"Besinnet euch wohl, Trojaner, ob es klug gehandelt ist, dem Rathe eines Solchen zu folgen!"
Polydamas wußte wohl, daß Paris von Helena nicht lassen würde und eher einen Aufruhr im Heere erregen, ja selber sterben, ehe er auf sie verzichtete; darum schwieg er, und die ganze Versammlung mit ihm. Als sie noch sinnend im Rathe saßen, kam die frohe Botschaft, daß Memnon im Anzuge sey. Den Trojanern ward zu Mu¬ the, wie Schiffern, die, dem Tode schon im Rachen, nach dem furchtbarsten Sturme die Sterne wieder am Himmel schimmern sehen; vor Allen aber freute sich der König Priamus, denn er zweifelte nicht, daß es der Ueberzahl der Aethiopier gelingen müßte, die feindlichen Schiffe zu verbrennen.
Als daher Memnon, der hohe Sohn Aurora's, ange¬ kommen war, ehrte der König ihn und die Seinen durch die herrlichsten Gaben und Festmahle. Das Gespräch wurde wieder heiter, und sie gedachten in Ehren der ge¬ fallenen Trojanerhelden. Memnon aber erzählte von sei¬ nem unsterblichen Elternpaare, Thitonus und Aurora; ein andermal vom endlosen Weltmeere und wiederum von den Grenzen der Erde, vom Aufgang der Sonne, und von dem ganzen weiten Wege, den er von den Ufern des Oceans bis zu den Höhen des Berges Ida und der Stadt des Königes Priamus zurückgelegt, und was für Heldenthaten er unterwegs verrichtet habe. Ihm lauschte der Trojanerkönig mit Wohlgefallen; voll Wärme ergriff er seine Hand und sprach: "Memnon, wie danke ich den Göttern, daß sie mir, dem Greise, gegönnet haben, dich und dein Heer noch zu erblicken, und dich selbst in meinem Pallaste zu bewirthen! Fürwahr, du gleichest mehr als
„Beſinnet euch wohl, Trojaner, ob es klug gehandelt iſt, dem Rathe eines Solchen zu folgen!“
Polydamas wußte wohl, daß Paris von Helena nicht laſſen würde und eher einen Aufruhr im Heere erregen, ja ſelber ſterben, ehe er auf ſie verzichtete; darum ſchwieg er, und die ganze Verſammlung mit ihm. Als ſie noch ſinnend im Rathe ſaßen, kam die frohe Botſchaft, daß Memnon im Anzuge ſey. Den Trojanern ward zu Mu¬ the, wie Schiffern, die, dem Tode ſchon im Rachen, nach dem furchtbarſten Sturme die Sterne wieder am Himmel ſchimmern ſehen; vor Allen aber freute ſich der König Priamus, denn er zweifelte nicht, daß es der Ueberzahl der Aethiopier gelingen müßte, die feindlichen Schiffe zu verbrennen.
Als daher Memnon, der hohe Sohn Aurora's, ange¬ kommen war, ehrte der König ihn und die Seinen durch die herrlichſten Gaben und Feſtmahle. Das Geſpräch wurde wieder heiter, und ſie gedachten in Ehren der ge¬ fallenen Trojanerhelden. Memnon aber erzählte von ſei¬ nem unſterblichen Elternpaare, Thitonus und Aurora; ein andermal vom endloſen Weltmeere und wiederum von den Grenzen der Erde, vom Aufgang der Sonne, und von dem ganzen weiten Wege, den er von den Ufern des Oceans bis zu den Höhen des Berges Ida und der Stadt des Königes Priamus zurückgelegt, und was für Heldenthaten er unterwegs verrichtet habe. Ihm lauſchte der Trojanerkönig mit Wohlgefallen; voll Wärme ergriff er ſeine Hand und ſprach: „Memnon, wie danke ich den Göttern, daß ſie mir, dem Greiſe, gegönnet haben, dich und dein Heer noch zu erblicken, und dich ſelbſt in meinem Pallaſte zu bewirthen! Fürwahr, du gleicheſt mehr als
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0356"n="334"/>„Beſinnet euch wohl, Trojaner, ob es klug gehandelt iſt,<lb/>
dem Rathe eines Solchen zu folgen!“</p><lb/><p>Polydamas wußte wohl, daß Paris von Helena nicht<lb/>
