Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Das pontisch-armenische Gestade-Land. doch den Klauen der Moskowiter entronnen, und sollten sie janunmehr, nachdem ein Drittel von ihnen ausgerungen hatte, in die europäische Türkei, nach Frengistan, wo Alles eitel Gold ist und Honig und Milch in den Bächen fließt, überführt werden. War das eine bittere Enttäuschung, als die Donaudampfer der damals eben im Entstehen begriffenen ottomanischen Flußschifffahrt die freien Söhne des Kaukasus an den nackten, mageren Gestaden Bulgariens absetzten! Keine Schluchten, keine Gebirgswildniß, nicht einmal Schlupfwinkel zur Bergung geraubten Gutes -- nichts als plattes Land und eine feige Bewohnerschaft, die nicht einmal gesonnen schien, mit den fremden Männern die Klingen zu kreuzen1. Gleichwohl stießen aber die zerlumpten und ver- hungerten "Edlen", die ihren Schutzbefohlenen gegenüber in puncto der Bedrückung den Russen nicht im Mindesten nachstanden, die rostig gewordenen Schwerter in den Boden, mit welcher Ceremonie sich die Tscherkessen nach altem Brauche als Herren des neuen Landes erklärten. Damit war der Anfang zu der alten Wirthschaft ge- macht und wo eine Colonie entstand -- die sich übrigens nur durch Schmutz und Armseligkeit hervorthun konnte2 -- da gab es auch wieder, wie vorher in den cirkassischen Bergen, Herren und Leibeigene, und da keiner von beiden arbeitete, kamen die weiteren Tscherkessen-Tugenden, das Rauben und Plündern sofort in Uebung. Nur mit dem Mädchenhandel ging es nunmehr rasch herab, da es an tauglichem Nachwuchs gebrach und der mittlerweile in Schwung gekommene bulgarische Mädchenraub 1 Dort wurde nach dem Grundsatze, daß "alles Land des Sultans sei", den Bulgaren einfach ein Theil ihrer Grundstücke weggenommen und die Ansiedlung der Tscherkessen noch dadurch erleichtert, daß man die Bul- garen zwang, ihnen beim Aufbauen der Hütten behilflich zu sein. Theil- weise hatte man die Bulgaren sogar aus ihren eigenen Häusern an die Luft gesetzt, um den angekommenen Tscherkessen während der Zeit des Hüttenbaues ein Asyl zu geben, während man sich um die einstweilen obdachlosen Bul- garen wenig beunruhigte. So fand man späterhin die Colonien jener kaukasischen Einwanderer, von der serbischen Grenze angefangen bis nach Schumla und Adrianopel, theils unter den stolzen Namen glorreicher Sultane, als Medschidieh, Osmanieh, Mahmudieh, Orchanjeh u. s. w., theils unter der einfachen Benennung Tscherkeßköj -- Tscherkessendorf. (v. Berg, a. a. O.) 2 F. Kanitz, "Donaubulgarien", II, 71.
Das pontiſch-armeniſche Geſtade-Land. doch den Klauen der Moskowiter entronnen, und ſollten ſie janunmehr, nachdem ein Drittel von ihnen ausgerungen hatte, in die europäiſche Türkei, nach Frengiſtan, wo Alles eitel Gold iſt und Honig und Milch in den Bächen fließt, überführt werden. War das eine bittere Enttäuſchung, als die Donaudampfer der damals eben im Entſtehen begriffenen ottomaniſchen Flußſchifffahrt die freien Söhne des Kaukaſus an den nackten, mageren Geſtaden Bulgariens abſetzten! Keine Schluchten, keine Gebirgswildniß, nicht einmal Schlupfwinkel zur Bergung geraubten Gutes — nichts als plattes Land und eine feige Bewohnerſchaft, die nicht einmal geſonnen ſchien, mit den fremden Männern die Klingen zu kreuzen1. Gleichwohl ſtießen aber die zerlumpten und ver- hungerten „Edlen“, die ihren Schutzbefohlenen gegenüber in puncto der Bedrückung den Ruſſen nicht im Mindeſten nachſtanden, die roſtig gewordenen Schwerter in den Boden, mit welcher Ceremonie ſich die Tſcherkeſſen nach altem Brauche als Herren des neuen Landes erklärten. Damit war der Anfang zu der alten Wirthſchaft ge- macht und wo eine Colonie entſtand — die ſich übrigens nur durch Schmutz und Armſeligkeit hervorthun konnte2 — da gab es auch wieder, wie vorher in den cirkaſſiſchen Bergen, Herren