Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Bitlis. Karawanenstraße am See-Ufer. -- Alter der Stadt Van. erhebt sich auf der steilen Thalwand, wie überhaupt die ganzeNiederlassung das vollkommene Bild einer kurdischen Bergstadt abgibt. Von hier ist der Van-See nur wenige Meilen entfernt und man gelangt dorthin, wenn man nordwärts die niedere, von Moorboden gebildete Wasserscheide -- Bitlis liegt bereits im Tigris-Gebiet -- überschreitet, wo dann, im äußersten West- winkel des Binnensees, das Städtchen Tadman mit seiner impo- santen Burgruine in Sicht tritt. Von hier führt der gewöhnliche Karawanenweg längs des Südgestades, zum Theile an felsigen Ufern oder sanfteren, mit Zwergeichen und Haselsträuchern be- wachsenen Lehnen, oder durch reizende Ebenen, von den nieder- strömenden Gebirgsbächen durchädert. Auf diesem Wege gewahrt man auch von der ehemaligen Kurdenfeste Paghwanz das eigen- thümlich gelegene Kloster Agthamar, das sich auf felsigem Eilande unmittelbar aus den dunkelgrünen Fluthen des Sees erhebt. Ebenso merkwürdig ist die Ruinenmasse von Vastan, die auf sandiges Gestade hinabblickt, einst der Sitz mächtiger armenischer Könige1. Von hier tritt der Karawanenweg auf das Ostufer des Sees über und nach mehrstündigem Ritte durch die frucht- bare Gestade-Ebene tritt plötzlich die Stadt Van, ganz im Hinter- grunde einer lieblichen Bucht, mit ihren üppigen Gärten und dem stattlichen Castell in Sicht. Das Alter der Stadt Van soll ein sehr respectables sein 1 Unweit hievon befindet sich ein mit Keilschriften überdeckter Fels- block von 14 Fuß Höhe, Kiziltasch genannt, den die Kurden als den Ver- schlußstein einer unterirdischen Schatzhöhle betrachten. Den räthselhaften Schatz selbst benennen sie nach der Semiramis (Mali Schemiram), wie ja diese fabelhafte assyrische Herrscherin neben Nimrud allenthalben im heutigen Kurdistan und südlichen Armenien in Legenden und Traditionen fortlebt. (Vgl. Schulz, "Memoire sur le lac de Van etc.", a. a. O.) Ueber Vastan bei J. Brant, "Notes of a journey through a part of Koordistan." 2 Rawlinson, Smith u. A. Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 7
Bitlis. Karawanenſtraße am See-Ufer. — Alter der Stadt Van. erhebt ſich auf der ſteilen Thalwand, wie überhaupt die ganzeNiederlaſſung das vollkommene Bild einer kurdiſchen Bergſtadt abgibt. Von hier iſt der Van-See nur wenige Meilen entfernt und man gelangt dorthin, wenn man nordwärts die niedere, von Moorboden gebildete Waſſerſcheide — Bitlis liegt bereits im Tigris-Gebiet — überſchreitet, wo dann, im äußerſten Weſt- winkel des Binnenſees, das Städtchen Tadman mit ſeiner impo- ſanten Burgruine in Sicht tritt. Von hier führt der gewöhnliche Karawanenweg längs des Südgeſtades, zum Theile an felſigen Ufern oder ſanfteren, mit Zwergeichen und Haſelſträuchern be- wachſenen Lehnen, oder durch reizende Ebenen, von den nieder- ſtrömenden Gebirgsbächen durchädert. Auf dieſem Wege gewahrt man auch von der ehemaligen Kurdenfeſte Paghwanz das eigen- thümlich gelegene Kloſter Agthamar, das ſich auf felſigem Eilande unmittelbar aus den dunkelgrünen Fluthen des Sees erhebt. Ebenſo merkwürdig iſt die Ruinenmaſſe von Vaſtan, die auf ſandiges Geſtade hinabblickt, einſt der Sitz mächtiger armeniſcher Könige1. Von hier tritt der Karawanenweg auf das Oſtufer des Sees über und nach mehrſtündigem Ritte durch die frucht- bare Geſtade-Ebene tritt plötzlich die Stadt Van, ganz im Hinter- grunde einer lieblichen Bucht, mit ihren üppigen Gärten und dem ſtattlichen Caſtell in Sicht. Das Alter der Stadt Van ſoll ein ſehr reſpectables ſein 1 Unweit hievon befindet ſich ein mit Keilſchriften überdeckter Fels- block von 14 Fuß Höhe, Kiziltaſch genannt, den die Kurden als den Ver- ſchlußſtein einer unterirdiſchen Schatzhöhle betrachten. Den räthſelhaften Schatz ſelbſt benennen ſie nach der Semiramis (Mali Schemiram), wie ja dieſe fabelhafte aſſyriſche Herrſcherin neben Nimrud allenthalben im heutigen Kurdiſtan und ſüdlichen Armenien in Legenden und Traditionen fortlebt. (Vgl. Schulz, „Mémoire sur le lac de Van etc.“, a. a. O.) Ueber Vaſtan bei J. Brant, „Notes of a journey through a part of Koordistan.“ 2 Rawlinſon, Smith u. A. Schweiger-Lerchenfeld, Freih. von, Armenien. 7
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Bitlis. Karawanenſtraße am See-Ufer. — Alter der Stadt Van.
