Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Trojaner oder Troer genannt wurden. Nachfolger des Köni¬
ges Tros war sein ältester Sohn Ilus. Als dieser einst das
benachbarte Land der Phryger besuchte, wurde er von dem
Könige Phrygiens zu eben angeordneten Kampfspielen
eingeladen, und trug hier im Ringkampfe den Sieg davon.
Er erhielt als Kampfpreis fünfzig Jünglinge und eben so
viele Jungfrauen, dazu eine buntgefleckte Kuh, die ihm der
König mit der Weisung eines alten Orakelspruches über¬
gab, wo sie sich niederlegen würde, da sollte er eine Burg
gründen. Ilus folgte der Kuh, und da sie sich bei dem
offenen Flecken lagerte, der seit seinem Vater Tros
der Sitz des Landes und seine eigene Wohnung war, auch
schon Troja hieß, so baute er hier auf einem Hügel die
feste Burg Ilion oder Ilios, auch Pergamus geheißen,
wie denn das ganze Wesen von nun an bald Troja, bald
Ilion, bald Pergamus genannt wurde. Ehe er jedoch die
Burg anlegte, bat er seinen Ahnherrn Zeus um ein Zei¬
chen, daß ihm die Gründung derselben genehm sey. Am
folgenden Tage fand er das vom Himmel gefallene Bild
der Göttin Athene, Palladium genannt, vor seinem Zelte
liegen. Es war drei Ellen hoch, hatte geschlossene Füße,
und hielt in der rechten Hand einen erhobenen Speer, in
der andern Rocken und Spindel. Mit diesem Bilde hatte
es folgende Bewandniß. Die Göttin Athene [Minerva]
wurde nach der Sage von ihrer Geburt an bei einem
Triton, einem Meergott, erzogen, der eine Tochter Namens
Pallas hatte, die gleichen Alters mit Athene und ihre ge¬
liebte Gespielin war. Eines Tages nun, als die beiden
Jungfrauen ihren kriegerischen Uebungen oblagen, traten
sie zu einem scherzhaften Wettkampfe einander gegenüber.
Eben wollte die Tritonentochter Pallas einen Streich auf

Trojaner oder Troer genannt wurden. Nachfolger des Köni¬
ges Tros war ſein älteſter Sohn Ilus. Als dieſer einſt das
benachbarte Land der Phryger beſuchte, wurde er von dem
Könige Phrygiens zu eben angeordneten Kampfſpielen
eingeladen, und trug hier im Ringkampfe den Sieg davon.
Er erhielt als Kampfpreis fünfzig Jünglinge und eben ſo
viele Jungfrauen, dazu eine buntgefleckte Kuh, die ihm der
König mit der Weiſung eines alten Orakelſpruches über¬
gab, wo ſie ſich niederlegen würde, da ſollte er eine Burg
gründen. Ilus folgte der Kuh, und da ſie ſich bei dem
offenen Flecken lagerte, der ſeit ſeinem Vater Tros
der Sitz des Landes und ſeine eigene Wohnung war, auch
ſchon Troja hieß, ſo baute er hier auf einem Hügel die
feſte Burg Ilion oder Ilios, auch Pergamus geheißen,
wie denn das ganze Weſen von nun an bald Troja, bald
Ilion, bald Pergamus genannt wurde. Ehe er jedoch die
Burg anlegte, bat er ſeinen Ahnherrn Zeus um ein Zei¬
chen, daß ihm die Gründung derſelben genehm ſey. Am
folgenden Tage fand er das vom Himmel gefallene Bild
der Göttin Athene, Palladium genannt, vor ſeinem Zelte
liegen. Es war drei Ellen hoch, hatte geſchloſſene Füße,
und hielt in der rechten Hand einen erhobenen Speer, in
der andern Rocken und Spindel. Mit dieſem Bilde hatte
es folgende Bewandniß. Die Göttin Athene [Minerva]
wurde nach der Sage von ihrer Geburt an bei einem
Triton, einem Meergott, erzogen, der eine Tochter Namens
Pallas hatte, die gleichen Alters mit Athene und ihre ge¬
liebte Geſpielin war. Eines Tages nun, als die beiden
Jungfrauen ihren kriegeriſchen Uebungen oblagen, traten
ſie zu einem ſcherzhaften Wettkampfe einander gegenüber.
