So, während die Schlacht auch an andern Punkten nicht feierte, wetteiferten sie hier den ganzen Tag in im¬ mer wüthender Mordlust, und über Schenkel und Knie, bis zu den Füßen hinab, trof den Streitern der Schweiß. "Schlinge uns," riefen die Danaer, "lieber der Boden hinab, als daß wir diesen Leichnam den Trojanern über¬ lassen, und ohne Ruhm zu den Schiffen kehren!" "Und müßten wir," schrien dagegen die Trojaner, "Alle mitein¬ ander bei diesem Manne sterben, so säume doch Keiner im Kampf!"
Während sie so stritten, standen die unsterblichen Rosse des Achilles abwärts vom Schlachtfeld. Als sie vernom¬ men, daß ihr Wagenlenker Patroklus, von der Hand Hektors ermordet, im Staube gestreckt liege, fingen sie an zu weinen, wie Menschen thun. Vergebens bemühte sich Automedon, sie jetzt mit der Geißel zu beflügeln, jetzt mit Schmeichelworten, jetzt mit Drohungen anzutreiben. Nicht heim zu den Schiffen wollten sie gehen, nicht zu den Griechen in die Feldschlacht, sondern wie die Säule, die unbeweglich über dem Grabhügel eines Verstorbenen steht, standen sie beide vor dem Wagensitze fest, ihre Häupter auf den Boden gesenkt; ihre Mähne sank wallend und mit Staub besudelt aus dem Ringe des Jochs hervor, und aus den Wimpern tropften ihnen heiße Thränen. Nicht ohne Mitleid konnte sie Zeus von seiner Höhe herab er¬ blicken. "Ihr armen Thiere," sprach er bei sich selbst, "warum haben wir euch ewig Junge, Unsterbliche, dem sterblichen Peleus geschenkt! etwa daß ihr mit den unseli¬ gen Menschen Gram ertragen sollet? Denn es gibt doch nichts Jammervolleres auf Erden von Allem, was athmet und sich regt, als der Mensch! Aber umsonst hofft Hektor,
So, während die Schlacht auch an andern Punkten nicht feierte, wetteiferten ſie hier den ganzen Tag in im¬ mer wüthender Mordluſt, und über Schenkel und Knie, bis zu den Füßen hinab, trof den Streitern der Schweiß. „Schlinge uns,“ riefen die Danaer, „lieber der Boden hinab, als daß wir dieſen Leichnam den Trojanern über¬ laſſen, und ohne Ruhm zu den Schiffen kehren!“ „Und müßten wir,“ ſchrien dagegen die Trojaner, „Alle mitein¬ ander bei dieſem Manne ſterben, ſo ſäume doch Keiner im Kampf!“
Während ſie ſo ſtritten, ſtanden die unſterblichen Roſſe des Achilles abwärts vom Schlachtfeld. Als ſie vernom¬ men, daß ihr Wagenlenker Patroklus, von der Hand Hektors ermordet, im Staube geſtreckt liege, fingen ſie an zu weinen, wie Menſchen thun. Vergebens bemühte ſich Automedon, ſie jetzt mit der Geißel zu beflügeln, jetzt mit Schmeichelworten, jetzt mit Drohungen anzutreiben. Nicht heim zu den Schiffen wollten ſie gehen, nicht zu den Griechen in die Feldſchlacht, ſondern wie die Säule, die unbeweglich über dem Grabhügel eines Verſtorbenen ſteht, ſtanden ſie beide vor dem Wagenſitze feſt, ihre Häupter auf den Boden geſenkt; ihre Mähne ſank wallend und mit Staub beſudelt aus dem Ringe des Jochs hervor, und aus den Wimpern tropften ihnen heiße Thränen. Nicht ohne Mitleid konnte ſie Zeus von ſeiner Höhe herab er¬ blicken. „Ihr armen Thiere,“ ſprach er bei ſich ſelbſt, „warum haben wir euch ewig Junge, Unſterbliche, dem ſterblichen Peleus geſchenkt! etwa daß ihr mit den unſeli¬ gen Menſchen Gram ertragen ſollet? Denn es gibt doch nichts Jammervolleres auf Erden von Allem, was athmet und ſich regt, als der Menſch! Aber umſonſt hofft Hektor,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0254"n="232"/><p>So, während die Schlacht auch an andern Punkten<lb/>
nicht feierte, wetteiferten ſie hier den ganzen Tag in im¬<lb/>
