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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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schneidendem, furchtbarem Tone: "Wer hat mir aus der
Ferne den tückischen Pfeil zugeschickt? O daß er mir im
offenen Kampf entgegenträte; wie wollte ich ihm sein
Gedärm aus dem Leibe zerren, und all sein Blut vergie¬
ßen, bis seine verfluchte Seele in den Hades führe! Aber
aus dem Verborgenen stellen die Feiglinge dem Tapfern
immer nach! Wisse er dieß, und wenn es ein Gott wäre,
der mir zürnt. Denn, wehe, mir ahnet, daß es Apollo
sey. Auch hat mir Thetis, meine Mutter, einst geweissagt,
daß ich am skäischen Thore dem verderblichen Pfeil des
Phöbus erliegen werde, und wohl hat sie die Wahrheit
gesprochen!"

So stöhnte der Held und zog den Pfeil aus der un¬
heilbaren Wunde. Zornig schleuderte er ihn weg, als er
das schwarze Blut nachquellen sah, und Apollo hub ihn
auf und kehrte mit ihm, verhüllt in die Wolke, zum Olym¬
pus zurück. Hier trat er aus dem Nebel hervor und
mischte sich wieder unter die andern Olympier. Ihn be¬
merkte Juno, die Freundin der Griechen, und mit bitterem
Unmuthe fing sie an ihn zu schelten: "Du hast eine ver¬
derbliche That gethan, Phöbus! Hast du doch an der
Hochzeit des Peleus mit geschmaust und mit gesungen,
wie die andern Götter, und, dem Peleus zutrinkend, ihm
Nachkommen gewünscht. Und dennoch hast du die Troja¬
ner begünstigt, und ihm endlich den einzigen Sohn getöd¬
tet! Das hast du aus Neid gethan. Thörichter, mit wel¬
chem Blicke willst du künftig die Tochter des Nereus
ansehen?"

Apollo schwieg und setzte sich seitwärts von den Göt¬
tern, den Blick zu Boden gesenkt. Die einen von den
Olympiern zürnten, die andern dankten ihm im Herzen.

ſchneidendem, furchtbarem Tone: „Wer hat mir aus der
Ferne den tückiſchen Pfeil zugeſchickt? O daß er mir im
offenen Kampf entgegenträte; wie wollte ich ihm ſein
Gedärm aus dem Leibe zerren, und all ſein Blut vergie¬
ßen, bis ſeine verfluchte Seele in den Hades führe! Aber
aus dem Verborgenen ſtellen die Feiglinge dem Tapfern
immer nach! Wiſſe er dieß, und wenn es ein Gott wäre,
der mir zürnt. Denn, wehe, mir ahnet, daß es Apollo
ſey. Auch hat mir Thetis, meine Mutter, einſt geweiſſagt,
daß ich am ſkäiſchen Thore dem verderblichen Pfeil des
Phöbus erliegen werde, und wohl hat ſie die Wahrheit
geſprochen!“

So ſtöhnte der Held und zog den Pfeil aus der un¬
heilbaren Wunde. Zornig ſchleuderte er ihn weg, als er
das ſchwarze Blut nachquellen ſah, und Apollo hub ihn
auf und kehrte mit ihm, verhüllt in die Wolke, zum Olym¬
pus zurück. Hier trat er aus dem Nebel hervor und
miſchte ſich wieder unter die andern Olympier. Ihn be¬
merkte Juno, die Freundin der Griechen, und mit bitterem
Unmuthe fing ſie an ihn zu ſchelten: „Du haſt eine ver¬
derbliche That gethan, Phöbus! Haſt du doch an der
Hochzeit des Peleus mit geſchmaust und mit geſungen,
wie die andern Götter, und, dem Peleus zutrinkend, ihm
Nachkommen gewünſcht. Und dennoch haſt du die Troja¬
ner begünſtigt, und ihm endlich den einzigen Sohn getöd¬
tet! Das haſt du aus Neid gethan. Thörichter, mit wel¬
chem Blicke willſt du künftig die Tochter des Nereus
anſehen?“

Apollo ſchwieg und ſetzte ſich ſeitwärts von den Göt¬
tern, den Blick zu Boden geſenkt. Die einen von den
Olympiern zürnten, die andern dankten ihm im Herzen.

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[344/0366] ſchneidendem, furchtbarem Tone: „Wer hat mir aus der Ferne den tückiſchen Pfeil zugeſchickt? O daß er mir im offenen Kampf entgegenträte; wie wollte ich ihm ſein Gedärm aus dem Leibe zerren, und all ſein Blut vergie¬ ßen, bis ſeine verfluchte Seele in den Hades führe! Aber aus dem Verborgenen ſtellen die Feiglinge dem Tapfern immer nach! Wiſſe er dieß, und wenn es ein Gott wäre, der mir zürnt. Denn, wehe, mir ahnet, daß es Apollo ſey. Auch hat mir Thetis, meine Mutter, einſt geweiſſagt, daß ich am ſkäiſchen Thore dem verderblichen Pfeil des Phöbus erliegen werde, und wohl hat ſie die Wahrheit geſprochen!“ So ſtöhnte der Held und zog den Pfeil aus der un¬ heilbaren Wunde. Zornig ſchleuderte er ihn weg, als er das ſchwarze Blut nachquellen ſah, und Apollo hub ihn auf und kehrte mit ihm, verhüllt in die Wolke, zum Olym¬ pus zurück. Hier trat er aus dem Nebel hervor und miſchte ſich wieder unter die andern Olympier. Ihn be¬ merkte Juno, die Freundin der Griechen, und mit bitterem Unmuthe fing ſie an ihn zu ſchelten: „Du haſt eine ver¬ derbliche That gethan, Phöbus! Haſt du doch an der Hochzeit des Peleus mit geſchmaust und mit geſungen, wie die andern Götter, und, dem Peleus zutrinkend, ihm Nachkommen gewünſcht. Und dennoch haſt du die Troja¬ ner begünſtigt, und ihm endlich den einzigen Sohn getöd¬ tet! Das haſt du aus Neid gethan. Thörichter, mit wel¬ chem Blicke willſt du künftig die Tochter des Nereus anſehen?“ Apollo ſchwieg und ſetzte ſich ſeitwärts von den Göt¬ tern, den Blick zu Boden geſenkt. Die einen von den Olympiern zürnten, die andern dankten ihm im Herzen.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/366>, abgerufen am 22.11.2024.