erhebt ſich auf der ſteilen Thalwand, wie überhaupt die ganze
Niederlaſſung das vollkommene Bild einer kurdiſchen Bergſtadt
abgibt. Von hier iſt der Van-See nur wenige Meilen entfernt
und man gelangt dorthin, wenn man nordwärts die niedere,
von Moorboden gebildete Waſſerſcheide — Bitlis liegt bereits
im Tigris-Gebiet — überſchreitet, wo dann, im äußerſten Weſt-
winkel des Binnenſees, das Städtchen Tadman mit ſeiner impo-
ſanten Burgruine in Sicht tritt. Von hier führt der gewöhnliche
Karawanenweg längs des Südgeſtades, zum Theile an felſigen
Ufern oder ſanfteren, mit Zwergeichen und Haſelſträuchern be-
wachſenen Lehnen, oder durch reizende Ebenen, von den nieder-
ſtrömenden Gebirgsbächen durchädert. Auf dieſem Wege gewahrt
man auch von der ehemaligen Kurdenfeſte Paghwanz das eigen-
thümlich gelegene Kloſter Agthamar, das ſich auf felſigem Eilande
unmittelbar aus den dunkelgrünen Fluthen des Sees erhebt.
Ebenſo merkwürdig iſt die Ruinenmaſſe von Vaſtan, die auf
ſandiges Geſtade hinabblickt, einſt der Sitz mächtiger armeniſcher
Könige 1. Von hier tritt der Karawanenweg auf das Oſtufer
des Sees über und nach mehrſtündigem Ritte durch die frucht-
bare Geſtade-Ebene tritt plötzlich die Stadt Van, ganz im Hinter-
grunde einer lieblichen Bucht, mit ihren üppigen Gärten und
dem ſtattlichen Caſtell in Sicht.
Das Alter der Stadt Van ſoll ein ſehr reſpectables ſein
und ſpricht eine armeniſche Tradition von einer Gründung durch
die Königin Semiramis, wodurch auch der alt-armeniſche Name
Schemiram-Gerd, „Stadt der Semiramis“, ſeine Erklärung findet.
Iſt nun Van, das dieſen Namen erſt von einem armeniſchen
Könige erhalten hat, wirklich eine Gründung der Semiramis?
Nach den Reſultaten der letzten Forſchungen und Unterſuchungen 2
1 Unweit hievon befindet ſich ein mit Keilſchriften überdeckter Fels-
block von 14 Fuß Höhe, Kiziltaſch genannt, den die Kurden als den Ver-
ſchlußſtein einer unterirdiſchen Schatzhöhle betrachten. Den räthſelhaften
Schatz ſelbſt benennen ſie nach der Semiramis (Mali Schemiram), wie
ja dieſe fabelhafte aſſyriſche Herrſcherin neben Nimrud allenthalben im
heutigen Kurdiſtan und ſüdlichen Armenien in Legenden und Traditionen
fortlebt. (Vgl. Schulz, „Mémoire sur le lac de Van etc.“, a. a. O.)
Ueber Vaſtan bei J. Brant, „Notes of a journey through a part of
Koordistan.“
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