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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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dem gefallenen Vater dar. Zwei Söhne des reichen Meges,
Zwillingsbrüder, raffte, wie Eine Stunde sie geboren, so
jetzt Eine Stunde dahin, denn den Einen traf Neoptolemus
mit dem Speere in das Herz, den Andern an das Haupt
mit einem mächtigen Steine, so, daß der schwere Helm
zertrümmert wurde, und im Schädel das Gehirn sich
mischte. Noch unzählige andere Feinde fielen rings um
sie her, bis endlich gegen Abend Eurypylus und das feind¬
liche Heer den Rückzug vor dem Sohne des Achilles an¬
traten.

Als Neoptolemus nun vom Kampfe ruhete, kam auch
der greise Held Phönix, der Freund seines Großvaters
Peleus und der Erzieher seines Vaters Achilles, auf den
jungen Helden zu, und betrachtete voll Verwunderung die
Aehnlichkeit mit dem Peliden. Schmerz und Freude be¬
stürmten ihn zugleich, jener, bei der Erinnerung an den
Tod seines Pflegsohnes, diese, weil er dessen kräftigen
Sprößling vor sich sah. Ein Thränenstrom quoll aus den
Augen des Greises, er umarmte den herrlichen Jüngling,
küßte ihm Haupt und Brust, und rief: "O Sohn, mir ist,
als wandle dein Vater, nm den ich mich täglich abhärme,
wieder lebendig unter uns! Doch stille! es darf der
Gram um den Vater dir jetzo den Muth nicht schwä¬
chen; vielmehr sollst du, das Herz voll Zornes, den
Griechen zu Hülfe kommen, und den grimmigen Sohn
des Telephus tödten, der uns so viel Schaden gethan.
Uebertriffst du ihn doch an Kraft so weit, als dein Vater
seinen Vater übertraf!" Bescheiden erwiederte darauf der
Jüngling: "Wer der Tapferste sey, werden erst Feld¬
schlacht und Schicksal entscheiden, o Greis!" Mit diesen
Worten wandte er sich nach den Schiffen und dem Lager

dem gefallenen Vater dar. Zwei Söhne des reichen Meges,
Zwillingsbrüder, raffte, wie Eine Stunde ſie geboren, ſo
jetzt Eine Stunde dahin, denn den Einen traf Neoptolemus
mit dem Speere in das Herz, den Andern an das Haupt
mit einem mächtigen Steine, ſo, daß der ſchwere Helm
zertrümmert wurde, und im Schädel das Gehirn ſich
miſchte. Noch unzählige andere Feinde fielen rings um
ſie her, bis endlich gegen Abend Eurypylus und das feind¬
liche Heer den Rückzug vor dem Sohne des Achilles an¬
traten.

Als Neoptolemus nun vom Kampfe ruhete, kam auch
der greiſe Held Phönix, der Freund ſeines Großvaters
Peleus und der Erzieher ſeines Vaters Achilles, auf den
jungen Helden zu, und betrachtete voll Verwunderung die
Aehnlichkeit mit dem Peliden. Schmerz und Freude be¬
ſtürmten ihn zugleich, jener, bei der Erinnerung an den
Tod ſeines Pflegſohnes, dieſe, weil er deſſen kräftigen
Sprößling vor ſich ſah. Ein Thränenſtrom quoll aus den
Augen des Greiſes, er umarmte den herrlichen Jüngling,
küßte ihm Haupt und Bruſt, und rief: „O Sohn, mir iſt,
als wandle dein Vater, nm den ich mich täglich abhärme,
wieder lebendig unter uns! Doch ſtille! es darf der
Gram um den Vater dir jetzo den Muth nicht ſchwä¬
chen; vielmehr ſollſt du, das Herz voll Zornes, den
Griechen zu Hülfe kommen, und den grimmigen Sohn
des Telephus tödten, der uns ſo viel Schaden gethan.
Uebertriffſt du ihn doch an Kraft ſo weit, als dein Vater
ſeinen Vater übertraf!“ Beſcheiden erwiederte darauf der
Jüngling: „Wer der Tapferſte ſey, werden erſt Feld¬
ſchlacht und Schickſal entſcheiden, o Greis!“ Mit dieſen
Worten wandte er ſich nach den Schiffen und dem Lager

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[379/0401] dem gefallenen Vater dar. Zwei Söhne des reichen Meges, Zwillingsbrüder, raffte, wie Eine Stunde ſie geboren, ſo jetzt Eine Stunde dahin, denn den Einen traf Neoptolemus mit dem Speere in das Herz, den Andern an das Haupt mit einem mächtigen Steine, ſo, daß der ſchwere Helm zertrümmert wurde, und im Schädel das Gehirn ſich miſchte. Noch unzählige andere Feinde fielen rings um ſie her, bis endlich gegen Abend Eurypylus und das feind¬ liche Heer den Rückzug vor dem Sohne des Achilles an¬ traten. Als Neoptolemus nun vom Kampfe ruhete, kam auch der greiſe Held Phönix, der Freund ſeines Großvaters Peleus und der Erzieher ſeines Vaters Achilles, auf den jungen Helden zu, und betrachtete voll Verwunderung die Aehnlichkeit mit dem Peliden. Schmerz und Freude be¬ ſtürmten ihn zugleich, jener, bei der Erinnerung an den Tod ſeines Pflegſohnes, dieſe, weil er deſſen kräftigen Sprößling vor ſich ſah. Ein Thränenſtrom quoll aus den Augen des Greiſes, er umarmte den herrlichen Jüngling, küßte ihm Haupt und Bruſt, und rief: „O Sohn, mir iſt, als wandle dein Vater, nm den ich mich täglich abhärme, wieder lebendig unter uns! Doch ſtille! es darf der Gram um den Vater dir jetzo den Muth nicht ſchwä¬ chen; vielmehr ſollſt du, das Herz voll Zornes, den Griechen zu Hülfe kommen, und den grimmigen Sohn des Telephus tödten, der uns ſo viel Schaden gethan. Uebertriffſt du ihn doch an Kraft ſo weit, als dein Vater ſeinen Vater übertraf!“ Beſcheiden erwiederte darauf der Jüngling: „Wer der Tapferſte ſey, werden erſt Feld¬ ſchlacht und Schickſal entſcheiden, o Greis!“ Mit dieſen Worten wandte er ſich nach den Schiffen und dem Lager

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/401>, abgerufen am 22.11.2024.