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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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der Erde empor, daß das schmucke Lockenhaar nicht von
Staub und Blute besudelt würde, und ermahnte seine
erschrockenen Genossen, den Leichnam in Empfang zu
nehmen.

Der verwundete Mezentius hatte sich indessen an
den Tiberstrand gerettet, und stillte, an einen Uferbaum
gelehnt, das Blut seiner Wunde mit dem Wasser des
Flusses. Sein eherner Helm hing an einem Aste, seine
schwere Rüstung lag im Grase, junge, erlesene Streit¬
genossen standen um ihn her, er selbst, schwach und keu¬
chend, stützte sich das Haupt mit der Hand, und sein
hangender Bart fiel ihm auf die Brust herab. Gar oft
fragte er nach seinem Sohne Lausus, viele Boten sandte
er, die ihn herbeirufen, die ihm seines geängsteten Vaters
Befehle bringen sollten. Da nahte sich die weinende
Schaar der Freunde, die den entseelten Jüngling mit
seiner klaffenden Brustwunde auf dem Schilde dahertrugen.
Mezentius, Unheil vorahnend, verstand ihr Wehklagen
schon in der Ferne. Als sie angekommen waren, streute
er Staub auf sein graues Haar, streckte die Hände gen
Himmel, und klammerte sie dann um den Leichnam.
"Ist's möglich," rief er, "geliebter Sohn, konnte mich
die Lebenslust so bethören, daß ich dich statt meiner in
die Hand des Feindes rennen ließ? muß dein Tod mein
Leben seyn? Wehe mir, jetzt erst wird mir die Ver¬
bannung aus dem Etruskerlande zur unerträglichen Qual!
Jetzt erst fühle ich meine Wunde! Ist's möglich, daß
ich noch lebe, daß ich das Tageslicht und die Menschen
nicht verlasse? Aber ich will sie verlassen!" Mit diesen
Worten richtete er sich auf bis zur kranken Hüfte, und
so tief die Wunde saß, verlangte er doch sein Roß. Dieß

der Erde empor, daß das ſchmucke Lockenhaar nicht von
Staub und Blute beſudelt würde, und ermahnte ſeine
erſchrockenen Genoſſen, den Leichnam in Empfang zu
nehmen.

Der verwundete Mezentius hatte ſich indeſſen an
den Tiberſtrand gerettet, und ſtillte, an einen Uferbaum
gelehnt, das Blut ſeiner Wunde mit dem Waſſer des
Fluſſes. Sein eherner Helm hing an einem Aſte, ſeine
ſchwere Rüſtung lag im Graſe, junge, erleſene Streit¬
genoſſen ſtanden um ihn her, er ſelbſt, ſchwach und keu¬
chend, ſtützte ſich das Haupt mit der Hand, und ſein
hangender Bart fiel ihm auf die Bruſt herab. Gar oft
fragte er nach ſeinem Sohne Lauſus, viele Boten ſandte
er, die ihn herbeirufen, die ihm ſeines geängſteten Vaters
Befehle bringen ſollten. Da nahte ſich die weinende
Schaar der Freunde, die den entſeelten Jüngling mit
ſeiner klaffenden Bruſtwunde auf dem Schilde dahertrugen.
Mezentius, Unheil vorahnend, verſtand ihr Wehklagen
ſchon in der Ferne. Als ſie angekommen waren, ſtreute
er Staub auf ſein graues Haar, ſtreckte die Hände gen
Himmel, und klammerte ſie dann um den Leichnam.
„Iſt's möglich,“ rief er, „geliebter Sohn, konnte mich
die Lebensluſt ſo bethören, daß ich dich ſtatt meiner in
die Hand des Feindes rennen ließ? muß dein Tod mein
Leben ſeyn? Wehe mir, jetzt erſt wird mir die Ver¬
bannung aus dem Etruskerlande zur unerträglichen Qual!
Jetzt erſt fühle ich meine Wunde! Iſt's möglich, daß
ich noch lebe, daß ich das Tageslicht und die Menſchen
nicht verlaſſe? Aber ich will ſie verlaſſen!“ Mit dieſen
Worten richtete er ſich auf bis zur kranken Hüfte, und
ſo tief die Wunde ſaß, verlangte er doch ſein Roß. Dieß

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[399/0421] der Erde empor, daß das ſchmucke Lockenhaar nicht von Staub und Blute beſudelt würde, und ermahnte ſeine erſchrockenen Genoſſen, den Leichnam in Empfang zu nehmen. Der verwundete Mezentius hatte ſich indeſſen an den Tiberſtrand gerettet, und ſtillte, an einen Uferbaum gelehnt, das Blut ſeiner Wunde mit dem Waſſer des Fluſſes. Sein eherner Helm hing an einem Aſte, ſeine ſchwere Rüſtung lag im Graſe, junge, erleſene Streit¬ genoſſen ſtanden um ihn her, er ſelbſt, ſchwach und keu¬ chend, ſtützte ſich das Haupt mit der Hand, und ſein hangender Bart fiel ihm auf die Bruſt herab. Gar oft fragte er nach ſeinem Sohne Lauſus, viele Boten ſandte er, die ihn herbeirufen, die ihm ſeines geängſteten Vaters Befehle bringen ſollten. Da nahte ſich die weinende Schaar der Freunde, die den entſeelten Jüngling mit ſeiner klaffenden Bruſtwunde auf dem Schilde dahertrugen. Mezentius, Unheil vorahnend, verſtand ihr Wehklagen ſchon in der Ferne. Als ſie angekommen waren, ſtreute er Staub auf ſein graues Haar, ſtreckte die Hände gen Himmel, und klammerte ſie dann um den Leichnam. „Iſt's möglich,“ rief er, „geliebter Sohn, konnte mich die Lebensluſt ſo bethören, daß ich dich ſtatt meiner in die Hand des Feindes rennen ließ? muß dein Tod mein Leben ſeyn? Wehe mir, jetzt erſt wird mir die Ver¬ bannung aus dem Etruskerlande zur unerträglichen Qual! Jetzt erſt fühle ich meine Wunde! Iſt's möglich, daß ich noch lebe, daß ich das Tageslicht und die Menſchen nicht verlaſſe? Aber ich will ſie verlaſſen!“ Mit dieſen Worten richtete er ſich auf bis zur kranken Hüfte, und ſo tief die Wunde ſaß, verlangte er doch ſein Roß. Dieß

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/421>, abgerufen am 22.11.2024.