Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Sparta vor Augen sah, und ihre Schönheit mit der Schön¬
heit der Liebesgöttin selbst wetteiferte, ward ihm plötzlich
klar, daß nur dieses Weib es seyn könne, das ihm Venus
zum Lohne für sein Urtheil zugesagt hatte. Der Auftrag
seines Vaters, der ganze Zweck der Ausrüstung und Reise
schwand in diesem Augenblick aus seinem Geiste; er schien
sich mit seinen Tausenden Bewaffneter nur dazu ausge¬
sendet, Helena zu erobern. Während er so in ihre Schön¬
heit versunken stand, betrachtete auch die Fürstin Helena
den schönen asiatischen Königssohn mit dem langen locki¬
gen Haarwuchs, in Gold und Purpur mit orientalischer
Pracht gekleidet, mit nicht unterdrücktem Wohlgefallen, das
Bild ihres Gemahls erbleichte in ihrem Geiste und an
seine Stelle trat die reizende Gestalt des jugendlichen
Fremdlings.

Indessen kehrte Helena nach Sparta in ihren Königs¬
pallast zurück, suchte das Bild des schönen Jünglings
aus ihrem Herzen zu verdrängen und wünschte ihren noch
immer auf Pylos verweilenden Gatten Menelaus zurück.
Statt seiner erschien Paris selbst mit seinem erlesenen
Volke in Sparta, und bahnte sich mit seiner Botschaft den
Weg in des Königes Halle, obgleich dieser abwesend war.
Die Gemahlin des Fürsten Menelaus empfing ihn mit
der Gastfreundschaft, welche sie dem Fremden, und mit
der Auszeichnung, welche sie dem Königssohne schuldig
war. Da bethörte seine Saitenkunst, sein einschmeicheln¬
des Gespräch, und die heftige Gluth seiner Liebe das
unbewachte Herz der Königin. Als Paris ihre Treue
wanken sah, vergaß er den Auftrag seines Vaters und
Volkes und nur das trügerische Versprechen der Liebes¬
göttin stand vor seiner Seele. Er versammelte seine

Schwab, das klass. Alterthum. II. 2

Sparta vor Augen ſah, und ihre Schönheit mit der Schön¬
heit der Liebesgöttin ſelbſt wetteiferte, ward ihm plötzlich
klar, daß nur dieſes Weib es ſeyn könne, das ihm Venus
zum Lohne für ſein Urtheil zugeſagt hatte. Der Auftrag
ſeines Vaters, der ganze Zweck der Ausrüſtung und Reiſe
ſchwand in dieſem Augenblick aus ſeinem Geiſte; er ſchien
ſich mit ſeinen Tauſenden Bewaffneter nur dazu ausge¬
ſendet, Helena zu erobern. Während er ſo in ihre Schön¬
heit verſunken ſtand, betrachtete auch die Fürſtin Helena
den ſchönen aſiatiſchen Königsſohn mit dem langen locki¬
gen Haarwuchs, in Gold und Purpur mit orientaliſcher
Pracht gekleidet, mit nicht unterdrücktem Wohlgefallen, das
Bild ihres Gemahls erbleichte in ihrem Geiſte und an
ſeine Stelle trat die reizende Geſtalt des jugendlichen
Fremdlings.

Indeſſen kehrte Helena nach Sparta in ihren Königs¬
pallaſt zurück, ſuchte das Bild des ſchönen Jünglings
aus ihrem Herzen zu verdrängen und wünſchte ihren noch
immer auf Pylos verweilenden Gatten Menelaus zurück.
Statt ſeiner erſchien Paris ſelbſt mit ſeinem erleſenen
Volke in Sparta, und bahnte ſich mit ſeiner Botſchaft den
Weg in des Königes Halle, obgleich dieſer abweſend war.
Die Gemahlin des Fürſten Menelaus empfing ihn mit
der Gaſtfreundſchaft, welche ſie dem Fremden, und mit
der Auszeichnung, welche ſie dem Königsſohne ſchuldig
war. Da bethörte ſeine Saitenkunſt, ſein einſchmeicheln¬
des Geſpräch, und die heftige Gluth ſeiner Liebe das
unbewachte Herz der Königin. Als Paris ihre Treue
wanken ſah, vergaß er den Auftrag ſeines Vaters und
Volkes und nur das trügeriſche Verſprechen der Liebes¬
göttin ſtand vor ſeiner Seele. Er verſammelte ſeine

