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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Das armenische Volk der Gegenwart.
sittlich höheren Basis, als beim Türken, dafür aber dürfte die
sociale Lebensstellung der Armenierin sich nur unwesentlich von
jener der in früherer Zeit im Abendlande von der zarteren Hälfte
der Menschheit so sehr beneideten Haremsschönen unterscheiden.
Sie dürfen nämlich, gleich diesen, niemals an den öffentlichen
Angelegenheiten ihrer Gatten sich betheiligen, ja es ist ihnen nicht
einmal gestattet, bei den Mahlzeiten des Lebensgefährten an dem-
selben Tische Platz zu nehmen.

Vollends nicht vorhanden ist die Armenierin für den Fremden.
Sind Gäste im Hause, so ziehen sich die weiblichen Familien-
glieder in eine Art Haremsloge (gleich diesen mit vergitterten
Fenstern) zurück, von wo aus sie das muntere Treiben derselben
ungestört beobachten können, ohne selbst gesehen zu werden. Daß
die Armenierin ihre Zurücksetzung kaum fühlt, läßt sich bei dem
geringen Bildungsgrade der orientalischen Christinnen unschwer
begreifen. Da aber der reiche Armenier nur Sinn und Interesse
für den Besitz und dessen Vergrößerung hat, und die Ehen über-
dies Familiengeschäfte sind, so ist auch sonst nur in den seltensten
Fällen von einer besonderen Neigung der Gatten zu einander
die Rede. In dieser Richtung steht der einfache, biedere Land-
türke, dem die Geldspeculation und der Dämon der Gewinnsucht
zumeist fremd sind, und dessen Mittel ihm nicht den Luxus
mehrerer Frauen gestatten, unzweifelhaft um eine Stufe höher,
als sein christlicher Mitbewohner. Wenn sich bei jenem das
eheliche Band auch nicht zu einem höheren, idealeren Leben
knüpft, so zieht anderseits die mehr sinnliche Natur des Türken
die Nothwendigkeit, oder besser die Consequenz, einer größeren
Zuneigung, oder gar Unterordnung gegenüber der Gattin nach
sich, von der der berechnende, kaltnüchterne Armenier keine Ahnung
hat. Nur durch diesen Besitz hat er aber eine gewisse Verstän-
digung mit dem Bedrücker erzielt, denn armenisches Geld war
zu Zeiten selbst den osmanischen Sultanen niemals verabscheuungs-
werth 1. Anderseits ist nicht zu leugnen, daß es nicht immer die

1 Daß es in früheren Zeiten eben nicht immer ein Glück war, unter
den Augen der türkischen Gewalthaber als reich zu gelten, beweisen zahl-
reiche barbarische Acte gegenüber den Besitzenden. Wenn irgend einem
Sultane nach dem Gelde dieses oder jenes reichen Armeniers gelüstete, so

Das armeniſche Volk der Gegenwart.
ſittlich höheren Baſis, als beim Türken, dafür aber dürfte die
ſociale Lebensſtellung der Armenierin ſich nur unweſentlich von
jener der in früherer Zeit im Abendlande von der zarteren Hälfte
der Menſchheit ſo ſehr beneideten Haremsſchönen unterſcheiden.
Sie dürfen nämlich, gleich dieſen, niemals an den öffentlichen
Angelegenheiten ihrer Gatten ſich betheiligen, ja es iſt ihnen nicht
einmal geſtattet, bei den Mahlzeiten des Lebensgefährten an dem-
ſelben Tiſche Platz zu nehmen.

