Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

Bild:
<< vorherige Seite

Das heutige Van. Culturdenkmale.
Constantinopels durch Mohammed II., ging sie in den Besitz der
Osmanen über, freilich im Laufe der Zeit häufig nur nominell, denn
nirgends in Türkisch-Asien haben die kurdischen Unabhängigkeits-
gelüste so reiche Blüthen getrieben, als wie auf dieser Terra in-
cognita.
Sehr unbotmäßige Stämme sind es auch heute noch,
deren Territorien einen gefürchteten Cordon um die einsame Hoch-
landsstadt ziehen. Wir haben da die Heideranly-Kurden, welche
nordwärts des Sees, vom 12,000 Fuß hohen Sipan-Dagh, dem
imposantesten Schneewipfel des Landes gegen die Murad-Quelle
hin ihre Weideplätze einnehmen, dann die Schamseddinly, östlich
des Sees, und die Hertoschi (im Lande der alten Karduchen, das
Xenophon durchzog) im Südosten, bereits in der alpinen Quell-
region des östlichen Tigris und des Zarbstromes.

Die heutige Stadt Van, eine schmutzige, regellose, den Cha-
rakter der Aermlichkeit und Verwahrlosung tragende Häuser-
anhäufung, liegt drei viertel Stunden vom Ostufer des Sees
entfernt. Sie ist mit einer doppelten Mauer mit Zinnen und
flankirenden Thürmen umzogen und lehnt sich im Osten an einen
vollkommen isolirt aus der Ebene herausragenden länglichen Fels-
rücken, dem Träger jener altberühmten assyrischen Ruinen, deren Er-
forschung vor nun bald fünfzig Jahren dem deutschen Gelehrten
Schulz das Leben gekostet hat 1. Von der Höhe dieser assyrischen
Akropolis aus dürfte indeß der Beschauer des weitläufigen Bildes
der Stadtanlage von Van immerhin noch einigen Reiz abzugewinnen

1 Das Schloß führt den Namen Ghurab oder Van-Kalessi. Mit
vieler Mühe hat man ins Gestein Treppen gehauen. Die Gemächer sind
sämmtlich in die Felsmasse eingehauen, enthalten aber im Inneren keiner-
lei Ornamente, wohl aber bemerkt man deren außerhalb. Von den drei
Terrassen des Felssockels führt die unterste den Namen Khorkhor und hat
fünf größere oder kleinere Grotten-Gemächer. Den obersten Theil nimmt
das eigentliche Schloß (Itsch-Kaleh, d. i. die "innere Burg") ein und
zeichnet sich besonders durch ein Gemach von colossalen Dimensionen aus.
Außerhalb der Mauern gelangt man durch eine Galerie auf ein künstlich
der Felsmasse abgerungenes Plateau von 64 Fuß Länge und 18 Fuß
Breite. Nebenan gestattet ein gewaltiges Portal Eintritt in einen, eben-
falls in den Felsen gehauenen Raum mit Wand-, Decken- und Boden-
Polituren von unnachahmlich vollendeter Arbeit, wahrscheinlich eine Todten-
kammer. Namentlich hier sind die nackten, äußeren Felswände mit zahl-
reichen Inschriften bedeckt. (Schulz, Memoire sur le lac de Van etc. . .
a. a. O. -- K. Koch, "Die kaukasischen Länder", 175.)
7*

Das heutige Van. Culturdenkmale.
Conſtantinopels durch Mohammed II., ging ſie in den Beſitz der
Osmanen über, freilich im Laufe der Zeit häufig nur nominell, denn
nirgends in Türkiſch-Aſien haben die kurdiſchen Unabhängigkeits-
gelüſte ſo reiche Blüthen getrieben, als wie auf dieſer Terra in-
cognita.
Sehr unbotmäßige Stämme ſind es auch heute noch,
deren Territorien einen gefürchteten Cordon um die einſame Hoch-
landsſtadt ziehen. Wir haben da die Heideranly-Kurden, welche
nordwärts des Sees, vom 12,000 Fuß hohen Sipan-Dagh, dem
impoſanteſten Schneewipfel des Landes gegen die Murad-Quelle
hin ihre Weideplätze einnehmen, dann die Schamseddinly, öſtlich
des Sees, und die Hertoſchi (im Lande der alten Karduchen, das
Xenophon durchzog) im Südoſten, bereits in der alpinen Quell-
region des öſtlichen Tigris und des Zarbſtromes.

