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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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Fremde in den Schutz des Königshauses aufgenommen
und den Griechen nicht ausgeliefert werden sollte. Ganz
anders hatte freilich das Volk der Stadt, dem vor einem
feindlichen Angriff und einer Belagerung gar bange war, die
Ankunft des Königssohnes und seinen schönen Raub auf¬
genommen; mancher Fluch hatte ihn durch die Straßen
verfolgt und hier und da war selbst ein Stein nach ihm
geflogen, als er die erbeutete Gemahlin in des Vaters
Pallast geleitete. Doch hielt die Ehrfurcht vor dem alten
König und seinem Willen die Trojaner ab, sich der Auf¬
nahme der neuen Bürgerin ernstlich zu widersetzen.

Als nun im Rathe des Priamus der Beschluß gefaßt
war, die Fürstin nicht zu verstoßen, sandte der König seine
eigene Gemahlin zu ihr in das Frauengemach, um sich zu
überzeugen, daß sie freiwillig mit Paris nach Troja ge¬
kommen sey. Da erklärte Helena, "daß sie durch ihre
eigene Abstammung den Trojanern ebensosehr angehöre
als den Griechen: denn Danaus und Agenor seyen eben¬
sowohl ihre eigenen Stammväter als die Stammhalter
des trojanischen Königshauses. Unfreiwillig geraubt, sey
sie jetzt doch durch langen Besitz und innige Liebe an ihren
neuen Gemahl gefesselt und freiwillig die seinige. Nach
dem, was geschehen, könne sie von ihrem vorigen Gatten
und ihrem Volke keine Verzeihung erwarten; nur Schande
und Tod stände ihr bevor, wenn sie ausgeliefert würde."

So sprach sie mit einem Strom von Thränen und
warf sich der Königin Hekuba zu Füßen, welche die Schutz¬
flehende liebreich aufrichtete, und ihr den Willen des Kö¬
niges und seiner Söhne verkündete, sie gegen jeden Angriff
zu schirmen.


Fremde in den Schutz des Königshauſes aufgenommen
und den Griechen nicht ausgeliefert werden ſollte. Ganz
anders hatte freilich das Volk der Stadt, dem vor einem
feindlichen Angriff und einer Belagerung gar bange war, die
Ankunft des Königsſohnes und ſeinen ſchönen Raub auf¬
genommen; mancher Fluch hatte ihn durch die Straßen
verfolgt und hier und da war ſelbſt ein Stein nach ihm
geflogen, als er die erbeutete Gemahlin in des Vaters
Pallaſt geleitete. Doch hielt die Ehrfurcht vor dem alten
König und ſeinem Willen die Trojaner ab, ſich der Auf¬
nahme der neuen Bürgerin ernſtlich zu widerſetzen.

Als nun im Rathe des Priamus der Beſchluß gefaßt
war, die Fürſtin nicht zu verſtoßen, ſandte der König ſeine
eigene Gemahlin zu ihr in das Frauengemach, um ſich zu
überzeugen, daß ſie freiwillig mit Paris nach Troja ge¬
kommen ſey. Da erklärte Helena, „daß ſie durch ihre
eigene Abſtammung den Trojanern ebenſoſehr angehöre
als den Griechen: denn Danaus und Agenor ſeyen eben¬
ſowohl ihre eigenen Stammväter als die Stammhalter
des trojaniſchen Königshauſes. Unfreiwillig geraubt, ſey
ſie jetzt doch durch langen Beſitz und innige Liebe an ihren
neuen Gemahl gefeſſelt und freiwillig die ſeinige. Nach
dem, was geſchehen, könne ſie von ihrem vorigen Gatten
und ihrem Volke keine Verzeihung erwarten; nur Schande
und Tod ſtände ihr bevor, wenn ſie ausgeliefert würde.“

So ſprach ſie mit einem Strom von Thränen und
warf ſich der Königin Hekuba zu Füßen, welche die Schutz¬
flehende liebreich aufrichtete, und ihr den Willen des Kö¬
niges und ſeiner Söhne verkündete, ſie gegen jeden Angriff
zu ſchirmen.


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[54/0076] Fremde in den Schutz des Königshauſes aufgenommen und den Griechen nicht ausgeliefert werden ſollte. Ganz anders hatte freilich das Volk der Stadt, dem vor einem feindlichen Angriff und einer Belagerung gar bange war, die Ankunft des Königsſohnes und ſeinen ſchönen Raub auf¬ genommen; mancher Fluch hatte ihn durch die Straßen verfolgt und hier und da war ſelbſt ein Stein nach ihm geflogen, als er die erbeutete Gemahlin in des Vaters Pallaſt geleitete. Doch hielt die Ehrfurcht vor dem alten König und ſeinem Willen die Trojaner ab, ſich der Auf¬ nahme der neuen Bürgerin ernſtlich zu widerſetzen. Als nun im Rathe des Priamus der Beſchluß gefaßt war, die Fürſtin nicht zu verſtoßen, ſandte der König ſeine eigene Gemahlin zu ihr in das Frauengemach, um ſich zu überzeugen, daß ſie freiwillig mit Paris nach Troja ge¬ kommen ſey. Da erklärte Helena, „daß ſie durch ihre eigene Abſtammung den Trojanern ebenſoſehr angehöre als den Griechen: denn Danaus und Agenor ſeyen eben¬ ſowohl ihre eigenen Stammväter als die Stammhalter des trojaniſchen Königshauſes. Unfreiwillig geraubt, ſey ſie jetzt doch durch langen Beſitz und innige Liebe an ihren neuen Gemahl gefeſſelt und freiwillig die ſeinige. Nach dem, was geſchehen, könne ſie von ihrem vorigen Gatten und ihrem Volke keine Verzeihung erwarten; nur Schande und Tod ſtände ihr bevor, wenn ſie ausgeliefert würde.“ So ſprach ſie mit einem Strom von Thränen und warf ſich der Königin Hekuba zu Füßen, welche die Schutz¬ flehende liebreich aufrichtete, und ihr den Willen des Kö¬ niges und ſeiner Söhne verkündete, ſie gegen jeden Angriff zu ſchirmen.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/76>, abgerufen am 25.11.2024.