schneidendem, furchtbarem Tone: "Wer hat mir aus der Ferne den tückischen Pfeil zugeschickt? O daß er mir im offenen Kampf entgegenträte; wie wollte ich ihm sein Gedärm aus dem Leibe zerren, und all sein Blut vergie¬ ßen, bis seine verfluchte Seele in den Hades führe! Aber aus dem Verborgenen stellen die Feiglinge dem Tapfern immer nach! Wisse er dieß, und wenn es ein Gott wäre, der mir zürnt. Denn, wehe, mir ahnet, daß es Apollo sey. Auch hat mir Thetis, meine Mutter, einst geweissagt, daß ich am skäischen Thore dem verderblichen Pfeil des Phöbus erliegen werde, und wohl hat sie die Wahrheit gesprochen!"
So stöhnte der Held und zog den Pfeil aus der un¬ heilbaren Wunde. Zornig schleuderte er ihn weg, als er das schwarze Blut nachquellen sah, und Apollo hub ihn auf und kehrte mit ihm, verhüllt in die Wolke, zum Olym¬ pus zurück. Hier trat er aus dem Nebel hervor und mischte sich wieder unter die andern Olympier. Ihn be¬ merkte Juno, die Freundin der Griechen, und mit bitterem Unmuthe fing sie an ihn zu schelten: "Du hast eine ver¬ derbliche That gethan, Phöbus! Hast du doch an der Hochzeit des Peleus mit geschmaust und mit gesungen, wie die andern Götter, und, dem Peleus zutrinkend, ihm Nachkommen gewünscht. Und dennoch hast du die Troja¬ ner begünstigt, und ihm endlich den einzigen Sohn getöd¬ tet! Das hast du aus Neid gethan. Thörichter, mit wel¬ chem Blicke willst du künftig die Tochter des Nereus ansehen?"
Apollo schwieg und setzte sich seitwärts von den Göt¬ tern, den Blick zu Boden gesenkt. Die einen von den Olympiern zürnten, die andern dankten ihm im Herzen.
ſchneidendem, furchtbarem Tone: „Wer hat mir aus der Ferne den tückiſchen Pfeil zugeſchickt? O daß er mir im offenen Kampf entgegenträte; wie wollte ich ihm ſein Gedärm aus dem Leibe zerren, und all ſein Blut vergie¬ ßen, bis ſeine verfluchte Seele in den Hades führe! Aber aus dem Verborgenen ſtellen die Feiglinge dem Tapfern immer nach! Wiſſe er dieß, und wenn es ein Gott wäre, der mir zürnt. Denn, wehe, mir ahnet, daß es Apollo ſey. Auch hat mir Thetis, meine Mutter, einſt geweiſſagt, daß ich am ſkäiſchen Thore dem verderblichen Pfeil des Phöbus erliegen werde, und wohl hat ſie die Wahrheit geſprochen!“
So ſtöhnte der Held und zog den Pfeil aus der un¬ heilbaren Wunde. Zornig ſchleuderte er ihn weg, als er das ſchwarze Blut nachquellen ſah, und Apollo hub ihn auf und kehrte mit ihm, verhüllt in die Wolke, zum Olym¬ pus zurück. Hier trat er aus dem Nebel hervor und miſchte ſich wieder unter die andern Olympier. Ihn be¬ merkte Juno, die Freundin der Griechen, und mit bitterem Unmuthe fing ſie an ihn zu ſchelten: „Du haſt eine ver¬ derbliche That gethan, Phöbus! Haſt du doch an der Hochzeit des Peleus mit geſchmaust und mit geſungen, wie die andern Götter, und, dem Peleus zutrinkend, ihm Nachkommen gewünſcht. Und dennoch haſt du die Troja¬ ner begünſtigt, und ihm endlich den einzigen Sohn getöd¬ tet! Das haſt du aus Neid gethan. Thörichter, mit wel¬ chem Blicke willſt du künftig die Tochter des Nereus anſehen?“
Apollo ſchwieg und ſetzte ſich ſeitwärts von den Göt¬ tern, den Blick zu Boden geſenkt. Die einen von den Olympiern zürnten, die andern dankten ihm im Herzen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0366"n="344"/>ſchneidendem, furchtbarem Tone: „Wer hat mir aus der<lb/>
Ferne den tückiſchen Pfeil zugeſchickt? O daß er mir im<lb/>