Die heutige Stadt Van, eine ſchmutzige, regelloſe, den Cha-
rakter der Aermlichkeit und Verwahrloſung tragende Häuſer-
anhäufung, liegt drei viertel Stunden vom Oſtufer des Sees
entfernt. Sie iſt mit einer doppelten Mauer mit Zinnen und
flankirenden Thürmen umzogen und lehnt ſich im Oſten an einen
vollkommen iſolirt aus der Ebene herausragenden länglichen Fels-
rücken, dem Träger jener altberühmten aſſyriſchen Ruinen, deren Er-
forſchung vor nun bald fünfzig Jahren dem deutſchen Gelehrten
Schulz das Leben gekoſtet hat 1. Von der Höhe dieſer aſſyriſchen
Akropolis aus dürfte indeß der Beſchauer des weitläufigen Bildes
der Stadtanlage von Van immerhin noch einigen Reiz abzugewinnen

1 Das Schloß führt den Namen Ghurab oder Van-Kaleſſi. Mit
vieler Mühe hat man ins Geſtein Treppen gehauen. Die Gemächer ſind
ſämmtlich in die Felsmaſſe eingehauen, enthalten aber im Inneren keiner-
lei Ornamente, wohl aber bemerkt man deren außerhalb. Von den drei
Terraſſen des Felsſockels führt die unterſte den Namen Khorkhor und hat
fünf größere oder kleinere Grotten-Gemächer. Den oberſten Theil nimmt
das eigentliche Schloß (Itſch-Kaleh, d. i. die „innere Burg“) ein und
zeichnet ſich beſonders durch ein Gemach von coloſſalen Dimenſionen aus.
Außerhalb der Mauern gelangt man durch eine Galerie auf ein künſtlich
der Felsmaſſe abgerungenes Plateau von 64 Fuß Länge und 18 Fuß
Breite. Nebenan geſtattet ein gewaltiges Portal Eintritt in einen, eben-
falls in den Felſen gehauenen Raum mit Wand-, Decken- und Boden-
Polituren von unnachahmlich vollendeter Arbeit, wahrſcheinlich eine Todten-
kammer. Namentlich hier ſind die nackten, äußeren Felswände mit zahl-
reichen Inſchriften bedeckt. (Schulz, Mémoire sur le lac de Van etc. . .
a. a. O. — K. Koch, „Die kaukaſiſchen Länder“, 175.)
7*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0131" n="99"/><fw place="top" type="header">Das heutige Van. Culturdenkmale.</fw><lb/>
Con&#x017F;tantinopels durch Mohammed <hi rendition="#aq">II.</hi>, ging &#x017F;ie in den Be&#x017F;itz der<lb/>
Osmanen über, freilich im Laufe der Zeit häufig nur nominell, denn<lb/>
nirgends in Türki&#x017F;ch-A&#x017F;ien haben die kurdi&#x017F;chen Unabhängigkeits-<lb/>
gelü&#x017F;te &#x017F;o reiche Blüthen getrieben, als wie auf die&#x017F;er <hi rendition="#aq">Terra in-<lb/>
cognita.</hi> Sehr unbotmäßige Stämme &#x017F;ind es auch heute noch,<lb/>
deren Territorien einen gefürchteten Cordon um die ein&#x017F;ame Hoch-<lb/>
lands&#x017F;tadt ziehen. Wir haben da die Heideranly-Kurden, welche<lb/>
nordwärts des Sees, vom 12,000 Fuß hohen Sipan-Dagh, dem<lb/>
impo&#x017F;ante&#x017F;ten Schneewipfel des Landes gegen die Murad-Quelle<lb/>
hin ihre Weideplätze einnehmen, dann die Schamseddinly, ö&#x017F;tlich<lb/>
des Sees, und die Herto&#x017F;chi (im Lande der alten Karduchen, das<lb/>
Xenophon durchzog) im Südo&#x017F;ten, bereits in der alpinen Quell-<lb/>
region des ö&#x017F;tlichen Tigris und des Zarb&#x017F;tromes.</p><lb/>
        <p>Die heutige Stadt Van, eine &#x017F;chmutzige, regello&#x017F;e, den Cha-<lb/>
rakter der Aermlichkeit und Verwahrlo&#x017F;ung tragende Häu&#x017F;er-<lb/>
anhäufung, liegt drei viertel Stunden vom O&#x017F;tufer des Sees<lb/>
entfernt. Sie i&#x017F;t mit einer doppelten Mauer mit Zinnen und<lb/>
flankirenden Thürmen umzogen und lehnt &#x017F;ich im O&#x017F;ten an einen<lb/>
vollkommen i&#x017F;olirt aus der Ebene herausragenden länglichen Fels-<lb/>
rücken, dem Träger jener altberühmten a&#x017F;&#x017F;yri&#x017F;chen Ruinen, deren Er-<lb/>
for&#x017F;chung vor nun bald fünfzig Jahren dem deut&#x017F;chen Gelehrten<lb/>
Schulz das Leben geko&#x017F;tet hat <note place="foot" n="1">Das Schloß führt den Namen Ghurab oder Van-Kale&#x017F;&#x017F;i. Mit<lb/>
vieler Mühe hat man ins Ge&#x017F;tein Treppen gehauen. Die Gemächer &#x017F;ind<lb/>
&#x017F;ämmtlich in die Felsma&#x017F;&#x017F;e eingehauen, enthalten aber im Inneren keiner-<lb/>
lei Ornamente, wohl aber bemerkt man deren außerhalb. Von den drei<lb/>
Terra&#x017F;&#x017F;en des Fels&#x017F;ockels führt die unter&#x017F;te den Namen Khorkhor und hat<lb/>
