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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840.

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gewachsen? Zählet einmal Trojaner, Arkadier und Etrus¬
ker: ihr werdet finden, daß, wenn wir uns Mann
gegen Mann schlagen wollten, kaum Jeder von uns
Rutulern und Latinern seinen Gegner finden würde!
Turnus freilich wird zu den Göttern, an deren Altar
er sich weiht, ruhmvoll emporsteigen, wenn er fällt;
wir aber werden unser Vaterland verlieren, um trotzigen
Zwingherren dienstbar zu seyn: und es geschieht uns
Recht; warum saßen wir auch unthätig hier im Grase,
während wir hätten kämpfen können!"

So sprach Juturna und sie that noch mehr. Sie
schickte den Italern ein sinnbethörendes, günstiges Vor¬
zeichen vom Himmel. Ein Goldadler Jupiters schwebte
durch den lichten Aether, scheuchte das Ufergevögel des
Stromes auf, schwang sich dann plötzlich zu den Wellen
hinab, und packte mit den Klauen den schönsten Schwan.
Die Rutuler sahen staunend zum Himmel auf, wo alle
die Vögel in einem luftverdunkelnden Schwarm, von
der Flucht umgewendet, plötzlich ihren Feind, den Adler,
der sich mit seiner Beute dem Himmelsgewölbe zuschwang,
verfolgten, bis dieser durch die Uebermacht bezwungen,
und seine Last erschöpft, den Raub aus den Klauen fahren
und in den Fluß fallen ließ, dann sich wieder emporschwang,
und in den Lüften verschwand. Rutuler und Latiner begrü߬
ten diese Erscheinung mit Freudengeschrei, legten die Hand
an den Schwertgriff und lauschten ihrem Seher Tolum¬
nius, der ihnen das Zeichen günstig deutete, und sie
zu den Waffen greifen hieß. Zugleich warf er selbst zu¬
erst sein Geschoß auf die gegenüberstehenden Feinde, daß
es zischend die Luft durchfuhr. Ein Lärm erhob sich,
Verwirrung kam in alle Reihen, alle Herzen geriethen

gewachſen? Zählet einmal Trojaner, Arkadier und Etrus¬
ker: ihr werdet finden, daß, wenn wir uns Mann
gegen Mann ſchlagen wollten, kaum Jeder von uns
Rutulern und Latinern ſeinen Gegner finden würde!
Turnus freilich wird zu den Göttern, an deren Altar
er ſich weiht, ruhmvoll emporſteigen, wenn er fällt;
wir aber werden unſer Vaterland verlieren, um trotzigen
Zwingherren dienſtbar zu ſeyn: und es geſchieht uns
Recht; warum ſaßen wir auch unthätig hier im Graſe,
während wir hätten kämpfen können!“

So ſprach Juturna und ſie that noch mehr. Sie
ſchickte den Italern ein ſinnbethörendes, günſtiges Vor¬
zeichen vom Himmel. Ein Goldadler Jupiters ſchwebte
durch den lichten Aether, ſcheuchte das Ufergevögel des
Stromes auf, ſchwang ſich dann plötzlich zu den Wellen
hinab, und packte mit den Klauen den ſchönſten Schwan.
Die Rutuler ſahen ſtaunend zum Himmel auf, wo alle
die Vögel in einem luftverdunkelnden Schwarm, von
der Flucht umgewendet, plötzlich ihren Feind, den Adler,
der ſich mit ſeiner Beute dem Himmelsgewölbe zuſchwang,
verfolgten, bis dieſer durch die Uebermacht bezwungen,
und ſeine Laſt erſchöpft, den Raub aus den Klauen fahren
und in den Fluß fallen ließ, dann ſich wieder emporſchwang,
und in den Lüften verſchwand. Rutuler und Latiner begrü߬
ten dieſe Erſcheinung mit Freudengeſchrei, legten die Hand
an den Schwertgriff und lauſchten ihrem Seher Tolum¬
nius, der ihnen das Zeichen günſtig deutete, und ſie
zu den Waffen greifen hieß. Zugleich warf er ſelbſt zu¬
erſt ſein Geſchoß auf die gegenüberſtehenden Feinde, daß
es ziſchend die Luft durchfuhr. Ein Lärm erhob ſich,
Verwirrung kam in alle Reihen, alle Herzen geriethen

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[425/0447] gewachſen? Zählet einmal Trojaner, Arkadier und Etrus¬ ker: ihr werdet finden, daß, wenn wir uns Mann gegen Mann ſchlagen wollten, kaum Jeder von uns Rutulern und Latinern ſeinen Gegner finden würde! Turnus freilich wird zu den Göttern, an deren Altar er ſich weiht, ruhmvoll emporſteigen, wenn er fällt; wir aber werden unſer Vaterland verlieren, um trotzigen Zwingherren dienſtbar zu ſeyn: und es geſchieht uns Recht; warum ſaßen wir auch unthätig hier im Graſe, während wir hätten kämpfen können!“ So ſprach Juturna und ſie that noch mehr. Sie ſchickte den Italern ein ſinnbethörendes, günſtiges Vor¬ zeichen vom Himmel. Ein Goldadler Jupiters ſchwebte durch den lichten Aether, ſcheuchte das Ufergevögel des Stromes auf, ſchwang ſich dann plötzlich zu den Wellen hinab, und packte mit den Klauen den ſchönſten Schwan. Die Rutuler ſahen ſtaunend zum Himmel auf, wo alle die Vögel in einem luftverdunkelnden Schwarm, von der Flucht umgewendet, plötzlich ihren Feind, den Adler, der ſich mit ſeiner Beute dem Himmelsgewölbe zuſchwang, verfolgten, bis dieſer durch die Uebermacht bezwungen, und ſeine Laſt erſchöpft, den Raub aus den Klauen fahren und in den Fluß fallen ließ, dann ſich wieder emporſchwang, und in den Lüften verſchwand. Rutuler und Latiner begrü߬ ten dieſe Erſcheinung mit Freudengeſchrei, legten die Hand an den Schwertgriff und lauſchten ihrem Seher Tolum¬ nius, der ihnen das Zeichen günſtig deutete, und ſie zu den Waffen greifen hieß. Zugleich warf er ſelbſt zu¬ erſt ſein Geſchoß auf die gegenüberſtehenden Feinde, daß es ziſchend die Luft durchfuhr. Ein Lärm erhob ſich, Verwirrung kam in alle Reihen, alle Herzen geriethen

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/447>, abgerufen am 22.11.2024.