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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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Hain von Ahornbäumen und Kiefern fällen lassen. Nun
aber ängstet mich die Sorge, meine geliebten Bäume, zu
Schiffen umgewandelt, möchten ein Raub der Stürme
werden. Darum erhöre meine Bitte, laß es dem Holz
zu Gute kommen, daß es auf dem Ida gewachsen ist,
und schütze die Schiffe vor aller Gefahr." "Das kann
ich nicht," erwiederte Jupiter, "ich vermag dem von sterb¬
lichen Händen Erbauten nicht Unsterblichkeit auf Erden
zu verleihen, doch was ich für sie thun kann, das will
ich. So viel ihrer, ausgedient, das Ziel und den Hafen
Ausoniens erreichen, die will ich von der sterblichen Form
befreien und wie die Töchter des Nereus sollen sie als
Göttinnen des Meeres ein seliges Leben in den Fluthen
führen."

Dieses Wort ging jetzt in Erfüllung. Als Turnus
den Brand in die Schiffe werfen wollte, verbreitete sich
von Morgen her ein Strahlengewölk über den Himmel,
und ein grauenvoller Schall aus den Lüften durchlief
die Schaaren der Trojaner und der Rutuler. "Bemühet
euch nicht so ängstlich," rief es, "ihr Trojaner, meine Schiffe
zu schirmen. Eher wird Turnus das Meer verbrennen,
als sie! Ihr aber, Schiffe, schwimmet erlöst dahin,
seyd Meeresgöttinnen, die Mutter der Götter will es so!"
Bei diesem Worte wurden die Schiffe plötzlich lebendig,
zerrissen jedes seine Seile, mit welchen sie angebunden
waren, tauchten mit den Schnäbeln wie Delphine ins
Meer unter, und schwammen, wieder aufgetaucht, in Ge¬
stalt schöner Jungfrauen durch die Meeresfluth. Ent¬
setzen ergriff die Rutuler. Messapus, ihr vorderster
Führer, schreckte mit scheuem Gespann auf seinem Wa¬
gen zusammen, ja der Tiberstrom selbst zog sich mit seinen

Hain von Ahornbäumen und Kiefern fällen laſſen. Nun
aber ängſtet mich die Sorge, meine geliebten Bäume, zu
Schiffen umgewandelt, möchten ein Raub der Stürme
werden. Darum erhöre meine Bitte, laß es dem Holz
zu Gute kommen, daß es auf dem Ida gewachſen iſt,
und ſchütze die Schiffe vor aller Gefahr.“ „Das kann
ich nicht,“ erwiederte Jupiter, „ich vermag dem von ſterb¬
lichen Händen Erbauten nicht Unſterblichkeit auf Erden
zu verleihen, doch was ich für ſie thun kann, das will
ich. So viel ihrer, ausgedient, das Ziel und den Hafen
Auſoniens erreichen, die will ich von der ſterblichen Form
befreien und wie die Töchter des Nereus ſollen ſie als
Göttinnen des Meeres ein ſeliges Leben in den Fluthen
führen.“

Dieſes Wort ging jetzt in Erfüllung. Als Turnus
den Brand in die Schiffe werfen wollte, verbreitete ſich
von Morgen her ein Strahlengewölk über den Himmel,
und ein grauenvoller Schall aus den Lüften durchlief
die Schaaren der Trojaner und der Rutuler. „Bemühet
euch nicht ſo ängſtlich,“ rief es, „ihr Trojaner, meine Schiffe
zu ſchirmen. Eher wird Turnus das Meer verbrennen,
als ſie! Ihr aber, Schiffe, ſchwimmet erlöst dahin,
ſeyd Meeresgöttinnen, die Mutter der Götter will es ſo!“
Bei dieſem Worte wurden die Schiffe plötzlich lebendig,
zerriſſen jedes ſeine Seile, mit welchen ſie angebunden
waren, tauchten mit den Schnäbeln wie Delphine ins
Meer unter, und ſchwammen, wieder aufgetaucht, in Ge¬
ſtalt ſchöner Jungfrauen durch die Meeresfluth. Ent¬
ſetzen ergriff die Rutuler. Meſſapus, ihr vorderſter
Führer, ſchreckte mit ſcheuem Geſpann auf ſeinem Wa¬
gen zuſammen, ja der Tiberſtrom ſelbſt zog ſich mit ſeinen

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[373/0395] Hain von Ahornbäumen und Kiefern fällen laſſen. Nun aber ängſtet mich die Sorge, meine geliebten Bäume, zu Schiffen umgewandelt, möchten ein Raub der Stürme werden. Darum erhöre meine Bitte, laß es dem Holz zu Gute kommen, daß es auf dem Ida gewachſen iſt, und ſchütze die Schiffe vor aller Gefahr.“ „Das kann ich nicht,“ erwiederte Jupiter, „ich vermag dem von ſterb¬ lichen Händen Erbauten nicht Unſterblichkeit auf Erden zu verleihen, doch was ich für ſie thun kann, das will ich. So viel ihrer, ausgedient, das Ziel und den Hafen Auſoniens erreichen, die will ich von der ſterblichen Form befreien und wie die Töchter des Nereus ſollen ſie als Göttinnen des Meeres ein ſeliges Leben in den Fluthen führen.“ Dieſes Wort ging jetzt in Erfüllung. Als Turnus den Brand in die Schiffe werfen wollte, verbreitete ſich von Morgen her ein Strahlengewölk über den Himmel, und ein grauenvoller Schall aus den Lüften durchlief die Schaaren der Trojaner und der Rutuler. „Bemühet euch nicht ſo ängſtlich,“ rief es, „ihr Trojaner, meine Schiffe zu ſchirmen. Eher wird Turnus das Meer verbrennen, als ſie! Ihr aber, Schiffe, ſchwimmet erlöst dahin, ſeyd Meeresgöttinnen, die Mutter der Götter will es ſo!“ Bei dieſem Worte wurden die Schiffe plötzlich lebendig, zerriſſen jedes ſeine Seile, mit welchen ſie angebunden waren, tauchten mit den Schnäbeln wie Delphine ins Meer unter, und ſchwammen, wieder aufgetaucht, in Ge¬ ſtalt ſchöner Jungfrauen durch die Meeresfluth. Ent¬ ſetzen ergriff die Rutuler. Meſſapus, ihr vorderſter Führer, ſchreckte mit ſcheuem Geſpann auf ſeinem Wa¬ gen zuſammen, ja der Tiberſtrom ſelbſt zog ſich mit ſeinen

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/395>, abgerufen am 25.11.2024.