Segel blasen! Wir sind Fichten vom Idagebirge, deine treuen Schiffe, jetzt durch Cybele's Erbarmen dem Brande der Rutuler entzogen und in Meeresgöttinnen umge¬ wandelt. Eile, Freund, dein Sohn Askanius, von Wall und Graben umschlossen, ist von den Rutulern belagert, und der Kampf tobt um seine Mauern. Deine Reiter zwar sind angekommen und stehen nicht ferne vom Lager, aber Turnus weiß es, und ist entschlossen, Kriegsvolk zwischen sie und das Lager zu werfen. Auf denn, be¬ flügle deinen Lauf! wenn der Tag anbricht, wirst du in der Tibermündung seyn; dann ergreife den funkelnden Goldschild, den Vulkanus dir gab, und strecke ihn dem Lager deiner Genossen entgegen. Sey getrost, der mor¬ gende Tag wird dir Sieg verleihen!"
So sprach sie, und gab im Hinuntertauchen dem Hinterverdecke des Schiffes einen Stoß, daß es schneller als Lanzen und Pfeile durch die Wellen fuhr. Als hätten sie Flügel, eilten dem Feldherrnschiff auch die andern Schiffe nach, und mit dem ersten Morgenlichte hatte der Sohn des Anchises sein Lager im Angesicht. Da gedachte er des Befehls der Nymphe; er ergriff seinen flammen¬ den Schild, stellte sich damit aufs Vorderverdeck, hielt ihn mit der Linken hoch in die Lüfte, und streckte ihn seinen Freunden entgegen. Wie eine Sonne, die aus den Fluthen taucht, schien er den Trojanern, die den Schiffs¬ zug vom Walle herab gewahr wurden, entgegen. Sie erhoben ein Jubelgeschrei, und ihre Lanzenwürfe verdop¬ pelten sich. Die Rutuler und ihre Führer begriffen von dieser plötzlichen Begeisterung der Feinde nichts, bis sie auf einmal hinter sich das Meer von Segeln angefüllt, und eine Flotte an den Strand laufen sahen. Da
Segel blaſen! Wir ſind Fichten vom Idagebirge, deine treuen Schiffe, jetzt durch Cybele's Erbarmen dem Brande der Rutuler entzogen und in Meeresgöttinnen umge¬ wandelt. Eile, Freund, dein Sohn Askanius, von Wall und Graben umſchloſſen, iſt von den Rutulern belagert, und der Kampf tobt um ſeine Mauern. Deine Reiter zwar ſind angekommen und ſtehen nicht ferne vom Lager, aber Turnus weiß es, und iſt entſchloſſen, Kriegsvolk zwiſchen ſie und das Lager zu werfen. Auf denn, be¬ flügle deinen Lauf! wenn der Tag anbricht, wirſt du in der Tibermündung ſeyn; dann ergreife den funkelnden Goldſchild, den Vulkanus dir gab, und ſtrecke ihn dem Lager deiner Genoſſen entgegen. Sey getroſt, der mor¬ gende Tag wird dir Sieg verleihen!“
So ſprach ſie, und gab im Hinuntertauchen dem Hinterverdecke des Schiffes einen Stoß, daß es ſchneller als Lanzen und Pfeile durch die Wellen fuhr. Als hätten ſie Flügel, eilten dem Feldherrnſchiff auch die andern Schiffe nach, und mit dem erſten Morgenlichte hatte der Sohn des Anchiſes ſein Lager im Angeſicht. Da gedachte er des Befehls der Nymphe; er ergriff ſeinen flammen¬ den Schild, ſtellte ſich damit aufs Vorderverdeck, hielt ihn mit der Linken hoch in die Lüfte, und ſtreckte ihn ſeinen Freunden entgegen. Wie eine Sonne, die aus den Fluthen taucht, ſchien er den Trojanern, die den Schiffs¬ zug vom Walle herab gewahr wurden, entgegen. Sie erhoben ein Jubelgeſchrei, und ihre Lanzenwürfe verdop¬ pelten ſich. Die Rutuler und ihre Führer begriffen von dieſer plötzlichen Begeiſterung der Feinde nichts, bis ſie auf einmal hinter ſich das Meer von Segeln angefüllt, und eine Flotte an den Strand laufen ſahen. Da
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Segel blaſen! Wir ſind Fichten vom Idagebirge, deine
treuen Schiffe, jetzt durch Cybele's Erbarmen dem Brande
der Rutuler entzogen und in Meeresgöttinnen umge¬
wandelt. Eile, Freund, dein Sohn Askanius, von Wall
und Graben umſchloſſen, iſt von den Rutulern belagert,
und der Kampf tobt um ſeine Mauern. Deine Reiter
zwar ſind angekommen und ſtehen nicht ferne vom Lager,
aber Turnus weiß es, und iſt entſchloſſen, Kriegsvolk
zwiſchen ſie und das Lager zu werfen. Auf denn, be¬
flügle deinen Lauf! wenn der Tag anbricht, wirſt du in
der Tibermündung ſeyn; dann ergreife den funkelnden
Goldſchild, den Vulkanus dir gab, und ſtrecke ihn dem
Lager deiner Genoſſen entgegen. Sey getroſt, der mor¬
gende Tag wird dir Sieg verleihen!“
So ſprach ſie, und gab im Hinuntertauchen dem
Hinterverdecke des Schiffes einen Stoß, daß es ſchneller
als Lanzen und Pfeile durch die Wellen fuhr. Als hätten
ſie Flügel, eilten dem Feldherrnſchiff auch die andern
Schiffe nach, und mit dem erſten Morgenlichte hatte der
Sohn des Anchiſes ſein Lager im Angeſicht. Da gedachte
er des Befehls der Nymphe; er ergriff ſeinen flammen¬
den Schild, ſtellte ſich damit aufs Vorderverdeck, hielt
ihn mit der Linken hoch in die Lüfte, und ſtreckte ihn
ſeinen Freunden entgegen. Wie eine Sonne, die aus den
Fluthen taucht, ſchien er den Trojanern, die den Schiffs¬
zug vom Walle herab gewahr wurden, entgegen. Sie
erhoben ein Jubelgeſchrei, und ihre Lanzenwürfe verdop¬
pelten ſich. Die Rutuler und ihre Führer begriffen von
dieſer plötzlichen Begeiſterung der Feinde nichts, bis ſie
auf einmal hinter ſich das Meer von Segeln angefüllt,
und eine Flotte an den Strand laufen ſahen. Da
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/411>, abgerufen am 22.11.2024.
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