offenen Kampf entgegenträte; wie wollte ich ihm ſein<lb/>
Gedärm aus dem Leibe zerren, und all ſein Blut vergie¬<lb/>
ßen, bis ſeine verfluchte Seele in den Hades führe! Aber<lb/>
aus dem Verborgenen ſtellen die Feiglinge dem Tapfern<lb/>
immer nach! Wiſſe er dieß, und wenn es ein Gott wäre,<lb/>
der mir zürnt. Denn, wehe, mir ahnet, daß es Apollo<lb/>ſey. Auch hat mir Thetis, meine Mutter, einſt geweiſſagt,<lb/>
daß ich am ſkäiſchen Thore dem verderblichen Pfeil des<lb/>
Phöbus erliegen werde, und wohl hat ſie die Wahrheit<lb/>
geſprochen!“</p><lb/><p>So ſtöhnte der Held und zog den Pfeil aus der un¬<lb/>
heilbaren Wunde. Zornig ſchleuderte er ihn weg, als er<lb/>
das ſchwarze Blut nachquellen ſah, und Apollo hub ihn<lb/>
auf und kehrte mit ihm, verhüllt in die Wolke, zum Olym¬<lb/>
pus zurück. Hier trat er aus dem Nebel hervor und<lb/>
miſchte ſich wieder unter die andern Olympier. Ihn be¬<lb/>
merkte Juno, die Freundin der Griechen, und mit bitterem<lb/>
Unmuthe fing ſie an ihn zu ſchelten: „Du haſt eine ver¬<lb/>
derbliche That gethan, Phöbus! Haſt du doch an der<lb/>
Hochzeit des Peleus mit geſchmaust und mit geſungen,<lb/>
wie die andern Götter, und, dem Peleus zutrinkend, ihm<lb/>
Nachkommen gewünſcht. Und dennoch haſt du die Troja¬<lb/>
ner begünſtigt, und ihm endlich den einzigen Sohn getöd¬<lb/>
tet! Das haſt du aus Neid gethan. Thörichter, mit wel¬<lb/>
chem Blicke willſt du künftig die Tochter des Nereus<lb/>
anſehen?“</p><lb/><p>Apollo ſchwieg und ſetzte ſich ſeitwärts von den Göt¬<lb/>
tern, den Blick zu Boden geſenkt. Die einen von den<lb/>
Olympiern zürnten, die andern dankten ihm im Herzen.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[344/0366]
ſchneidendem, furchtbarem Tone: „Wer hat mir aus der
Ferne den tückiſchen Pfeil zugeſchickt? O daß er mir im
offenen Kampf entgegenträte; wie wollte ich ihm ſein
Gedärm aus dem Leibe zerren, und all ſein Blut vergie¬
ßen, bis ſeine verfluchte Seele in den Hades führe! Aber
aus dem Verborgenen ſtellen die Feiglinge dem Tapfern
immer nach! Wiſſe er dieß, und wenn es ein Gott wäre,
der mir zürnt. Denn, wehe, mir ahnet, daß es Apollo
ſey. Auch hat mir Thetis, meine Mutter, einſt geweiſſagt,
daß ich am ſkäiſchen Thore dem verderblichen Pfeil des
Phöbus erliegen werde, und wohl hat ſie die Wahrheit
geſprochen!“
So ſtöhnte der Held und zog den Pfeil aus der un¬
heilbaren Wunde. Zornig ſchleuderte er ihn weg, als er
das ſchwarze Blut nachquellen ſah, und Apollo hub ihn
auf und kehrte mit ihm, verhüllt in die Wolke, zum Olym¬
pus zurück. Hier trat er aus dem Nebel hervor und
miſchte ſich wieder unter die andern Olympier. Ihn be¬
merkte Juno, die Freundin der Griechen, und mit bitterem
Unmuthe fing ſie an ihn zu ſchelten: „Du haſt eine ver¬
derbliche That gethan, Phöbus! Haſt du doch an der
Hochzeit des Peleus mit geſchmaust und mit geſungen,
wie die andern Götter, und, dem Peleus zutrinkend, ihm
Nachkommen gewünſcht. Und dennoch haſt du die Troja¬
ner begünſtigt, und ihm endlich den einzigen Sohn getöd¬
tet! Das haſt du aus Neid gethan. Thörichter, mit wel¬
chem Blicke willſt du künftig die Tochter des Nereus
anſehen?“
Apollo ſchwieg und ſetzte ſich ſeitwärts von den Göt¬
tern, den Blick zu Boden geſenkt. Die einen von den
Olympiern zürnten, die andern dankten ihm im Herzen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/366>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.