Zwillingsknaben am Euter hingen, zu welchen sie liebkosend ihren Hals zurückbeugte, und die sie mit der Zunge be¬ leckte. Jeder Knabe aus unserer Zeit hätte dem Aeneas sagen können, daß die Kinder Romulus und Remus hießen. Dann war eine Stadt abgebildet, wo im hohen Theater von kräftigen Männerhänden Frauen als ein Raub davongetragen wurden; es war Rom und der Raub der Sabinerinnen; dann vor Jupiters Altar zwei bewaffnete Herrscher mit Sühnopfern und mit Bundes¬ schalen in der Hand: Romulus und Tatius. Nicht ferne davon schleifte ein König mit seinem Viergespann einen Verbrecher zu Tode: Tullus Hostilius den falschen Metius. Auf einer halbabgebrochenen Brücke stand ein¬ äugig ein Vertheidiger, und durch den Strom schwamm eine Jungfrau, indeß ein zorniger Kriegerkönig am jen¬ seitigen Ufer thronte; es waren Kokles, Klölia und Por¬ sena der Etrusker. Auf einer hohen Burg mit Palästen und Tempeln stand ein bewaffneter Wächter, und silberne Gänse flatterten durch goldene Hallen, während am Fuße des Berges Barbaren auf der Lauer standen: Man¬ lius und die Gallier. Und so kam eine Geschichte um die andere, bis auf Katilina, Kato, Cäsar und Augustus herab. Unkundig aller dieser Dinge, freute sich Aenas des Schildes, wie ein Kind sich des Bilderbuches freut, dann kleidete er sich in die himmlischen Waffen, faßte den Schild mit der Linken, und im Gefühle hohen Göt¬ terschutzes mischte er sich wieder in den Zug der Sei¬ nigen.
Zwillingsknaben am Euter hingen, zu welchen ſie liebkoſend ihren Hals zurückbeugte, und die ſie mit der Zunge be¬ leckte. Jeder Knabe aus unſerer Zeit hätte dem Aeneas ſagen können, daß die Kinder Romulus und Remus hießen. Dann war eine Stadt abgebildet, wo im hohen Theater von kräftigen Männerhänden Frauen als ein Raub davongetragen wurden; es war Rom und der Raub der Sabinerinnen; dann vor Jupiters Altar zwei bewaffnete Herrſcher mit Sühnopfern und mit Bundes¬ ſchalen in der Hand: Romulus und Tatius. Nicht ferne davon ſchleifte ein König mit ſeinem Viergeſpann einen Verbrecher zu Tode: Tullus Hoſtilius den falſchen Metius. Auf einer halbabgebrochenen Brücke ſtand ein¬ äugig ein Vertheidiger, und durch den Strom ſchwamm eine Jungfrau, indeß ein zorniger Kriegerkönig am jen¬ ſeitigen Ufer thronte; es waren Kokles, Klölia und Por¬ ſena der Etrusker. Auf einer hohen Burg mit Paläſten und Tempeln ſtand ein bewaffneter Wächter, und ſilberne Gänſe flatterten durch goldene Hallen, während am Fuße des Berges Barbaren auf der Lauer ſtanden: Man¬ lius und die Gallier. Und ſo kam eine Geſchichte um die andere, bis auf Katilina, Kato, Cäſar und Auguſtus herab. Unkundig aller dieſer Dinge, freute ſich Aenas des Schildes, wie ein Kind ſich des Bilderbuches freut, dann kleidete er ſich in die himmliſchen Waffen, faßte den Schild mit der Linken, und im Gefühle hohen Göt¬ terſchutzes miſchte er ſich wieder in den Zug der Sei¬ nigen.
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Zwillingsknaben am Euter hingen, zu welchen ſie liebkoſend
ihren Hals zurückbeugte, und die ſie mit der Zunge be¬
leckte. Jeder Knabe aus unſerer Zeit hätte dem Aeneas
ſagen können, daß die Kinder Romulus und Remus
hießen. Dann war eine Stadt abgebildet, wo im hohen
Theater von kräftigen Männerhänden Frauen als ein
Raub davongetragen wurden; es war Rom und der
Raub der Sabinerinnen; dann vor Jupiters Altar zwei
bewaffnete Herrſcher mit Sühnopfern und mit Bundes¬
ſchalen in der Hand: Romulus und Tatius. Nicht
ferne davon ſchleifte ein König mit ſeinem Viergeſpann
einen Verbrecher zu Tode: Tullus Hoſtilius den falſchen
Metius. Auf einer halbabgebrochenen Brücke ſtand ein¬
äugig ein Vertheidiger, und durch den Strom ſchwamm
eine Jungfrau, indeß ein zorniger Kriegerkönig am jen¬
ſeitigen Ufer thronte; es waren Kokles, Klölia und Por¬
ſena der Etrusker. Auf einer hohen Burg mit Paläſten
und Tempeln ſtand ein bewaffneter Wächter, und ſilberne
Gänſe flatterten durch goldene Hallen, während am
Fuße des Berges Barbaren auf der Lauer ſtanden: Man¬
lius und die Gallier. Und ſo kam eine Geſchichte um
die andere, bis auf Katilina, Kato, Cäſar und Auguſtus
herab. Unkundig aller dieſer Dinge, freute ſich Aenas
des Schildes, wie ein Kind ſich des Bilderbuches freut,
dann kleidete er ſich in die himmliſchen Waffen, faßte
den Schild mit der Linken, und im Gefühle hohen Göt¬
terſchutzes miſchte er ſich wieder in den Zug der Sei¬
nigen.
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/392>, abgerufen am 22.11.2024.
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