Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

und um einander her: als sie der Versammlung über den
Häuptern waren, schauten sie drohend herab, und fingen
dann an, sich selbst mit den Klauen Hals und Kopf zu
zerkratzen, dann erhoben sie sich wieder und stürmten
rechts hin über Ithaka's Stadt. Dieß deutete der an¬
wesende greise Vogelschauer Halitherses auf großes Ver¬
derben, das den Freiern drohe. Denn noch am Leben
sey Odysseus und nahe schon, und der Tod sey allen
jenen Männern bereitet. Aber der Freier Eurymachus,
des Polybus Sohn, spottete des Zeichens und sagte:
"Geh' du nach Hause und verkündige deinen eigenen
Kindern ihr Geschick, alberner Greis! Uns wirst du nicht
bethören. Viel Vögel fliegen unter den Strahlen der
Sonne herum, aber nicht alle bedeuten etwas! Gewisser
ist nichts, als daß Odysseus in der Ferne starb!" Uebri¬
gens beharrten die Freier auf ihrem Ansinnen, daß die
Mutter Telemachs selbst das Haus verlassen, zu ihrem
Vater Ikarion ziehen und dort wählen solle.

Da drang Telemachus nicht weiter in sie, sondern
er begehrte vom Volke nur ein schnellsegelndes Schiff
und zwanzig Ruderer, um zu Pylos und zu Sparta nach
dem verschollenen Vater zu fragen. Lebe der, so wollte
auch Telemach noch ein Jahr zusehen; sey er todt, so
möge ein anderer die Mutter nehmen. Jetzt erhub sich
Mentor, der Freund und Altersgenosse des Odysseus,
dem dieser, in den Kampf vor Troja ziehend, die Sorge
des Hauses anvertraut hatte, daß er, unter der Ober¬
aufsicht seines Vaters Laertes, Alles in Ordnung erhielte.
Dieser ereiferte sich zornig gegen die Freier und rief:
"Kein Wunder, wenn ein Scepter tragender König Recht
und Billigkeit vergäße, stets zürnte und grausam frevelte:

und um einander her: als ſie der Verſammlung über den
Häuptern waren, ſchauten ſie drohend herab, und fingen
dann an, ſich ſelbſt mit den Klauen Hals und Kopf zu
zerkratzen, dann erhoben ſie ſich wieder und ſtürmten
rechts hin über Ithaka's Stadt. Dieß deutete der an¬
weſende greiſe Vogelſchauer Halitherſes auf großes Ver¬
derben, das den Freiern drohe. Denn noch am Leben
ſey Odyſſeus und nahe ſchon, und der Tod ſey allen
jenen Männern bereitet. Aber der Freier Eurymachus,
des Polybus Sohn, ſpottete des Zeichens und ſagte:
„Geh' du nach Hauſe und verkündige deinen eigenen
Kindern ihr Geſchick, alberner Greis! Uns wirſt du nicht
bethören. Viel Vögel fliegen unter den Strahlen der
Sonne herum, aber nicht alle bedeuten etwas! Gewiſſer
iſt nichts, als daß Odyſſeus in der Ferne ſtarb!“ Uebri¬
gens beharrten die Freier auf ihrem Anſinnen, daß die
Mutter Telemachs ſelbſt das Haus verlaſſen, zu ihrem
Vater Ikarion ziehen und dort wählen ſolle.

Da drang Telemachus nicht weiter in ſie, ſondern
er begehrte vom Volke nur ein ſchnellſegelndes Schiff
und zwanzig Ruderer, um zu Pylos und zu Sparta nach
dem verſchollenen Vater zu fragen. Lebe der, ſo wollte
auch Telemach noch ein Jahr zuſehen; ſey er todt, ſo
möge ein anderer die Mutter nehmen. Jetzt erhub ſich
Mentor, der Freund und Altersgenoſſe des Odyſſeus,
dem dieſer, in den Kampf vor Troja ziehend, die Sorge
des Hauſes anvertraut hatte, daß er, unter der Ober¬
aufſicht ſeines Vaters Laertes, Alles in Ordnung erhielte.
Dieſer ereiferte ſich zornig gegen die Freier und rief:
„Kein Wunder, wenn ein Scepter tragender König Recht
und Billigkeit vergäße, ſtets zürnte und grauſam frevelte:

