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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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mit dicht gereihten spitzen Pfählen bepflanzt. Nur die
Fußvölker versuchten daher den Uebergang. Als dieß
Polydamas sah, ging er mit Hektor zu Rathe und sprach:
"Wir wären Alle verloren, wenn wir es mit den Rossen
wagen wollten, und kämen ruhmlos in der Tiefe des Gra¬
bens um. Lasset deßwegen die Wagenlenker die Rosse hier
am Graben hemmen, uns selbst aber in den ehernen Waf¬
fen eine Fußschaar bilden, unter deiner Führung über den
Graben setzen und den Wall durchbrechen."

Hektor billigte diesen Rath. Auf seinen Befehl stürm¬
ten alle Helden von den Wagen, mit Ausnahme der Len¬
ker; sie schaarten sich in fünf Ordnungen, die erste unter
Hektor und Polydamas, die andere unter Paris, die
dritte führten Helenus und Deiphobus, der vierten gebot
Aeneas; an der Spitze der Bundesgenossen schritt Sarpe¬
don und Glaukus. Diese Fürsten alle aber hatten an¬
dere bewährte Helden zur Seite. Von den sämmt¬
lichen Streitern wollte nur Asius seinen Wagen nicht
verlassen. Er wandte sich mit demselben zur Linken, wo
die Achajer selbst beim Bau einen Durchgang für ihre
eigenen Rosse und Streitwagen gelassen hatten. Hier sah
er die Flügel des Thores offen, denn die Griechen harrten,
ob nicht noch ein verspäteter Genosse käme, der dem Tref¬
fen entflohen, Rettung im Lager suchte. So lenkte Asius
die Rosse gerade auf den Durchgang los, und andere
Trojaner folgten ihm zu Fuße mit lautem Geschrei nach.
Aber am Eingang waren zwei tapfere Männer aufgestellt,
Polypötes, der Sohn des Pirithons, und Leonteus. Diese
standen am Thore, hohen Bergeichen gleich, die, mit
langen und breiten Wurzeln in den Boden eingesenkt, in
Sturm und Regenschauer unverrückt aushalten. Plötzlich

mit dicht gereihten ſpitzen Pfählen bepflanzt. Nur die
Fußvölker verſuchten daher den Uebergang. Als dieß
Polydamas ſah, ging er mit Hektor zu Rathe und ſprach:
„Wir wären Alle verloren, wenn wir es mit den Roſſen
wagen wollten, und kämen ruhmlos in der Tiefe des Gra¬
bens um. Laſſet deßwegen die Wagenlenker die Roſſe hier
am Graben hemmen, uns ſelbſt aber in den ehernen Waf¬
fen eine Fußſchaar bilden, unter deiner Führung über den
Graben ſetzen und den Wall durchbrechen.“

Hektor billigte dieſen Rath. Auf ſeinen Befehl ſtürm¬
ten alle Helden von den Wagen, mit Ausnahme der Len¬
ker; ſie ſchaarten ſich in fünf Ordnungen, die erſte unter
Hektor und Polydamas, die andere unter Paris, die
dritte führten Helenus und Deïphobus, der vierten gebot
Aeneas; an der Spitze der Bundesgenoſſen ſchritt Sarpe¬
don und Glaukus. Dieſe Fürſten alle aber hatten an¬
dere bewährte Helden zur Seite. Von den ſämmt¬
lichen Streitern wollte nur Aſius ſeinen Wagen nicht
verlaſſen. Er wandte ſich mit demſelben zur Linken, wo
die Achajer ſelbſt beim Bau einen Durchgang für ihre
eigenen Roſſe und Streitwagen gelaſſen hatten. Hier ſah
er die Flügel des Thores offen, denn die Griechen harrten,
ob nicht noch ein verſpäteter Genoſſe käme, der dem Tref¬
fen entflohen, Rettung im Lager ſuchte. So lenkte Aſius
die Roſſe gerade auf den Durchgang los, und andere
Trojaner folgten ihm zu Fuße mit lautem Geſchrei nach.
Aber am Eingang waren zwei tapfere Männer aufgeſtellt,
Polypötes, der Sohn des Pirithons, und Leonteus. Dieſe
ſtanden am Thore, hohen Bergeichen gleich, die, mit
langen und breiten Wurzeln in den Boden eingeſenkt, in
Sturm und Regenſchauer unverrückt aushalten. Plötzlich

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[183/0205] mit dicht gereihten ſpitzen Pfählen bepflanzt. Nur die Fußvölker verſuchten daher den Uebergang. Als dieß Polydamas ſah, ging er mit Hektor zu Rathe und ſprach: „Wir wären Alle verloren, wenn wir es mit den Roſſen wagen wollten, und kämen ruhmlos in der Tiefe des Gra¬ bens um. Laſſet deßwegen die Wagenlenker die Roſſe hier am Graben hemmen, uns ſelbſt aber in den ehernen Waf¬ fen eine Fußſchaar bilden, unter deiner Führung über den Graben ſetzen und den Wall durchbrechen.“ Hektor billigte dieſen Rath. Auf ſeinen Befehl ſtürm¬ ten alle Helden von den Wagen, mit Ausnahme der Len¬ ker; ſie ſchaarten ſich in fünf Ordnungen, die erſte unter Hektor und Polydamas, die andere unter Paris, die dritte führten Helenus und Deïphobus, der vierten gebot Aeneas; an der Spitze der Bundesgenoſſen ſchritt Sarpe¬ don und Glaukus. Dieſe Fürſten alle aber hatten an¬ dere bewährte Helden zur Seite. Von den ſämmt¬ lichen Streitern wollte nur Aſius ſeinen Wagen nicht verlaſſen. Er wandte ſich mit demſelben zur Linken, wo die Achajer ſelbſt beim Bau einen Durchgang für ihre eigenen Roſſe und Streitwagen gelaſſen hatten. Hier ſah er die Flügel des Thores offen, denn die Griechen harrten, ob nicht noch ein verſpäteter Genoſſe käme, der dem Tref¬ fen entflohen, Rettung im Lager ſuchte. So lenkte Aſius die Roſſe gerade auf den Durchgang los, und andere Trojaner folgten ihm zu Fuße mit lautem Geſchrei nach. Aber am Eingang waren zwei tapfere Männer aufgeſtellt, Polypötes, der Sohn des Pirithons, und Leonteus. Dieſe ſtanden am Thore, hohen Bergeichen gleich, die, mit langen und breiten Wurzeln in den Boden eingeſenkt, in Sturm und Regenſchauer unverrückt aushalten. Plötzlich

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/205>, abgerufen am 27.11.2024.