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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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ebenso vielen Helmen und Lanzen zurück. Unerwartet
sah Odysseus seine Feinde mit Rüstungen umhüllt, und
lange Speere in den Händen bewegend. Er erschrak
und sprach zu seinem Sohne Telemach: "Das hat uns
eine der falschen Mägde, oder der arge Gaishirt zuge¬
richtet!" "Ach, Vater, ich bin selbst daran schuld,"
erwiederte Telemach, "ich habe vorhin, als ich die Waffen
holte, die Thüre der Rüstkammer in der Eile nur ange¬
lehnt." Der Sauhirt eilte nun hinauf zur Kammer, um
sie zu verschließen. Durch die offene Thüre sah er, wie
drin schon wieder der Gaishirt stand, weitere Waffen zu
holen. Er eilte mit dieser Nachricht nach der Schwelle
zurück. "Soll ich mich des Schalks bemächtigen?" fragte
er seinen Herrn. "Ja," erwiederte dieser, "nimm den
Rinderhirten mit, überfallet ihn in der Kammer, drehet
ihm Hände und Füße auf den Rücken, und hänget
ihn mit einem starken Seil an die Mittelsäule der
Kammer, daß er in Qualen harre. Dann schließet die
Thüre zu, und kehret zurück." Die Hirten gehorchten.
Sie beschlichen den Falschen, wie er eben im Winkel
der Kammer nach Waffen umherspähte. Als er wieder
zu der Schwelle kam, in der einen Hand einen Helm,
in der andern einen alten verschimmelnte Schild, packten
sie ihn, warfen den Schreienden zu Boden, fesselten ihm
Hände und Füße auf dem Rücken, knüpften an einen
Haken der Decke ein langes Seil, schlangen es um sei¬
nen Leib, und zogen ihn an der Säule bis dicht an die
Balken empor. "Wir haben dich sanft gebettet," sprach
der Sauhirt, "schlaf wohl!" Nun verschlossen sie die
Pforte, und kehrten auf ihre Posten zu den Helden
zurück. Unverhofft gesellte sich zu den Vieren ein fünfter

ebenſo vielen Helmen und Lanzen zurück. Unerwartet
ſah Odyſſeus ſeine Feinde mit Rüſtungen umhüllt, und
lange Speere in den Händen bewegend. Er erſchrak
und ſprach zu ſeinem Sohne Telemach: „Das hat uns
eine der falſchen Mägde, oder der arge Gaishirt zuge¬
richtet!“ „Ach, Vater, ich bin ſelbſt daran ſchuld,“
erwiederte Telemach, „ich habe vorhin, als ich die Waffen
holte, die Thüre der Rüſtkammer in der Eile nur ange¬
lehnt.“ Der Sauhirt eilte nun hinauf zur Kammer, um
ſie zu verſchließen. Durch die offene Thüre ſah er, wie
drin ſchon wieder der Gaishirt ſtand, weitere Waffen zu
holen. Er eilte mit dieſer Nachricht nach der Schwelle
zurück. „Soll ich mich des Schalks bemächtigen?“ fragte
er ſeinen Herrn. „Ja,“ erwiederte dieſer, „nimm den
Rinderhirten mit, überfallet ihn in der Kammer, drehet
ihm Hände und Füße auf den Rücken, und hänget
ihn mit einem ſtarken Seil an die Mittelſäule der
Kammer, daß er in Qualen harre. Dann ſchließet die
Thüre zu, und kehret zurück.“ Die Hirten gehorchten.
Sie beſchlichen den Falſchen, wie er eben im Winkel
der Kammer nach Waffen umherſpähte. Als er wieder
zu der Schwelle kam, in der einen Hand einen Helm,
in der andern einen alten verſchimmelnte Schild, packten
ſie ihn, warfen den Schreienden zu Boden, feſſelten ihm
Hände und Füße auf dem Rücken, knüpften an einen
Haken der Decke ein langes Seil, ſchlangen es um ſei¬
nen Leib, und zogen ihn an der Säule bis dicht an die
Balken empor. „Wir haben dich ſanft gebettet,“ ſprach
der Sauhirt, „ſchlaf wohl!“ Nun verſchloſſen ſie die
Pforte, und kehrten auf ihre Poſten zu den Helden
zurück. Unverhofft geſellte ſich zu den Vieren ein fünfter

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[263/0285] ebenſo vielen Helmen und Lanzen zurück. Unerwartet ſah Odyſſeus ſeine Feinde mit Rüſtungen umhüllt, und lange Speere in den Händen bewegend. Er erſchrak und ſprach zu ſeinem Sohne Telemach: „Das hat uns eine der falſchen Mägde, oder der arge Gaishirt zuge¬ richtet!“ „Ach, Vater, ich bin ſelbſt daran ſchuld,“ erwiederte Telemach, „ich habe vorhin, als ich die Waffen holte, die Thüre der Rüſtkammer in der Eile nur ange¬ lehnt.“ Der Sauhirt eilte nun hinauf zur Kammer, um ſie zu verſchließen. Durch die offene Thüre ſah er, wie drin ſchon wieder der Gaishirt ſtand, weitere Waffen zu holen. Er eilte mit dieſer Nachricht nach der Schwelle zurück. „Soll ich mich des Schalks bemächtigen?“ fragte er ſeinen Herrn. „Ja,“ erwiederte dieſer, „nimm den Rinderhirten mit, überfallet ihn in der Kammer, drehet ihm Hände und Füße auf den Rücken, und hänget ihn mit einem ſtarken Seil an die Mittelſäule der Kammer, daß er in Qualen harre. Dann ſchließet die Thüre zu, und kehret zurück.“ Die Hirten gehorchten. Sie beſchlichen den Falſchen, wie er eben im Winkel der Kammer nach Waffen umherſpähte. Als er wieder zu der Schwelle kam, in der einen Hand einen Helm, in der andern einen alten verſchimmelnte Schild, packten ſie ihn, warfen den Schreienden zu Boden, feſſelten ihm Hände und Füße auf dem Rücken, knüpften an einen Haken der Decke ein langes Seil, ſchlangen es um ſei¬ nen Leib, und zogen ihn an der Säule bis dicht an die Balken empor. „Wir haben dich ſanft gebettet,“ ſprach der Sauhirt, „ſchlaf wohl!“ Nun verſchloſſen ſie die Pforte, und kehrten auf ihre Poſten zu den Helden zurück. Unverhofft geſellte ſich zu den Vieren ein fünfter

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/285>, abgerufen am 22.11.2024.