Nimmst du noch immer den Vater zum Vorwande deiner Anklage, daß er durch mich gestorben sey? Nun wohl, ich läugne diese That nicht, aber nicht ich allein bin es, die sie verrichtete, die Göttin der Gerechtigkeit stand mir zur Seite; und auf ihre Seite solltest auch du treten, wenn du vernünftig wärest. Erfrechte sich nicht dieser dein Vater, den du unaufhörlich beweinst, allein im ganzen Volke, deine Schwester sich und Menelaus zum Vortheil hinzuopfern? Ist ein solcher Vater nicht schänd¬ lich und sinnlos? Würde der Todten gewährt zu sprechen, gewiß sie würde mir Recht geben! Ob aber du, Thö¬ rin, mich schiltst, das gilt mir gleich."
"Höre mich an," erwiderte Elektra, "Du gestehst meines Vaters Mord. Das ist Schande genug, mag dieser Mord nun gerecht gewesen seyn oder nicht. Aber nicht um der Gerechtigkeit willen hast du ihn erschlagen! Die Schmeichelei des schnöden Mannes trieb dich dazu, der dich jetzt besitzt. Mein Vater opferte fürs Heer und nicht für sich, nicht für Menelaus. Widerstrebend, gezwungen that er es, dem Volke zu lieb. Und wenn er es für sich, wenn er es für seinen Bruder gethan hätte, mußte er deßwegen von deiner Hand sterben? mußtest du deinen Mordgenossen zum Gemahl nehmen, und die allerschimpflichste That auf die allerverruchteste folgen lassen? oder heißest du das vielleicht auch Ver¬ geltung für den Opfertod deines Kindes?" -- "Schnöde Brut," rief Klytämnestra zornglühend ihr entgegen, "bei der Königin Diana! du büßest mir diesen Trotz, ist nur erst Aegisthus zurückgekommen. Wirst du dein Geschrei einstellen und mich ruhig opfern lassen?"
Klytämnestra wandte sich von der Tochter ab und
Nimmſt du noch immer den Vater zum Vorwande deiner Anklage, daß er durch mich geſtorben ſey? Nun wohl, ich läugne dieſe That nicht, aber nicht ich allein bin es, die ſie verrichtete, die Göttin der Gerechtigkeit ſtand mir zur Seite; und auf ihre Seite ſollteſt auch du treten, wenn du vernünftig wäreſt. Erfrechte ſich nicht dieſer dein Vater, den du unaufhörlich beweinſt, allein im ganzen Volke, deine Schweſter ſich und Menelaus zum Vortheil hinzuopfern? Iſt ein ſolcher Vater nicht ſchänd¬ lich und ſinnlos? Würde der Todten gewährt zu ſprechen, gewiß ſie würde mir Recht geben! Ob aber du, Thö¬ rin, mich ſchiltſt, das gilt mir gleich.“
„Höre mich an,“ erwiderte Elektra, „Du geſtehſt meines Vaters Mord. Das iſt Schande genug, mag dieſer Mord nun gerecht geweſen ſeyn oder nicht. Aber nicht um der Gerechtigkeit willen haſt du ihn erſchlagen! Die Schmeichelei des ſchnöden Mannes trieb dich dazu, der dich jetzt beſitzt. Mein Vater opferte fürs Heer und nicht für ſich, nicht für Menelaus. Widerſtrebend, gezwungen that er es, dem Volke zu lieb. Und wenn er es für ſich, wenn er es für ſeinen Bruder gethan hätte, mußte er deßwegen von deiner Hand ſterben? mußteſt du deinen Mordgenoſſen zum Gemahl nehmen, und die allerſchimpflichſte That auf die allerverruchteſte folgen laſſen? oder heißeſt du das vielleicht auch Ver¬ geltung für den Opfertod deines Kindes?“ — „Schnöde Brut,“ rief Klytämneſtra zornglühend ihr entgegen, „bei der Königin Diana! du büßeſt mir dieſen Trotz, iſt nur erſt Aegiſthus zurückgekommen. Wirſt du dein Geſchrei einſtellen und mich ruhig opfern laſſen?“
Klytämneſtra wandte ſich von der Tochter ab und
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Nimmſt du noch immer den Vater zum Vorwande deiner
Anklage, daß er durch mich geſtorben ſey? Nun wohl,
ich läugne dieſe That nicht, aber nicht ich allein bin es,
die ſie verrichtete, die Göttin der Gerechtigkeit ſtand mir
zur Seite; und auf ihre Seite ſollteſt auch du treten,
wenn du vernünftig wäreſt. Erfrechte ſich nicht dieſer
dein Vater, den du unaufhörlich beweinſt, allein im
ganzen Volke, deine Schweſter ſich und Menelaus zum
Vortheil hinzuopfern? Iſt ein ſolcher Vater nicht ſchänd¬
lich und ſinnlos? Würde der Todten gewährt zu ſprechen,
gewiß ſie würde mir Recht geben! Ob aber du, Thö¬
rin, mich ſchiltſt, das gilt mir gleich.“
„Höre mich an,“ erwiderte Elektra, „Du geſtehſt
meines Vaters Mord. Das iſt Schande genug, mag
dieſer Mord nun gerecht geweſen ſeyn oder nicht. Aber
nicht um der Gerechtigkeit willen haſt du ihn erſchlagen!
Die Schmeichelei des ſchnöden Mannes trieb dich dazu,
der dich jetzt beſitzt. Mein Vater opferte fürs Heer
und nicht für ſich, nicht für Menelaus. Widerſtrebend,
gezwungen that er es, dem Volke zu lieb. Und wenn
er es für ſich, wenn er es für ſeinen Bruder gethan
hätte, mußte er deßwegen von deiner Hand ſterben?
mußteſt du deinen Mordgenoſſen zum Gemahl nehmen,
und die allerſchimpflichſte That auf die allerverruchteſte
folgen laſſen? oder heißeſt du das vielleicht auch Ver¬
geltung für den Opfertod deines Kindes?“ — „Schnöde
Brut,“ rief Klytämneſtra zornglühend ihr entgegen, „bei
der Königin Diana! du büßeſt mir dieſen Trotz, iſt nur
erſt Aegiſthus zurückgekommen. Wirſt du dein Geſchrei
einſtellen und mich ruhig opfern laſſen?“
Klytämneſtra wandte ſich von der Tochter ab und
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/40>, abgerufen am 21.11.2024.
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