laſſen würde und eher einen Aufruhr im Heere erregen,<lb/>
ja ſelber ſterben, ehe er auf ſie verzichtete; darum ſchwieg<lb/>
er, und die ganze Verſammlung mit ihm. Als ſie noch<lb/>ſinnend im Rathe ſaßen, kam die frohe Botſchaft, daß<lb/>
Memnon im Anzuge ſey. Den Trojanern ward zu Mu¬<lb/>
the, wie Schiffern, die, dem Tode ſchon im Rachen, nach<lb/>
dem furchtbarſten Sturme die Sterne wieder am Himmel<lb/>ſchimmern ſehen; vor Allen aber freute ſich der König<lb/>
Priamus, denn er zweifelte nicht, daß es der Ueberzahl<lb/>
der Aethiopier gelingen müßte, die feindlichen Schiffe zu<lb/>
verbrennen.</p><lb/><p>Als daher Memnon, der hohe Sohn Aurora's, ange¬<lb/>
kommen war, ehrte der König ihn und die Seinen durch<lb/>
die herrlichſten Gaben und Feſtmahle. Das Geſpräch<lb/>
wurde wieder heiter, und ſie gedachten in Ehren der ge¬<lb/>
fallenen Trojanerhelden. Memnon aber erzählte von ſei¬<lb/>
nem unſterblichen Elternpaare, Thitonus und Aurora; ein<lb/>
andermal vom endloſen Weltmeere und wiederum von<lb/>
den Grenzen der Erde, vom Aufgang der Sonne, und<lb/>
von dem ganzen weiten Wege, den er von den Ufern des<lb/>
Oceans bis zu den Höhen des Berges Ida und der<lb/>
Stadt des Königes Priamus zurückgelegt, und was für<lb/>
Heldenthaten er unterwegs verrichtet habe. Ihm lauſchte<lb/>
der Trojanerkönig mit Wohlgefallen; voll Wärme ergriff<lb/>
er ſeine Hand und ſprach: „Memnon, wie danke ich den<lb/>
Göttern, daß ſie mir, dem Greiſe, gegönnet haben, dich<lb/>
und dein Heer noch zu erblicken, und dich ſelbſt in meinem<lb/>
Pallaſte zu bewirthen! Fürwahr, du gleicheſt mehr als<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[334/0356]
„Beſinnet euch wohl, Trojaner, ob es klug gehandelt iſt,
dem Rathe eines Solchen zu folgen!“
Polydamas wußte wohl, daß Paris von Helena nicht
laſſen würde und eher einen Aufruhr im Heere erregen,
ja ſelber ſterben, ehe er auf ſie verzichtete; darum ſchwieg
er, und die ganze Verſammlung mit ihm. Als ſie noch
ſinnend im Rathe ſaßen, kam die frohe Botſchaft, daß
Memnon im Anzuge ſey. Den Trojanern ward zu Mu¬
the, wie Schiffern, die, dem Tode ſchon im Rachen, nach
dem furchtbarſten Sturme die Sterne wieder am Himmel
ſchimmern ſehen; vor Allen aber freute ſich der König
Priamus, denn er zweifelte nicht, daß es der Ueberzahl
der Aethiopier gelingen müßte, die feindlichen Schiffe zu
verbrennen.
Als daher Memnon, der hohe Sohn Aurora's, ange¬
kommen war, ehrte der König ihn und die Seinen durch
die herrlichſten Gaben und Feſtmahle. Das Geſpräch
wurde wieder heiter, und ſie gedachten in Ehren der ge¬
fallenen Trojanerhelden. Memnon aber erzählte von ſei¬
nem unſterblichen Elternpaare, Thitonus und Aurora; ein
andermal vom endloſen Weltmeere und wiederum von
den Grenzen der Erde, vom Aufgang der Sonne, und
von dem ganzen weiten Wege, den er von den Ufern des
Oceans bis zu den Höhen des Berges Ida und der
Stadt des Königes Priamus zurückgelegt, und was für
Heldenthaten er unterwegs verrichtet habe. Ihm lauſchte
der Trojanerkönig mit Wohlgefallen; voll Wärme ergriff
er ſeine Hand und ſprach: „Memnon, wie danke ich den
Göttern, daß ſie mir, dem Greiſe, gegönnet haben, dich
und dein Heer noch zu erblicken, und dich ſelbſt in meinem
Pallaſte zu bewirthen! Fürwahr, du gleicheſt mehr als
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/356>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.