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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Kirchen-Angelegenheiten.

Ein nicht viel besseres Bild liefern die armenischen Kirchen-
Angelegenheiten. Die seit dem Conzil von Khalcedon (491) ein-
getretene Spaltung zwischen den mit Rom unirten Armeniern
und der eigentlichen armenischen Nationalkirche ist eigentlich nur
in ihrer hauptsächlichen antagonistischen Kundgebungen bekannt
geworden, weniger aber kennt man die zahlreichen inneren Motive,
welche durch Jahrhunderte dem stillen Kampf Nahrung ver-
schafften und namentlich zur Zeit totaler Ohnmacht auf Seite
des Katholikos von Etschmiadsin die armenischen hierarchischen
Zustände in vollends trostlose verwandelt hatten. Zwar der
Patriarch, welcher jeweilig in Etschmiadsin residirte, war sich in
der Regel seiner imaginären Herrschaft über die große gläubige
Heerde von den Ufern des Ganges bis zu den nordwestlichen
Pontusküsten nur zu bewußt, aber die Würde und die Macht
eines derartigen Großhirten muß denn doch sehr fadenscheinig gewesen
sein, wenn es hin und wieder ehrgeizigen Episcopen gelang, sich ohne
besondere Kraftanstrengung zu ähnlich sublimer Höhe der indirecten
Herrschaft emporzuschwingen. So entstand zunächst eine Art Gegen-
Patriarchat auf der Insel Aghthamar im Van-See, später ein ähnliches
zu Sis, zu Jerusalem und Constantinopel, lauter Usurpationen im
Kleinen, die unmöglich zur Kräftigung der Nationalkirche bei-
tragen konnten 1. Zur Zeit der furchtbarsten inneren kirchlichen
Spaltungen im 17. und 18. Jahrhundert schien demnach für
die Jesuiten-Missionen, die sich im persischen Armenien nieder-

gefunden. Daß es an Bildungstrieb und Lerneifer auch sonst nicht fehlt,
ist gewiß ein erfreuliches Zeichen, wie sehr man den entwickelten und
gehobenen Schulunterricht zu würdigen weiß. (Vergl. C. v. Scherzer,
"Smyrna", 68.)
1 Wirklichen Einfluß hatte indeß stets nur dasjenige Patriarchat, in
dessen Besitze sich die beneidetste Reliquie, die "rechte Hand" St. Gregors
befand. Sie hat in der ersten Zeit die wunderbarsten Wanderungen ge-
macht: von Etschmiadsin nach Aghthamar, von da nach Rumkaleh und
Sis, dann mit den Kriegszerstörungen in Cilicien nach Egypten, endlich
im 15. Jahrhundert abermals nach Etschmiadsin und Aghthamar, schließlich
durch Schah Abbas nach Neu-Dschulfa (bei Ispahan), bis sie zuletzt wieder
dauernd nach Etschmiadsin kam. Daß sich die Streitigkeiten der armenischen
Patriarchate durch Jahrhunderte um diese vermeintliche "rechte Hand"
Gregors drehen konnten, ist bezeichnend genug für die Ignoranz und un-
christliche Abgötterei der armenischen Hierarchie...
Kirchen-Angelegenheiten.

