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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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ich noch mein Vater sind zu so böser Kunst geboren wor¬
den. Gerne bin ich bereit, den Mann mit Gewalt zu
fangen; nur erlaß mir die Arglist! Wie sollte auch der
einzelne Mann, der dazu nur auf Einem Fuße stehen
kann, uns, die Vielen, überwältigen?" "Mit seinen un¬
entfliehbaren Pfeilen," erwiederte Odysseus ruhig. "Ich
weiß wohl, mein Sohn, daß dir die Gabe der Täuschung
nicht eingepflanzt ist, und auch ich selbst, der ich von einem
redlichen Vater stamme, war in der Jugend mit der
Zunge langsam und rasch mit der Hand. Erst die Erfah¬
rung mußte mich belehren, daß die Welt weniger durch
Thaten, als durch Worte gelenkt wird. Wenn du nun
bedenkst, daß der Bogen des Herkules allein Troja zu
bezwingen vermag, und du durch diese That den Ruhm
der Klugheit wie der Tapferkeit davontragen, auch durch
den Erfolg vollkommen gerechtfertigt erscheinen wirst, so
weigerst du dich gewiß nicht länger der kurzen Trugworte!"

Neoptolemus gab den Gründen seines älteren Freun¬
des nach, und dieser entfernte sich nun, wie verabredet
war. Auch dauerte es nicht lange, bis aus der Ferne der
Schmerzensruf des leidenden Philoktetes sich hören ließ.
Dieser hatte nämlich von Ferne das Schiff am hafenlosen
Strande erblickt und kam auf Neoptolemus und seine Be¬
gleiter herzugeeilt. "Wehe mir," rief er ihnen zu, "wer
seyd ihr, die ihr an dieser unwirthbaren Insel gelandet?
Zwar erkenne ich an euch die geliebte Griechentracht; doch
möchte ich auch den Laut eurer Sprache vernehmen. Be¬
bet vor meinem verwilderten Aussehen nicht zurück, be¬
dauert vielmehr mich unglücklichen, von allen Freunden
verlassenen, gepeinigten Mann, und antwortet, wenn ihr
anders nicht mit feindlichen Absichten erschienen seyd!"

ich noch mein Vater ſind zu ſo böſer Kunſt geboren wor¬
den. Gerne bin ich bereit, den Mann mit Gewalt zu
fangen; nur erlaß mir die Argliſt! Wie ſollte auch der
einzelne Mann, der dazu nur auf Einem Fuße ſtehen
kann, uns, die Vielen, überwältigen?“ „Mit ſeinen un¬
entfliehbaren Pfeilen,“ erwiederte Odyſſeus ruhig. „Ich
weiß wohl, mein Sohn, daß dir die Gabe der Täuſchung
nicht eingepflanzt iſt, und auch ich ſelbſt, der ich von einem
redlichen Vater ſtamme, war in der Jugend mit der
Zunge langſam und raſch mit der Hand. Erſt die Erfah¬
rung mußte mich belehren, daß die Welt weniger durch
Thaten, als durch Worte gelenkt wird. Wenn du nun
bedenkſt, daß der Bogen des Herkules allein Troja zu
bezwingen vermag, und du durch dieſe That den Ruhm
der Klugheit wie der Tapferkeit davontragen, auch durch
den Erfolg vollkommen gerechtfertigt erſcheinen wirſt, ſo
weigerſt du dich gewiß nicht länger der kurzen Trugworte!“

Neoptolemus gab den Gründen ſeines älteren Freun¬
des nach, und dieſer entfernte ſich nun, wie verabredet
war. Auch dauerte es nicht lange, bis aus der Ferne der
Schmerzensruf des leidenden Philoktetes ſich hören ließ.
Dieſer hatte nämlich von Ferne das Schiff am hafenloſen
Strande erblickt und kam auf Neoptolemus und ſeine Be¬
gleiter herzugeeilt. „Wehe mir,“ rief er ihnen zu, „wer
ſeyd ihr, die ihr an dieſer unwirthbaren Inſel gelandet?
Zwar erkenne ich an euch die geliebte Griechentracht; doch
möchte ich auch den Laut eurer Sprache vernehmen. Be¬
bet vor meinem verwilderten Ausſehen nicht zurück, be¬
dauert vielmehr mich unglücklichen, von allen Freunden
verlaſſenen, gepeinigten Mann, und antwortet, wenn ihr
anders nicht mit feindlichen Abſichten erſchienen ſeyd!“

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[386/0408] ich noch mein Vater ſind zu ſo böſer Kunſt geboren wor¬ den. Gerne bin ich bereit, den Mann mit Gewalt zu fangen; nur erlaß mir die Argliſt! Wie ſollte auch der einzelne Mann, der dazu nur auf Einem Fuße ſtehen kann, uns, die Vielen, überwältigen?“ „Mit ſeinen un¬ entfliehbaren Pfeilen,“ erwiederte Odyſſeus ruhig. „Ich weiß wohl, mein Sohn, daß dir die Gabe der Täuſchung nicht eingepflanzt iſt, und auch ich ſelbſt, der ich von einem redlichen Vater ſtamme, war in der Jugend mit der Zunge langſam und raſch mit der Hand. Erſt die Erfah¬ rung mußte mich belehren, daß die Welt weniger durch Thaten, als durch Worte gelenkt wird. Wenn du nun bedenkſt, daß der Bogen des Herkules allein Troja zu bezwingen vermag, und du durch dieſe That den Ruhm der Klugheit wie der Tapferkeit davontragen, auch durch den Erfolg vollkommen gerechtfertigt erſcheinen wirſt, ſo weigerſt du dich gewiß nicht länger der kurzen Trugworte!“ Neoptolemus gab den Gründen ſeines älteren Freun¬ des nach, und dieſer entfernte ſich nun, wie verabredet war. Auch dauerte es nicht lange, bis aus der Ferne der Schmerzensruf des leidenden Philoktetes ſich hören ließ. Dieſer hatte nämlich von Ferne das Schiff am hafenloſen Strande erblickt und kam auf Neoptolemus und ſeine Be¬ gleiter herzugeeilt. „Wehe mir,“ rief er ihnen zu, „wer ſeyd ihr, die ihr an dieſer unwirthbaren Inſel gelandet? Zwar erkenne ich an euch die geliebte Griechentracht; doch möchte ich auch den Laut eurer Sprache vernehmen. Be¬ bet vor meinem verwilderten Ausſehen nicht zurück, be¬ dauert vielmehr mich unglücklichen, von allen Freunden verlaſſenen, gepeinigten Mann, und antwortet, wenn ihr anders nicht mit feindlichen Abſichten erſchienen ſeyd!“

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/408>, abgerufen am 22.11.2024.