Schwab, das klaſſ. Alterthum. II. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0039" n="17"/>
Sparta vor Augen &#x017F;ah, und ihre Schönheit mit der Schön¬<lb/>
heit der Liebesgöttin &#x017F;elb&#x017F;t wetteiferte, ward ihm plötzlich<lb/>
klar, daß nur die&#x017F;es Weib es &#x017F;eyn könne, das ihm Venus<lb/>
zum Lohne für &#x017F;ein Urtheil zuge&#x017F;agt hatte. Der Auftrag<lb/>
&#x017F;eines Vaters, der ganze Zweck der Ausrü&#x017F;tung und Rei&#x017F;e<lb/>
&#x017F;chwand in die&#x017F;em Augenblick aus &#x017F;einem Gei&#x017F;te; er &#x017F;chien<lb/>
&#x017F;ich mit &#x017F;einen Tau&#x017F;enden Bewaffneter nur dazu ausge¬<lb/>
&#x017F;endet, Helena zu erobern. Während er &#x017F;o in ihre Schön¬<lb/>
heit ver&#x017F;unken &#x017F;tand, betrachtete auch die Für&#x017F;tin Helena<lb/>
den &#x017F;chönen a&#x017F;iati&#x017F;chen Königs&#x017F;ohn mit dem langen locki¬<lb/>
gen Haarwuchs, in Gold und Purpur mit orientali&#x017F;cher<lb/>
Pracht gekleidet, mit nicht unterdrücktem Wohlgefallen, das<lb/>
Bild ihres Gemahls erbleichte in ihrem Gei&#x017F;te und an<lb/>
&#x017F;eine Stelle trat die reizende Ge&#x017F;talt des jugendlichen<lb/>
Fremdlings.</p><lb/>
          <p>Inde&#x017F;&#x017F;en kehrte Helena nach Sparta in ihren Königs¬<lb/>
palla&#x017F;t zurück, &#x017F;uchte das Bild des &#x017F;chönen Jünglings<lb/>
aus ihrem Herzen zu verdrängen und wün&#x017F;chte ihren noch<lb/>
immer auf Pylos verweilenden Gatten Menelaus zurück.<lb/>
Statt &#x017F;einer er&#x017F;chien Paris &#x017F;elb&#x017F;t mit &#x017F;einem erle&#x017F;enen<lb/>
Volke in Sparta, und bahnte &#x017F;ich mit &#x017F;einer Bot&#x017F;chaft den<lb/>
Weg in des Königes Halle, obgleich die&#x017F;er abwe&#x017F;end war.<lb/>
Die Gemahlin des Für&#x017F;ten Menelaus empfing ihn mit<lb/>
der Ga&#x017F;tfreund&#x017F;chaft, welche &#x017F;ie dem Fremden, und mit<lb/>
der Auszeichnung, welche &#x017F;ie dem Königs&#x017F;ohne &#x017F;chuldig<lb/>
war. Da bethörte &#x017F;eine Saitenkun&#x017F;t, &#x017F;ein ein&#x017F;chmeicheln¬<lb/>
des Ge&#x017F;präch, und die heftige Gluth &#x017F;einer Liebe das<lb/>
unbewachte Herz der Königin. Als Paris ihre Treue<lb/>
wanken &#x017F;ah, vergaß er den Auftrag &#x017F;eines Vaters und<lb/>
Volkes und nur das trügeri&#x017F;che Ver&#x017F;prechen der Liebes¬<lb/>
göttin &#x017F;tand vor &#x017F;einer Seele. Er ver&#x017F;ammelte &#x017F;eine<lb/>
<fw type="sig" place="bottom"><hi rendition="#g">Schwab</hi>, das kla&#x017F;&#x017F;. Alterthum. <hi rendition="#aq">II</hi>. 2<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0039] Sparta vor Augen ſah, und ihre Schönheit mit der Schön¬ heit der Liebesgöttin ſelbſt wetteiferte, ward ihm plötzlich klar, daß nur dieſes Weib es ſeyn könne, das ihm Venus zum Lohne für ſein Urtheil zugeſagt hatte. Der Auftrag ſeines Vaters, der ganze Zweck der Ausrüſtung und Reiſe ſchwand in dieſem Augenblick aus ſeinem Geiſte; er ſchien ſich mit ſeinen Tauſenden Bewaffneter nur dazu ausge¬ ſendet, Helena zu erobern. Während er ſo in ihre Schön¬ heit verſunken ſtand, betrachtete auch die Fürſtin Helena den ſchönen aſiatiſchen Königsſohn mit dem langen locki¬ gen Haarwuchs, in Gold und Purpur mit orientaliſcher Pracht gekleidet, mit nicht unterdrücktem Wohlgefallen, das Bild ihres Gemahls erbleichte in ihrem Geiſte und an ſeine Stelle trat die reizende Geſtalt des jugendlichen Fremdlings. Indeſſen kehrte Helena nach Sparta in ihren Königs¬ pallaſt zurück, ſuchte das Bild des ſchönen Jünglings aus ihrem Herzen zu verdrängen und wünſchte ihren noch immer auf Pylos verweilenden Gatten Menelaus zurück. Statt ſeiner erſchien Paris ſelbſt mit ſeinem erleſenen Volke in Sparta, und bahnte ſich mit ſeiner Botſchaft den Weg in des Königes Halle, obgleich dieſer abweſend war. Die Gemahlin des Fürſten Menelaus empfing ihn mit der Gaſtfreundſchaft, welche ſie dem Fremden, und mit der Auszeichnung, welche ſie dem Königsſohne ſchuldig war. Da bethörte ſeine Saitenkunſt, ſein einſchmeicheln¬ des Geſpräch, und die heftige Gluth ſeiner Liebe das unbewachte Herz der Königin. Als Paris ihre Treue wanken ſah, vergaß er den Auftrag ſeines Vaters und Volkes und nur das trügeriſche Verſprechen der Liebes¬ göttin ſtand vor ſeiner Seele. Er verſammelte ſeine Schwab, das klaſſ. Alterthum. II. 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/39
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/39>, abgerufen am 21.11.2024.