, bis &#x017F;ie den gefangenen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0102] zu beſſern, nicht, wohl aber die Gewalt. Wir leben in einem Staate, in welchem der Befehl des Königes Alles gilt; ihm ſich zu widerſetzen, erlaubt die Verfaſſung unſers Reiches, der Glaube, den wir von den Vätern ererbt, und das Gewiſſen des Volkes keinem von uns. Wir dürfen in allen öffentlichen Angelegenheiten nur alsdann ſprechen, wenn der König uns zu Rathe zieht; und wenn wir geſprochen haben, ſo behält er noch immer freie Hand, zu thun, was er will; damit du aber erfahreſt, was die Meinung der Beſten im Volke über eure Angelegenheit iſt, ſo werden ſich die Aelteſten unſeres Volkes verſammeln, und vor euch ihre Meinung abgeben. Dieß iſt, was uns zu thun übrig bleibt und unſer König ſelbſt uns nicht ver¬ weigern kann.“ Und ſo geſchah es. Antenor veranſtaltete einen Rath der Aelteſten und führte die Geſandten in denſelben ein. Hier führte er den Vorſitz und befragte die Häupter des Volkes der Reihe nach über die Gewaltthat des Paris. Die vornehmſten Männer Troja's erklärten der Reihe nach, daß ſie die That für einen fluchwürdigen Frevel hielten; nur Antimachus, ein kriegsluſtiger aber tückiſcher Mann, vertheidigte den Raub der griechiſchen Fürſtin. Er war von Paris mit reichlichen Gaben beſtochen wor¬ den, wo es immer Gelegenheit gäbe, ſich ſeiner anzuneh¬ men und die Auslieferung Helena's zu verhindern. Auch dießmal arbeitete er für dieſen Zweck und hinter dem Rücken der Helden ertheilte er den ruchloſen Rath, die Geſandten der Griechen, drei ihrer tapferſten und klügſten Helden, umzubringen. Als aber die Trojaner dieſen Vor¬ ſchlag mit Abſcheu von ſich wieſen, rieth er, ſie wenig¬ ſtens ſo lange zu behalten, bis ſie den gefangenen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/102
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/102>, abgerufen am 21.11.2024.