mer wüthender Mordluſt, und über Schenkel und Knie,<lb/>
bis zu den Füßen hinab, trof den Streitern der Schweiß.<lb/>„Schlinge uns,“ riefen die Danaer, „lieber der Boden<lb/>
hinab, als daß wir dieſen Leichnam den Trojanern über¬<lb/>
laſſen, und ohne Ruhm zu den Schiffen kehren!“„Und<lb/>
müßten wir,“ſchrien dagegen die Trojaner, „Alle mitein¬<lb/>
ander bei dieſem Manne ſterben, ſo ſäume doch Keiner<lb/>
im Kampf!“</p><lb/><p>Während ſie ſo ſtritten, ſtanden die unſterblichen Roſſe<lb/>
des Achilles abwärts vom Schlachtfeld. Als ſie vernom¬<lb/>
men, daß ihr Wagenlenker Patroklus, von der Hand<lb/>
Hektors ermordet, im Staube geſtreckt liege, fingen ſie an<lb/>
zu weinen, wie Menſchen thun. Vergebens bemühte ſich<lb/>
Automedon, ſie jetzt mit der Geißel zu beflügeln, jetzt mit<lb/>
Schmeichelworten, jetzt mit Drohungen anzutreiben. Nicht<lb/>
heim zu den Schiffen wollten ſie gehen, nicht zu den<lb/>
Griechen in die Feldſchlacht, ſondern wie die Säule, die<lb/>
unbeweglich über dem Grabhügel eines Verſtorbenen ſteht,<lb/>ſtanden ſie beide vor dem Wagenſitze feſt, ihre Häupter<lb/>
auf den Boden geſenkt; ihre Mähne ſank wallend und mit<lb/>
Staub beſudelt aus dem Ringe des Jochs hervor, und<lb/>
aus den Wimpern tropften ihnen heiße Thränen. Nicht<lb/>
ohne Mitleid konnte ſie Zeus von ſeiner Höhe herab er¬<lb/>
blicken. „Ihr armen Thiere,“ſprach er bei ſich ſelbſt,<lb/>„warum haben wir euch ewig Junge, Unſterbliche, dem<lb/>ſterblichen Peleus geſchenkt! etwa daß ihr mit den unſeli¬<lb/>
gen Menſchen Gram ertragen ſollet? Denn es gibt doch<lb/>
nichts Jammervolleres auf Erden von Allem, was athmet<lb/>
und ſich regt, als der Menſch! Aber umſonſt hofft Hektor,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[232/0254]
So, während die Schlacht auch an andern Punkten
nicht feierte, wetteiferten ſie hier den ganzen Tag in im¬
mer wüthender Mordluſt, und über Schenkel und Knie,
bis zu den Füßen hinab, trof den Streitern der Schweiß.
„Schlinge uns,“ riefen die Danaer, „lieber der Boden
hinab, als daß wir dieſen Leichnam den Trojanern über¬
laſſen, und ohne Ruhm zu den Schiffen kehren!“ „Und
müßten wir,“ ſchrien dagegen die Trojaner, „Alle mitein¬
ander bei dieſem Manne ſterben, ſo ſäume doch Keiner
im Kampf!“
Während ſie ſo ſtritten, ſtanden die unſterblichen Roſſe
des Achilles abwärts vom Schlachtfeld. Als ſie vernom¬
men, daß ihr Wagenlenker Patroklus, von der Hand
Hektors ermordet, im Staube geſtreckt liege, fingen ſie an
zu weinen, wie Menſchen thun. Vergebens bemühte ſich
Automedon, ſie jetzt mit der Geißel zu beflügeln, jetzt mit
Schmeichelworten, jetzt mit Drohungen anzutreiben. Nicht
heim zu den Schiffen wollten ſie gehen, nicht zu den
Griechen in die Feldſchlacht, ſondern wie die Säule, die
unbeweglich über dem Grabhügel eines Verſtorbenen ſteht,
ſtanden ſie beide vor dem Wagenſitze feſt, ihre Häupter
auf den Boden geſenkt; ihre Mähne ſank wallend und mit
Staub beſudelt aus dem Ringe des Jochs hervor, und
aus den Wimpern tropften ihnen heiße Thränen. Nicht
ohne Mitleid konnte ſie Zeus von ſeiner Höhe herab er¬
blicken. „Ihr armen Thiere,“ ſprach er bei ſich ſelbſt,
„warum haben wir euch ewig Junge, Unſterbliche, dem
ſterblichen Peleus geſchenkt! etwa daß ihr mit den unſeli¬
gen Menſchen Gram ertragen ſollet? Denn es gibt doch
nichts Jammervolleres auf Erden von Allem, was athmet
und ſich regt, als der Menſch! Aber umſonſt hofft Hektor,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/254>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.