fünf größere oder kleinere Grotten-Gemächer. Den ober&#x017F;ten Theil nimmt<lb/>
das eigentliche Schloß (It&#x017F;ch-Kaleh, d. i. die &#x201E;innere Burg&#x201C;) ein und<lb/>
zeichnet &#x017F;ich be&#x017F;onders durch ein Gemach von colo&#x017F;&#x017F;alen Dimen&#x017F;ionen aus.<lb/>
Außerhalb der Mauern gelangt man durch eine Galerie auf ein kün&#x017F;tlich<lb/>
der Felsma&#x017F;&#x017F;e abgerungenes Plateau von 64 Fuß Länge und 18 Fuß<lb/>
Breite. Nebenan ge&#x017F;tattet ein gewaltiges Portal Eintritt in einen, eben-<lb/>
falls in den Fel&#x017F;en gehauenen Raum mit Wand-, Decken- und Boden-<lb/>
Polituren von unnachahmlich vollendeter Arbeit, wahr&#x017F;cheinlich eine Todten-<lb/>
kammer. Namentlich hier &#x017F;ind die nackten, äußeren Felswände mit zahl-<lb/>
reichen In&#x017F;chriften bedeckt. (Schulz, <hi rendition="#aq">Mémoire sur le lac de Van etc.</hi> . .<lb/>
a. a. O. &#x2014; K. Koch, &#x201E;Die kauka&#x017F;i&#x017F;chen Länder&#x201C;, 175.)</note>. Von der Höhe die&#x017F;er a&#x017F;&#x017F;yri&#x017F;chen<lb/>
Akropolis aus dürfte indeß der Be&#x017F;chauer des weitläufigen Bildes<lb/>
der Stadtanlage von Van immerhin noch einigen Reiz abzugewinnen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">7*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0131] Das heutige Van. Culturdenkmale. Conſtantinopels durch Mohammed II., ging ſie in den Beſitz der Osmanen über, freilich im Laufe der Zeit häufig nur nominell, denn nirgends in Türkiſch-Aſien haben die kurdiſchen Unabhängigkeits- gelüſte ſo reiche Blüthen getrieben, als wie auf dieſer Terra in- cognita. Sehr unbotmäßige Stämme ſind es auch heute noch, deren Territorien einen gefürchteten Cordon um die einſame Hoch- landsſtadt ziehen. Wir haben da die Heideranly-Kurden, welche nordwärts des Sees, vom 12,000 Fuß hohen Sipan-Dagh, dem impoſanteſten Schneewipfel des Landes gegen die Murad-Quelle hin ihre Weideplätze einnehmen, dann die Schamseddinly, öſtlich des Sees, und die Hertoſchi (im Lande der alten Karduchen, das Xenophon durchzog) im Südoſten, bereits in der alpinen Quell- region des öſtlichen Tigris und des Zarbſtromes. Die heutige Stadt Van, eine ſchmutzige, regelloſe, den Cha- rakter der Aermlichkeit und Verwahrloſung tragende Häuſer- anhäufung, liegt drei viertel Stunden vom Oſtufer des Sees entfernt. Sie iſt mit einer doppelten Mauer mit Zinnen und flankirenden Thürmen umzogen und lehnt ſich im Oſten an einen vollkommen iſolirt aus der Ebene herausragenden länglichen Fels- rücken, dem Träger jener altberühmten aſſyriſchen Ruinen, deren Er- forſchung vor nun bald fünfzig Jahren dem deutſchen Gelehrten Schulz das Leben gekoſtet hat 1. Von der Höhe dieſer aſſyriſchen Akropolis aus dürfte indeß der Beſchauer des weitläufigen Bildes der Stadtanlage von Van immerhin noch einigen Reiz abzugewinnen 1 Das Schloß führt den Namen Ghurab oder Van-Kaleſſi. Mit vieler Mühe hat man ins Geſtein Treppen gehauen. Die Gemächer ſind ſämmtlich in die Felsmaſſe eingehauen, enthalten aber im Inneren keiner- lei Ornamente, wohl aber bemerkt man deren außerhalb. Von den drei Terraſſen des Felsſockels führt die unterſte den Namen Khorkhor und hat fünf größere oder kleinere Grotten-Gemächer. Den oberſten Theil nimmt das eigentliche Schloß (Itſch-Kaleh, d. i. die „innere Burg“) ein und zeichnet ſich beſonders durch ein Gemach von coloſſalen Dimenſionen aus. Außerhalb der Mauern gelangt man durch eine Galerie auf ein künſtlich der Felsmaſſe abgerungenes Plateau von 64 Fuß Länge und 18 Fuß Breite. Nebenan geſtattet ein gewaltiges Portal Eintritt in einen, eben- falls in den Felſen gehauenen Raum mit Wand-, Decken- und Boden- Polituren von unnachahmlich vollendeter Arbeit, wahrſcheinlich eine Todten- kammer. Namentlich hier ſind die nackten, äußeren Felswände mit zahl- reichen Inſchriften bedeckt. (Schulz, Mémoire sur le lac de Van etc. . . a. a. O. — K. Koch, „Die kaukaſiſchen Länder“, 175.) 7*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/131
Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/131>, abgerufen am 21.11.2024.