Vollends nicht vorhanden iſt die Armenierin für den Fremden.
Sind Gäſte im Hauſe, ſo ziehen ſich die weiblichen Familien-
glieder in eine Art Haremsloge (gleich dieſen mit vergitterten
Fenſtern) zurück, von wo aus ſie das muntere Treiben derſelben
ungeſtört beobachten können, ohne ſelbſt geſehen zu werden. Daß
die Armenierin ihre Zurückſetzung kaum fühlt, läßt ſich bei dem
geringen Bildungsgrade der orientaliſchen Chriſtinnen unſchwer
begreifen. Da aber der reiche Armenier nur Sinn und Intereſſe
für den Beſitz und deſſen Vergrößerung hat, und die Ehen über-
dies Familiengeſchäfte ſind, ſo iſt auch ſonſt nur in den ſeltenſten
Fällen von einer beſonderen Neigung der Gatten zu einander
die Rede. In dieſer Richtung ſteht der einfache, biedere Land-
türke, dem die Geldſpeculation und der Dämon der Gewinnſucht
zumeiſt fremd ſind, und deſſen Mittel ihm nicht den Luxus
mehrerer Frauen geſtatten, unzweifelhaft um eine Stufe höher,
als ſein chriſtlicher Mitbewohner. Wenn ſich bei jenem das
eheliche Band auch nicht zu einem höheren, idealeren Leben
knüpft, ſo zieht anderſeits die mehr ſinnliche Natur des Türken
die Nothwendigkeit, oder beſſer die Conſequenz, einer größeren
Zuneigung, oder gar Unterordnung gegenüber der Gattin nach
ſich, von der der berechnende, kaltnüchterne Armenier keine Ahnung
hat. Nur durch dieſen Beſitz hat er aber eine gewiſſe Verſtän-
digung mit dem Bedrücker erzielt, denn armeniſches Geld war
zu Zeiten ſelbſt den osmaniſchen Sultanen niemals verabſcheuungs-
werth 1. Anderſeits iſt nicht zu leugnen, daß es nicht immer die

1 Daß es in früheren Zeiten eben nicht immer ein Glück war, unter
den Augen der türkiſchen Gewalthaber als reich zu gelten, beweiſen zahl-
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[139/0171] Das armeniſche Volk der Gegenwart. ſittlich höheren Baſis, als beim Türken, dafür aber dürfte die ſociale Lebensſtellung der Armenierin ſich nur unweſentlich von jener der in früherer Zeit im Abendlande von der zarteren Hälfte der Menſchheit ſo ſehr beneideten Haremsſchönen unterſcheiden. Sie dürfen nämlich, gleich dieſen, niemals an den öffentlichen Angelegenheiten ihrer Gatten ſich betheiligen, ja es iſt ihnen nicht einmal geſtattet, bei den Mahlzeiten des Lebensgefährten an dem- ſelben Tiſche Platz zu nehmen. Vollends nicht vorhanden iſt die Armenierin für den Fremden. Sind Gäſte im Hauſe, ſo ziehen ſich die weiblichen Familien- glieder in eine Art Haremsloge (gleich dieſen mit vergitterten Fenſtern) zurück, von wo aus ſie das muntere Treiben derſelben ungeſtört beobachten können, ohne ſelbſt geſehen zu werden. Daß die Armenierin ihre Zurückſetzung kaum fühlt, läßt ſich bei dem geringen Bildungsgrade der orientaliſchen Chriſtinnen unſchwer begreifen. Da aber der reiche Armenier nur Sinn und Intereſſe für den Beſitz und deſſen Vergrößerung hat, und die Ehen über- dies Familiengeſchäfte ſind, ſo iſt auch ſonſt nur in den ſeltenſten Fällen von einer beſonderen Neigung der Gatten zu einander die Rede. In dieſer Richtung ſteht der einfache, biedere Land- türke, dem die Geldſpeculation und der Dämon der Gewinnſucht zumeiſt fremd ſind, und deſſen Mittel ihm nicht den Luxus mehrerer Frauen geſtatten, unzweifelhaft um eine Stufe höher, als ſein chriſtlicher Mitbewohner. Wenn ſich bei jenem das eheliche Band auch nicht zu einem höheren, idealeren Leben knüpft, ſo zieht anderſeits die mehr ſinnliche Natur des Türken die Nothwendigkeit, oder beſſer die Conſequenz, einer größeren Zuneigung, oder gar Unterordnung gegenüber der Gattin nach ſich, von der der berechnende, kaltnüchterne Armenier keine Ahnung hat. Nur durch dieſen Beſitz hat er aber eine gewiſſe Verſtän- digung mit dem Bedrücker erzielt, denn armeniſches Geld war zu Zeiten ſelbſt den osmaniſchen Sultanen niemals verabſcheuungs- werth 1. Anderſeits iſt nicht zu leugnen, daß es nicht immer die 1 Daß es in früheren Zeiten eben nicht immer ein Glück war, unter den Augen der türkiſchen Gewalthaber als reich zu gelten, beweiſen zahl- reiche barbariſche Acte gegenüber den Beſitzenden. Wenn irgend einem Sultane nach dem Gelde dieſes oder jenes reichen Armeniers gelüſtete, ſo

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/171>, abgerufen am 21.11.2024.