Eben wollte die Tritonentochter Pallas einen Streich auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0026" n="4"/>
Trojaner oder Troer genannt wurden. Nachfolger des Köni¬<lb/>
ges Tros war &#x017F;ein älte&#x017F;ter Sohn Ilus. Als die&#x017F;er ein&#x017F;t das<lb/>
benachbarte Land der Phryger be&#x017F;uchte, wurde er von dem<lb/>
Könige Phrygiens zu eben angeordneten Kampf&#x017F;pielen<lb/>
eingeladen, und trug hier im Ringkampfe den Sieg davon.<lb/>
Er erhielt als Kampfpreis fünfzig Jünglinge und eben &#x017F;o<lb/>
viele Jungfrauen, dazu eine buntgefleckte Kuh, die ihm der<lb/>
König mit der Wei&#x017F;ung eines alten Orakel&#x017F;pruches über¬<lb/>
gab, wo &#x017F;ie &#x017F;ich niederlegen würde, da &#x017F;ollte er eine Burg<lb/>
gründen. Ilus folgte der Kuh, und da &#x017F;ie &#x017F;ich bei dem<lb/>
offenen Flecken lagerte, der &#x017F;eit &#x017F;einem Vater Tros<lb/>
der Sitz des Landes und &#x017F;eine eigene Wohnung war, auch<lb/>
&#x017F;chon Troja hieß, &#x017F;o baute er hier auf einem Hügel die<lb/>
fe&#x017F;te Burg Ilion oder Ilios, auch Pergamus geheißen,<lb/>
wie denn das ganze We&#x017F;en von nun an bald Troja, bald<lb/>
Ilion, bald Pergamus genannt wurde. Ehe er jedoch die<lb/>
Burg anlegte, bat er &#x017F;einen Ahnherrn Zeus um ein Zei¬<lb/>
chen, daß ihm die Gründung der&#x017F;elben genehm &#x017F;ey. Am<lb/>
folgenden Tage fand er das vom Himmel gefallene Bild<lb/>
der Göttin Athene, Palladium genannt, vor &#x017F;einem Zelte<lb/>
liegen. Es war drei Ellen hoch, hatte ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;ene Füße,<lb/>
und hielt in der rechten Hand einen erhobenen Speer, in<lb/>
der andern Rocken und Spindel. Mit die&#x017F;em Bilde hatte<lb/>
es folgende Bewandniß. Die Göttin Athene [Minerva]<lb/>
wurde nach der Sage von ihrer Geburt an bei einem<lb/>
Triton, einem Meergott, erzogen, der eine Tochter Namens<lb/>
Pallas hatte, die gleichen Alters mit Athene und ihre ge¬<lb/>
liebte Ge&#x017F;pielin war. Eines Tages nun, als die beiden<lb/>
Jungfrauen ihren kriegeri&#x017F;chen Uebungen oblagen, traten<lb/>
&#x017F;ie zu einem &#x017F;cherzhaften Wettkampfe einander gegenüber.<lb/>
Eben wollte die Tritonentochter Pallas einen Streich auf<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0026] Trojaner oder Troer genannt wurden. Nachfolger des Köni¬ ges Tros war ſein älteſter Sohn Ilus. Als dieſer einſt das benachbarte Land der Phryger beſuchte, wurde er von dem Könige Phrygiens zu eben angeordneten Kampfſpielen eingeladen, und trug hier im Ringkampfe den Sieg davon. Er erhielt als Kampfpreis fünfzig Jünglinge und eben ſo viele Jungfrauen, dazu eine buntgefleckte Kuh, die ihm der König mit der Weiſung eines alten Orakelſpruches über¬ gab, wo ſie ſich niederlegen würde, da ſollte er eine Burg gründen. Ilus folgte der Kuh, und da ſie ſich bei dem offenen Flecken lagerte, der ſeit ſeinem Vater Tros der Sitz des Landes und ſeine eigene Wohnung war, auch ſchon Troja hieß, ſo baute er hier auf einem Hügel die feſte Burg Ilion oder Ilios, auch Pergamus geheißen, wie denn das ganze Weſen von nun an bald Troja, bald Ilion, bald Pergamus genannt wurde. Ehe er jedoch die Burg anlegte, bat er ſeinen Ahnherrn Zeus um ein Zei¬ chen, daß ihm die Gründung derſelben genehm ſey. Am folgenden Tage fand er das vom Himmel gefallene Bild der Göttin Athene, Palladium genannt, vor ſeinem Zelte liegen. Es war drei Ellen hoch, hatte geſchloſſene Füße, und hielt in der rechten Hand einen erhobenen Speer, in der andern Rocken und Spindel. Mit dieſem Bilde hatte es folgende Bewandniß. Die Göttin Athene [Minerva] wurde nach der Sage von ihrer Geburt an bei einem Triton, einem Meergott, erzogen, der eine Tochter Namens Pallas hatte, die gleichen Alters mit Athene und ihre ge¬ liebte Geſpielin war. Eines Tages nun, als die beiden Jungfrauen ihren kriegeriſchen Uebungen oblagen, traten ſie zu einem ſcherzhaften Wettkampfe einander gegenüber. Eben wollte die Tritonentochter Pallas einen Streich auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/26
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/26>, abgerufen am 03.12.2024.