ganz Griechenland unzählige Denkmale aufzuweisen hat; heile die Wunden wieder, die du, ein Grieche, Griechen geschlagen hast, indem du deine Schaaren mit den unsri¬ gen vereinigst und als unser Verbündeter gegen das meineidige Trojanervolk ziehest."
Telephus richtete sich auf seinem Lager, auf welchem, von der Wunde des Achilles darniedergestreckt, er die grie¬ chischen Helden empfangen hatte, mit Mühe auf und erwiederte freundlich: "Eure Vorwürfe sind nicht gerecht, liebe Volksgenossen; durch eure eigene Schuld seyd ihr aus Freunden und Blutsverwandten meine blutigen Feinde geworden. Haben doch die Küstenwächter, meinem stren¬ gen Befehle gehorsam, euch wie alle Landenden geziemend nach Namen und Abkunft gefragt und nicht nach roher Barbarenweise, sondern nach dem Völkerrechte der Grie¬ chen mit euch gehandelt. Ihr aber seyd in der Meinung, daß gegen Barbaren Alles erlaubt sey, ans Land gesprun¬ gen, ohne ihnen die verlangte Weisung zu geben, und habt meine Unterthanen, ohne sie anzuhören, niedergemacht. Auch mir habt ihr," hier zeigte er auf seine Seite, "ein Andenken hinterlassen, das mich, wohl fühle ich es, mein Lebenlang an unser gestriges Zusammentreffen erinnern wird. Doch grolle ich euch darüber nicht, und kann die Freude, Blutsverwandte und Griechen in meinem Reiche aufgenommen zu haben, nicht zu theuer erkaufen. Höret nun, was in Beziehung auf eure Anforderung mein Be¬ scheid ist. Gegen Priamus zu Felde zu ziehen, muthet mir nicht zu. Mein zweites Gemahl, Astyoche, ist seine Tochter, dazu ist er selbst ein frommer Greis und seine übrigen Söhne sind edelmüthig, er und sie haben keinen Antheil an dem Verbrechen des leichtsinnigen Paris. Sehet
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ganz Griechenland unzählige Denkmale aufzuweiſen hat; heile die Wunden wieder, die du, ein Grieche, Griechen geſchlagen haſt, indem du deine Schaaren mit den unſri¬ gen vereinigſt und als unſer Verbündeter gegen das meineidige Trojanervolk zieheſt.“
Telephus richtete ſich auf ſeinem Lager, auf welchem, von der Wunde des Achilles darniedergeſtreckt, er die grie¬ chiſchen Helden empfangen hatte, mit Mühe auf und erwiederte freundlich: „Eure Vorwürfe ſind nicht gerecht, liebe Volksgenoſſen; durch eure eigene Schuld ſeyd ihr aus Freunden und Blutsverwandten meine blutigen Feinde geworden. Haben doch die Küſtenwächter, meinem ſtren¬ gen Befehle gehorſam, euch wie alle Landenden geziemend nach Namen und Abkunft gefragt und nicht nach roher Barbarenweiſe, ſondern nach dem Völkerrechte der Grie¬ chen mit euch gehandelt. Ihr aber ſeyd in der Meinung, daß gegen Barbaren Alles erlaubt ſey, ans Land geſprun¬ gen, ohne ihnen die verlangte Weiſung zu geben, und habt meine Unterthanen, ohne ſie anzuhören, niedergemacht. Auch mir habt ihr,“ hier zeigte er auf ſeine Seite, „ein Andenken hinterlaſſen, das mich, wohl fühle ich es, mein Lebenlang an unſer geſtriges Zuſammentreffen erinnern wird. Doch grolle ich euch darüber nicht, und kann die Freude, Blutsverwandte und Griechen in meinem Reiche aufgenommen zu haben, nicht zu theuer erkaufen. Höret nun, was in Beziehung auf eure Anforderung mein Be¬ ſcheid iſt. Gegen Priamus zu Felde zu ziehen, muthet mir nicht zu. Mein zweites Gemahl, Aſtyoche, iſt ſeine Tochter, dazu iſt er ſelbſt ein frommer Greis und ſeine übrigen Söhne ſind edelmüthig, er und ſie haben keinen Antheil an dem Verbrechen des leichtſinnigen Paris. Sehet
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ganz Griechenland unzählige Denkmale aufzuweiſen hat;
heile die Wunden wieder, die du, ein Grieche, Griechen
geſchlagen haſt, indem du deine Schaaren mit den unſri¬
gen vereinigſt und als unſer Verbündeter gegen das
meineidige Trojanervolk zieheſt.“
Telephus richtete ſich auf ſeinem Lager, auf welchem,
von der Wunde des Achilles darniedergeſtreckt, er die grie¬
chiſchen Helden empfangen hatte, mit Mühe auf und
erwiederte freundlich: „Eure Vorwürfe ſind nicht gerecht,
liebe Volksgenoſſen; durch eure eigene Schuld ſeyd ihr
aus Freunden und Blutsverwandten meine blutigen Feinde
geworden. Haben doch die Küſtenwächter, meinem ſtren¬
gen Befehle gehorſam, euch wie alle Landenden geziemend
nach Namen und Abkunft gefragt und nicht nach roher
Barbarenweiſe, ſondern nach dem Völkerrechte der Grie¬
chen mit euch gehandelt. Ihr aber ſeyd in der Meinung,
daß gegen Barbaren Alles erlaubt ſey, ans Land geſprun¬
gen, ohne ihnen die verlangte Weiſung zu geben, und
habt meine Unterthanen, ohne ſie anzuhören, niedergemacht.
Auch mir habt ihr,“ hier zeigte er auf ſeine Seite, „ein
Andenken hinterlaſſen, das mich, wohl fühle ich es, mein
Lebenlang an unſer geſtriges Zuſammentreffen erinnern
wird. Doch grolle ich euch darüber nicht, und kann die
Freude, Blutsverwandte und Griechen in meinem Reiche
aufgenommen zu haben, nicht zu theuer erkaufen. Höret
nun, was in Beziehung auf eure Anforderung mein Be¬
ſcheid iſt. Gegen Priamus zu Felde zu ziehen, muthet
mir nicht zu. Mein zweites Gemahl, Aſtyoche, iſt ſeine
Tochter, dazu iſt er ſelbſt ein frommer Greis und ſeine
übrigen Söhne ſind edelmüthig, er und ſie haben keinen
Antheil an dem Verbrechen des leichtſinnigen Paris. Sehet
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/73>, abgerufen am 24.11.2024.
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