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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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sie dir naht, die magst du mit deinem Speere ver¬
wunden!"

Nun flog Diomedes in das vorderste Treffen zurück,
mit dreifachem Muth und mit Kraft wie ein Berglöwe
ausgerüstet. Hier hieb er den Astynous durch einen
Streich ins Schultergelenke nieder; dort durchbohrte er
den Hypenor mit der Lanze; dann erlegte er zwei Söhne
des Eurydamas; dann zwei spätgeborne Söhne des Phä¬
nops, daß dem Vater nur der Gram zurück blieb; dann
warf er zwei Söhne des Priamus, den Chromius und
Echemon zugleich aus dem Wagen mit Gewalt und
beraubte sie der Rüstung, indeß die Seinigen den erbeu¬
teten Streitwagen nach den Schiffen abführten.

Aeneas, der tapfre Eydam des Königes Priamus,
sah, wie dünn die Reihen der Trojaner unter den Strei¬
chen und Stößen des Tydiden wurden. Deßwegen eilte
er durch die stürmenden Geschosse hin, bis er den Pan¬
darus traf, den er so anredete: "Sohn Lykaons, wo
bleibt dein Bogen und Pfeil, wo dein Ruhm, den bisher
kein Lycier, kein Trojaner dir streitig machte? Sende
doch dem Manne, der den Troern so viel Böses thut,
noch ein Geschoß zu; wenn er nicht anders ein unsterb¬
licher Gott in menschlicher Gestalt ist!" Ihm antwortete
Pandarus: "Wenn es nicht ein Gott ist, so ist's der
Tydide Diomedes, den ich erschossen zu haben glaubte.
Ist er es aber, so hat sich ein Unsterblicher seiner erbarmt
und steht ihm auch jetzt noch zur Seite! Dann bin ich
wohl ein unglücklicher Kämpfer! Schon gegen zween grie¬
chische Heerfürsten sandte ich den Pfeil ab; verwundete
beide, ohne sie zu tödten, und habe sie nur wüthender
gemacht! Wahrhaftig, zur Unglücksstunde habe ich Köcher

ſie dir naht, die magſt du mit deinem Speere ver¬
wunden!“

Nun flog Diomedes in das vorderſte Treffen zurück,
mit dreifachem Muth und mit Kraft wie ein Berglöwe
ausgerüſtet. Hier hieb er den Aſtynous durch einen
Streich ins Schultergelenke nieder; dort durchbohrte er
den Hypenor mit der Lanze; dann erlegte er zwei Söhne
des Eurydamas; dann zwei ſpätgeborne Söhne des Phä¬
nops, daß dem Vater nur der Gram zurück blieb; dann
warf er zwei Söhne des Priamus, den Chromius und
Echemon zugleich aus dem Wagen mit Gewalt und
beraubte ſie der Rüſtung, indeß die Seinigen den erbeu¬
teten Streitwagen nach den Schiffen abführten.

Aeneas, der tapfre Eydam des Königes Priamus,
ſah, wie dünn die Reihen der Trojaner unter den Strei¬
chen und Stößen des Tydiden wurden. Deßwegen eilte
er durch die ſtürmenden Geſchoſſe hin, bis er den Pan¬
darus traf, den er ſo anredete: „Sohn Lykaons, wo
bleibt dein Bogen und Pfeil, wo dein Ruhm, den bisher
kein Lycier, kein Trojaner dir ſtreitig machte? Sende
doch dem Manne, der den Troern ſo viel Böſes thut,
noch ein Geſchoß zu; wenn er nicht anders ein unſterb¬
licher Gott in menſchlicher Geſtalt iſt!“ Ihm antwortete
Pandarus: „Wenn es nicht ein Gott iſt, ſo iſt's der
Tydide Diomedes, den ich erſchoſſen zu haben glaubte.
Iſt er es aber, ſo hat ſich ein Unſterblicher ſeiner erbarmt
und ſteht ihm auch jetzt noch zur Seite! Dann bin ich
wohl ein unglücklicher Kämpfer! Schon gegen zween grie¬
chiſche Heerfürſten ſandte ich den Pfeil ab; verwundete
beide, ohne ſie zu tödten, und habe ſie nur wüthender
gemacht! Wahrhaftig, zur Unglücksſtunde habe ich Köcher

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[122/0144] ſie dir naht, die magſt du mit deinem Speere ver¬ wunden!“ Nun flog Diomedes in das vorderſte Treffen zurück, mit dreifachem Muth und mit Kraft wie ein Berglöwe ausgerüſtet. Hier hieb er den Aſtynous durch einen Streich ins Schultergelenke nieder; dort durchbohrte er den Hypenor mit der Lanze; dann erlegte er zwei Söhne des Eurydamas; dann zwei ſpätgeborne Söhne des Phä¬ nops, daß dem Vater nur der Gram zurück blieb; dann warf er zwei Söhne des Priamus, den Chromius und Echemon zugleich aus dem Wagen mit Gewalt und beraubte ſie der Rüſtung, indeß die Seinigen den erbeu¬ teten Streitwagen nach den Schiffen abführten. Aeneas, der tapfre Eydam des Königes Priamus, ſah, wie dünn die Reihen der Trojaner unter den Strei¬ chen und Stößen des Tydiden wurden. Deßwegen eilte er durch die ſtürmenden Geſchoſſe hin, bis er den Pan¬ darus traf, den er ſo anredete: „Sohn Lykaons, wo bleibt dein Bogen und Pfeil, wo dein Ruhm, den bisher kein Lycier, kein Trojaner dir ſtreitig machte? Sende doch dem Manne, der den Troern ſo viel Böſes thut, noch ein Geſchoß zu; wenn er nicht anders ein unſterb¬ licher Gott in menſchlicher Geſtalt iſt!“ Ihm antwortete Pandarus: „Wenn es nicht ein Gott iſt, ſo iſt's der Tydide Diomedes, den ich erſchoſſen zu haben glaubte. Iſt er es aber, ſo hat ſich ein Unſterblicher ſeiner erbarmt und ſteht ihm auch jetzt noch zur Seite! Dann bin ich wohl ein unglücklicher Kämpfer! Schon gegen zween grie¬ chiſche Heerfürſten ſandte ich den Pfeil ab; verwundete beide, ohne ſie zu tödten, und habe ſie nur wüthender gemacht! Wahrhaftig, zur Unglücksſtunde habe ich Köcher

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/144>, abgerufen am 21.11.2024.