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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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sammt allen Schätzen vor der himmlischen Schönheit der Jung¬
frau Polyxena, der gefangenen Tochter des Königes Pria¬
mus, und nur Ein Ruf ging durch das ganze Heer der
Griechen, daß sie das Beste und Edelste von der ganzen
trojanischen Beute sey. Die Jungfrau, als Aller Blicke
sich auf sie richteten, erbleichte nicht, obgleich ihr der laute
Jammerschrei ihrer Mutter Hekuba, der sich jetzt aus dem
Haufen der Gefangenen erhob, durch das Tochterherz schnitt.
Polyxena hatte den herrlichen Helden Achilles manchesmal
von den Mauern herab im Kampfe erblickt, und obgleich
er ein Feind ihres Volkes war, so hatte seine göttliche
Gestalt und seine herrliche Heldenkraft ihr doch das In¬
nerste bewegt. Ja, auch Achilles, so ging die Sage, habe,
als er einst im Kampfe bis dicht vor die Thore der bela¬
gerten Stadt gedrungen, die holdselige Jungfrau auf
den Zinnen der Mauer erblickt, und ihm sey das Herz in Nei¬
gung zu ihr entbrannt, daß er ausrief: "Priamus Tochter,
würdest du mir zu Theile, wer weiß, ob ich deinem Vater
nicht den Frieden mit den Danaern zu Wege zu bringen
mich anheischig machen wollte!" Zwar reute den Helden
das Wort, so wie es der Zunge entflohen war: denn ihm
fiel ein, was er Griechenland schuldig sey. Aber Polyxena,
so erzählte das Gerücht, habe die Worte sich tief ins Herz
gefaßt, und seitdem in geheimer Liebe für den Feind ihres
Volkes gebrannt.

Sey dem, wie ihm sey: die Jungfrau erblaßte nicht,
als Aller Blicke, auf sie gerichtet, nur sie als das Opfer
bezeichneten, das als der edelste Theil der trojanischen
Beute dem größten Helden dargebracht zu werden allein
würdig wäre. Der Altar vor dem Denkmale des Peliden
stand aufgerichtet, und es fehlte nicht an Opfergeräthen

ſammt allen Schätzen vor der himmliſchen Schönheit der Jung¬
frau Polyxena, der gefangenen Tochter des Königes Pria¬
mus, und nur Ein Ruf ging durch das ganze Heer der
Griechen, daß ſie das Beſte und Edelſte von der ganzen
trojaniſchen Beute ſey. Die Jungfrau, als Aller Blicke
ſich auf ſie richteten, erbleichte nicht, obgleich ihr der laute
Jammerſchrei ihrer Mutter Hekuba, der ſich jetzt aus dem
Haufen der Gefangenen erhob, durch das Tochterherz ſchnitt.
Polyxena hatte den herrlichen Helden Achilles manchesmal
von den Mauern herab im Kampfe erblickt, und obgleich
er ein Feind ihres Volkes war, ſo hatte ſeine göttliche
Geſtalt und ſeine herrliche Heldenkraft ihr doch das In¬
nerſte bewegt. Ja, auch Achilles, ſo ging die Sage, habe,
als er einſt im Kampfe bis dicht vor die Thore der bela¬
gerten Stadt gedrungen, die holdſelige Jungfrau auf
den Zinnen der Mauer erblickt, und ihm ſey das Herz in Nei¬
gung zu ihr entbrannt, daß er ausrief: „Priamus Tochter,
würdeſt du mir zu Theile, wer weiß, ob ich deinem Vater
nicht den Frieden mit den Danaern zu Wege zu bringen
mich anheiſchig machen wollte!“ Zwar reute den Helden
das Wort, ſo wie es der Zunge entflohen war: denn ihm
fiel ein, was er Griechenland ſchuldig ſey. Aber Polyxena,
ſo erzählte das Gerücht, habe die Worte ſich tief ins Herz
gefaßt, und ſeitdem in geheimer Liebe für den Feind ihres
Volkes gebrannt.

Sey dem, wie ihm ſey: die Jungfrau erblaßte nicht,
als Aller Blicke, auf ſie gerichtet, nur ſie als das Opfer
bezeichneten, das als der edelſte Theil der trojaniſchen
Beute dem größten Helden dargebracht zu werden allein
würdig wäre. Der Altar vor dem Denkmale des Peliden
ſtand aufgerichtet, und es fehlte nicht an Opfergeräthen

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[429/0451] ſammt allen Schätzen vor der himmliſchen Schönheit der Jung¬ frau Polyxena, der gefangenen Tochter des Königes Pria¬ mus, und nur Ein Ruf ging durch das ganze Heer der Griechen, daß ſie das Beſte und Edelſte von der ganzen trojaniſchen Beute ſey. Die Jungfrau, als Aller Blicke ſich auf ſie richteten, erbleichte nicht, obgleich ihr der laute Jammerſchrei ihrer Mutter Hekuba, der ſich jetzt aus dem Haufen der Gefangenen erhob, durch das Tochterherz ſchnitt. Polyxena hatte den herrlichen Helden Achilles manchesmal von den Mauern herab im Kampfe erblickt, und obgleich er ein Feind ihres Volkes war, ſo hatte ſeine göttliche Geſtalt und ſeine herrliche Heldenkraft ihr doch das In¬ nerſte bewegt. Ja, auch Achilles, ſo ging die Sage, habe, als er einſt im Kampfe bis dicht vor die Thore der bela¬ gerten Stadt gedrungen, die holdſelige Jungfrau auf den Zinnen der Mauer erblickt, und ihm ſey das Herz in Nei¬ gung zu ihr entbrannt, daß er ausrief: „Priamus Tochter, würdeſt du mir zu Theile, wer weiß, ob ich deinem Vater nicht den Frieden mit den Danaern zu Wege zu bringen mich anheiſchig machen wollte!“ Zwar reute den Helden das Wort, ſo wie es der Zunge entflohen war: denn ihm fiel ein, was er Griechenland ſchuldig ſey. Aber Polyxena, ſo erzählte das Gerücht, habe die Worte ſich tief ins Herz gefaßt, und ſeitdem in geheimer Liebe für den Feind ihres Volkes gebrannt. Sey dem, wie ihm ſey: die Jungfrau erblaßte nicht, als Aller Blicke, auf ſie gerichtet, nur ſie als das Opfer bezeichneten, das als der edelſte Theil der trojaniſchen Beute dem größten Helden dargebracht zu werden allein würdig wäre. Der Altar vor dem Denkmale des Peliden ſtand aufgerichtet, und es fehlte nicht an Opfergeräthen

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/451>, abgerufen am 21.11.2024.