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0100" n="78"/>
und um einander her: als &#x017F;ie der Ver&#x017F;ammlung über den<lb/>
Häuptern waren, &#x017F;chauten &#x017F;ie drohend herab, und fingen<lb/>
dann an, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t mit den Klauen Hals und Kopf zu<lb/>
zerkratzen, dann erhoben &#x017F;ie &#x017F;ich wieder und &#x017F;türmten<lb/>
rechts hin über Ithaka's Stadt. Dieß deutete der an¬<lb/>
we&#x017F;ende grei&#x017F;e Vogel&#x017F;chauer Halither&#x017F;es auf großes Ver¬<lb/>
derben, das den Freiern drohe. Denn noch am Leben<lb/>
&#x017F;ey Ody&#x017F;&#x017F;eus und nahe &#x017F;chon, und der Tod &#x017F;ey allen<lb/>
jenen Männern bereitet. Aber der Freier Eurymachus,<lb/>
des Polybus Sohn, &#x017F;pottete des Zeichens und &#x017F;agte:<lb/>
&#x201E;Geh' du nach Hau&#x017F;e und verkündige deinen eigenen<lb/>
Kindern ihr Ge&#x017F;chick, alberner Greis! Uns wir&#x017F;t du nicht<lb/>
bethören. Viel Vögel fliegen unter den Strahlen der<lb/>
Sonne herum, aber nicht alle bedeuten etwas! Gewi&#x017F;&#x017F;er<lb/>
i&#x017F;t nichts, als daß Ody&#x017F;&#x017F;eus in der Ferne &#x017F;tarb!&#x201C; Uebri¬<lb/>
gens beharrten die Freier auf ihrem An&#x017F;innen, daß die<lb/>
Mutter Telemachs &#x017F;elb&#x017F;t das Haus verla&#x017F;&#x017F;en, zu ihrem<lb/>
Vater Ikarion ziehen und dort wählen &#x017F;olle.</p><lb/>
            <p>Da drang Telemachus nicht weiter in &#x017F;ie, &#x017F;ondern<lb/>
er begehrte vom Volke nur ein &#x017F;chnell&#x017F;egelndes Schiff<lb/>
und zwanzig Ruderer, um zu Pylos und zu Sparta nach<lb/>
dem ver&#x017F;chollenen Vater zu fragen. Lebe der, &#x017F;o wollte<lb/>
auch Telemach noch ein Jahr zu&#x017F;ehen; &#x017F;ey er todt, &#x017F;o<lb/>
möge ein anderer die Mutter nehmen. Jetzt erhub &#x017F;ich<lb/>
Mentor, der Freund und Altersgeno&#x017F;&#x017F;e des Ody&#x017F;&#x017F;eus,<lb/>
dem die&#x017F;er, in den Kampf vor Troja ziehend, die Sorge<lb/>
des Hau&#x017F;es anvertraut hatte, daß er, unter der Ober¬<lb/>
auf&#x017F;icht &#x017F;eines Vaters Laertes, Alles in Ordnung erhielte.<lb/>
Die&#x017F;er ereiferte &#x017F;ich zornig gegen die Freier und rief:<lb/>
&#x201E;Kein Wunder, wenn ein Scepter tragender König Recht<lb/>
und Billigkeit vergäße, &#x017F;tets zürnte und grau&#x017F;am frevelte:<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0100] und um einander her: als ſie der Verſammlung über den Häuptern waren, ſchauten ſie drohend herab, und fingen dann an, ſich ſelbſt mit den Klauen Hals und Kopf zu zerkratzen, dann erhoben ſie ſich wieder und ſtürmten rechts hin über Ithaka's Stadt. Dieß deutete der an¬ weſende greiſe Vogelſchauer Halitherſes auf großes Ver¬ derben, das den Freiern drohe. Denn noch am Leben ſey Odyſſeus und nahe ſchon, und der Tod ſey allen jenen Männern bereitet. Aber der Freier Eurymachus, des Polybus Sohn, ſpottete des Zeichens und ſagte: „Geh' du nach Hauſe und verkündige deinen eigenen Kindern ihr Geſchick, alberner Greis! Uns wirſt du nicht bethören. Viel Vögel fliegen unter den Strahlen der Sonne herum, aber nicht alle bedeuten etwas! Gewiſſer iſt nichts, als daß Odyſſeus in der Ferne ſtarb!“ Uebri¬ gens beharrten die Freier auf ihrem Anſinnen, daß die Mutter Telemachs ſelbſt das Haus verlaſſen, zu ihrem Vater Ikarion ziehen und dort wählen ſolle. Da drang Telemachus nicht weiter in ſie, ſondern er begehrte vom Volke nur ein ſchnellſegelndes Schiff und zwanzig Ruderer, um zu Pylos und zu Sparta nach dem verſchollenen Vater zu fragen. Lebe der, ſo wollte auch Telemach noch ein Jahr zuſehen; ſey er todt, ſo möge ein anderer die Mutter nehmen. Jetzt erhub ſich Mentor, der Freund und Altersgenoſſe des Odyſſeus, dem dieſer, in den Kampf vor Troja ziehend, die Sorge des Hauſes anvertraut hatte, daß er, unter der Ober¬ aufſicht ſeines Vaters Laertes, Alles in Ordnung erhielte. Dieſer ereiferte ſich zornig gegen die Freier und rief: „Kein Wunder, wenn ein Scepter tragender König Recht und Billigkeit vergäße, ſtets zürnte und grauſam frevelte:

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/100
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/100>, abgerufen am 24.11.2024.