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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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gesendet hatte. Diese sprengten aus den Reihen der Ihri¬
gen auf Diomedes hervor mit ihren Streitwagen, wäh¬
rend der griechische Held zu Fuße kämpfte. Zuerst sandte
Phegeus seine Lanze ab; sie fuhr aber links an der
Schulter des Tydiden vorbei, ohne ihn zu verwunden.
Des Diomedes Wurfspieß dagegen traf den Phegeus in
die Brust und stürzte ihn vom Wagen. Als sein Bruder
Idäus dieses sah, wagte er es nicht den Leichnam seines
Bruders zu schirmen, sondern sprang vom Wagen und
entfloh, indem der Beschirmer seines Vaters, Vulkanus,
Finsterniß um ihn her verbreitete; denn dieser wollte nicht,
daß sein Priester beide Söhne verlöre.

Jetzt nahm Athene ihren Bruder, den Kriegsgott
Mars bei der Hand und sprach zu ihm: "Bruder, wollen
wir nicht Troer und Griechen jetzt sich selbst überlassen
und eine Weile zusehen, welchem Volke die Fürsehung
unsers Vaters den Sieg zuwende?" Mars ließ sich von
der Schwester aus der Schlacht hinausführen und nun
waren die Sterblichen sich selbst überlassen, doch wußte
Minerva wohl, daß ihr Liebling Diomedes mit ihrer
Kraft ausgerüstet streite. Nun fingen die Argiver an,
den Feind erst recht hart zu bedrängen und vor jedem
griechischen Führer sank ein Trojaner dahin. Agamemnon
jagte dem Hodius den Speer ins Schulterblatt; Idomeneus
durchstach den Phästus aus Tarne, daß er dem Wagen
entstürzte; der kundige Jäger Skamandrius wurde von
der spitzen Lanze des Menelaus durchbohrt; den kunst¬
vollen Phereklus, der dem Paris die räuberischen Schiffe
gezimmert hatte, traf Meriones; und andere fielen von
anderer Hand. Der Tydide aber durchtobte das Feld
wie ein angeschwollener Herbststrom und man wußte nicht,

geſendet hatte. Dieſe ſprengten aus den Reihen der Ihri¬
gen auf Diomedes hervor mit ihren Streitwagen, wäh¬
rend der griechiſche Held zu Fuße kämpfte. Zuerſt ſandte
Phegeus ſeine Lanze ab; ſie fuhr aber links an der
Schulter des Tydiden vorbei, ohne ihn zu verwunden.
Des Diomedes Wurfſpieß dagegen traf den Phegeus in
die Bruſt und ſtürzte ihn vom Wagen. Als ſein Bruder
Idäus dieſes ſah, wagte er es nicht den Leichnam ſeines
Bruders zu ſchirmen, ſondern ſprang vom Wagen und
entfloh, indem der Beſchirmer ſeines Vaters, Vulkanus,
Finſterniß um ihn her verbreitete; denn dieſer wollte nicht,
daß ſein Prieſter beide Söhne verlöre.

Jetzt nahm Athene ihren Bruder, den Kriegsgott
Mars bei der Hand und ſprach zu ihm: „Bruder, wollen
wir nicht Troer und Griechen jetzt ſich ſelbſt überlaſſen
und eine Weile zuſehen, welchem Volke die Fürſehung
unſers Vaters den Sieg zuwende?“ Mars ließ ſich von
der Schweſter aus der Schlacht hinausführen und nun
waren die Sterblichen ſich ſelbſt überlaſſen, doch wußte
Minerva wohl, daß ihr Liebling Diomedes mit ihrer
Kraft ausgerüſtet ſtreite. Nun fingen die Argiver an,
den Feind erſt recht hart zu bedrängen und vor jedem
griechiſchen Führer ſank ein Trojaner dahin. Agamemnon
jagte dem Hodius den Speer ins Schulterblatt; Idomeneus
durchſtach den Phäſtus aus Tarne, daß er dem Wagen
entſtürzte; der kundige Jäger Skamandrius wurde von
der ſpitzen Lanze des Menelaus durchbohrt; den kunſt¬
vollen Phereklus, der dem Paris die räuberiſchen Schiffe
gezimmert hatte, traf Meriones; und andere fielen von
anderer Hand. Der Tydide aber durchtobte das Feld
wie ein angeſchwollener Herbſtſtrom und man wußte nicht,

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[120/0142] geſendet hatte. Dieſe ſprengten aus den Reihen der Ihri¬ gen auf Diomedes hervor mit ihren Streitwagen, wäh¬ rend der griechiſche Held zu Fuße kämpfte. Zuerſt ſandte Phegeus ſeine Lanze ab; ſie fuhr aber links an der Schulter des Tydiden vorbei, ohne ihn zu verwunden. Des Diomedes Wurfſpieß dagegen traf den Phegeus in die Bruſt und ſtürzte ihn vom Wagen. Als ſein Bruder Idäus dieſes ſah, wagte er es nicht den Leichnam ſeines Bruders zu ſchirmen, ſondern ſprang vom Wagen und entfloh, indem der Beſchirmer ſeines Vaters, Vulkanus, Finſterniß um ihn her verbreitete; denn dieſer wollte nicht, daß ſein Prieſter beide Söhne verlöre. Jetzt nahm Athene ihren Bruder, den Kriegsgott Mars bei der Hand und ſprach zu ihm: „Bruder, wollen wir nicht Troer und Griechen jetzt ſich ſelbſt überlaſſen und eine Weile zuſehen, welchem Volke die Fürſehung unſers Vaters den Sieg zuwende?“ Mars ließ ſich von der Schweſter aus der Schlacht hinausführen und nun waren die Sterblichen ſich ſelbſt überlaſſen, doch wußte Minerva wohl, daß ihr Liebling Diomedes mit ihrer Kraft ausgerüſtet ſtreite. Nun fingen die Argiver an, den Feind erſt recht hart zu bedrängen und vor jedem griechiſchen Führer ſank ein Trojaner dahin. Agamemnon jagte dem Hodius den Speer ins Schulterblatt; Idomeneus durchſtach den Phäſtus aus Tarne, daß er dem Wagen entſtürzte; der kundige Jäger Skamandrius wurde von der ſpitzen Lanze des Menelaus durchbohrt; den kunſt¬ vollen Phereklus, der dem Paris die räuberiſchen Schiffe gezimmert hatte, traf Meriones; und andere fielen von anderer Hand. Der Tydide aber durchtobte das Feld wie ein angeſchwollener Herbſtſtrom und man wußte nicht,

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/142>, abgerufen am 21.11.2024.