und Leibeigene, und da keiner von beiden arbeitete, kamen die weiteren Tſcherkeſſen-Tugenden, das Rauben und Plündern ſofort in Uebung. Nur mit dem Mädchenhandel ging es nunmehr raſch herab, da es an tauglichem Nachwuchs gebrach und der mittlerweile in Schwung gekommene bulgariſche Mädchenraub 1 Dort wurde nach dem Grundſatze, daß „alles Land des Sultans ſei“, den Bulgaren einfach ein Theil ihrer Grundſtücke weggenommen und die Anſiedlung der Tſcherkeſſen noch dadurch erleichtert, daß man die Bul- garen zwang, ihnen beim Aufbauen der Hütten behilflich zu ſein. Theil- weiſe hatte man die Bulgaren ſogar aus ihren eigenen Häuſern an die Luft geſetzt, um den angekommenen Tſcherkeſſen während der Zeit des Hüttenbaues ein Aſyl zu geben, während man ſich um die einſtweilen obdachloſen Bul- garen wenig beunruhigte. So fand man ſpäterhin die Colonien jener kaukaſiſchen Einwanderer, von der ſerbiſchen Grenze angefangen bis nach Schumla und Adrianopel, theils unter den ſtolzen Namen glorreicher Sultane, als Medſchidieh, Osmanieh, Mahmudieh, Orchanjeh u. ſ. w., theils unter der einfachen Benennung Tſcherkeßköj — Tſcherkeſſendorf. (v. Berg, a. a. O.) 2 F. Kanitz, „Donaubulgarien“, II, 71.
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Das pontiſch-armeniſche Geſtade-Land.
doch den Klauen der Moskowiter entronnen, und ſollten ſie ja
nunmehr, nachdem ein Drittel von ihnen ausgerungen hatte,
in die europäiſche Türkei, nach Frengiſtan, wo Alles eitel Gold
iſt und Honig und Milch in den Bächen fließt, überführt werden.
War das eine bittere Enttäuſchung, als die Donaudampfer der
damals eben im Entſtehen begriffenen ottomaniſchen Flußſchifffahrt
die freien Söhne des Kaukaſus an den nackten, mageren Geſtaden
Bulgariens abſetzten! Keine Schluchten, keine Gebirgswildniß,
nicht einmal Schlupfwinkel zur Bergung geraubten Gutes —
nichts als plattes Land und eine feige Bewohnerſchaft, die nicht
einmal geſonnen ſchien, mit den fremden Männern die Klingen
zu kreuzen 1. Gleichwohl ſtießen aber die zerlumpten und ver-
hungerten „Edlen“, die ihren Schutzbefohlenen gegenüber in puncto
der Bedrückung den Ruſſen nicht im Mindeſten nachſtanden, die roſtig
gewordenen Schwerter in den Boden, mit welcher Ceremonie ſich
die Tſcherkeſſen nach altem Brauche als Herren des neuen Landes
erklärten. Damit war der Anfang zu der alten Wirthſchaft ge-
macht und wo eine Colonie entſtand — die ſich übrigens nur
durch Schmutz und Armſeligkeit hervorthun konnte 2 — da gab
es auch wieder, wie vorher in den cirkaſſiſchen Bergen, Herren
und Leibeigene, und da keiner von beiden arbeitete, kamen die
weiteren Tſcherkeſſen-Tugenden, das Rauben und Plündern ſofort
in Uebung. Nur mit dem Mädchenhandel ging es nunmehr
raſch herab, da es an tauglichem Nachwuchs gebrach und der
mittlerweile in Schwung gekommene bulgariſche Mädchenraub
1 Dort wurde nach dem Grundſatze, daß „alles Land des Sultans
ſei“, den Bulgaren einfach ein Theil ihrer Grundſtücke weggenommen und
die Anſiedlung der Tſcherkeſſen noch dadurch erleichtert, daß man die Bul-
garen zwang, ihnen beim Aufbauen der Hütten behilflich zu ſein. Theil-
weiſe hatte man die Bulgaren ſogar aus ihren eigenen Häuſern an die Luft
geſetzt, um den angekommenen Tſcherkeſſen während der Zeit des Hüttenbaues
ein Aſyl zu geben, während man ſich um die einſtweilen obdachloſen Bul-
garen wenig beunruhigte. So fand man ſpäterhin die Colonien jener
kaukaſiſchen Einwanderer, von der ſerbiſchen Grenze angefangen bis nach
Schumla und Adrianopel, theils unter den ſtolzen Namen glorreicher
Sultane, als Medſchidieh, Osmanieh, Mahmudieh, Orchanjeh u. ſ. w.,
theils unter der einfachen Benennung Tſcherkeßköj — Tſcherkeſſendorf.
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2 F. Kanitz, „Donaubulgarien“, II, 71.
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