Ein nicht viel beſſeres Bild liefern die armeniſchen Kirchen-
Angelegenheiten. Die ſeit dem Conzil von Khalcedon (491) ein-
getretene Spaltung zwiſchen den mit Rom unirten Armeniern
und der eigentlichen armeniſchen Nationalkirche iſt eigentlich nur
in ihrer hauptſächlichen antagoniſtiſchen Kundgebungen bekannt
geworden, weniger aber kennt man die zahlreichen inneren Motive,
welche durch Jahrhunderte dem ſtillen Kampf Nahrung ver-
ſchafften und namentlich zur Zeit totaler Ohnmacht auf Seite
des Katholikos von Etſchmiadſin die armeniſchen hierarchiſchen
Zuſtände in vollends troſtloſe verwandelt hatten. Zwar der
Patriarch, welcher jeweilig in Etſchmiadſin reſidirte, war ſich in
der Regel ſeiner imaginären Herrſchaft über die große gläubige
Heerde von den Ufern des Ganges bis zu den nordweſtlichen
Pontusküſten nur zu bewußt, aber die Würde und die Macht
eines derartigen Großhirten muß denn doch ſehr fadenſcheinig geweſen
ſein, wenn es hin und wieder ehrgeizigen Episcopen gelang, ſich ohne
beſondere Kraftanſtrengung zu ähnlich ſublimer Höhe der indirecten
Herrſchaft emporzuſchwingen. So entſtand zunächſt eine Art Gegen-
Patriarchat auf der Inſel Aghthamar im Van-See, ſpäter ein ähnliches
zu Sis, zu Jeruſalem und Conſtantinopel, lauter Uſurpationen im
Kleinen, die unmöglich zur Kräftigung der Nationalkirche bei-
tragen konnten 1. Zur Zeit der furchtbarſten inneren kirchlichen
Spaltungen im 17. und 18. Jahrhundert ſchien demnach für
die Jeſuiten-Miſſionen, die ſich im perſiſchen Armenien nieder-

gefunden. Daß es an Bildungstrieb und Lerneifer auch ſonſt nicht fehlt,
iſt gewiß ein erfreuliches Zeichen, wie ſehr man den entwickelten und
gehobenen Schulunterricht zu würdigen weiß. (Vergl. C. v. Scherzer,
„Smyrna“, 68.)
1 Wirklichen Einfluß hatte indeß ſtets nur dasjenige Patriarchat, in
deſſen Beſitze ſich die beneidetſte Reliquie, die „rechte Hand“ St. Gregors
befand. Sie hat in der erſten Zeit die wunderbarſten Wanderungen ge-
macht: von Etſchmiadſin nach Aghthamar, von da nach Rumkaleh und
Sis, dann mit den Kriegszerſtörungen in Cilicien nach Egypten, endlich
im 15. Jahrhundert abermals nach Etſchmiadſin und Aghthamar, ſchließlich
durch Schah Abbas nach Neu-Dſchulfa (bei Ispahan), bis ſie zuletzt wieder
dauernd nach Etſchmiadſin kam. Daß ſich die Streitigkeiten der armeniſchen
Patriarchate durch Jahrhunderte um dieſe vermeintliche „rechte Hand“
Gregors drehen konnten, iſt bezeichnend genug für die Ignoranz und un-
chriſtliche Abgötterei der armeniſchen Hierarchie…
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[141/0173] Kirchen-Angelegenheiten. Ein nicht viel beſſeres Bild liefern die armeniſchen Kirchen- Angelegenheiten. Die ſeit dem Conzil von Khalcedon (491) ein- getretene Spaltung zwiſchen den mit Rom unirten Armeniern und der eigentlichen armeniſchen Nationalkirche iſt eigentlich nur in ihrer hauptſächlichen antagoniſtiſchen Kundgebungen bekannt geworden, weniger aber kennt man die zahlreichen inneren Motive, welche durch Jahrhunderte dem ſtillen Kampf Nahrung ver- ſchafften und namentlich zur Zeit totaler Ohnmacht auf Seite des Katholikos von Etſchmiadſin die armeniſchen hierarchiſchen Zuſtände in vollends troſtloſe verwandelt hatten. Zwar der Patriarch, welcher jeweilig in Etſchmiadſin reſidirte, war ſich in der Regel ſeiner imaginären Herrſchaft über die große gläubige Heerde von den Ufern des Ganges bis zu den nordweſtlichen Pontusküſten nur zu bewußt, aber die Würde und die Macht eines derartigen Großhirten muß denn doch ſehr fadenſcheinig geweſen ſein, wenn es hin und wieder ehrgeizigen Episcopen gelang, ſich ohne beſondere Kraftanſtrengung zu ähnlich ſublimer Höhe der indirecten Herrſchaft emporzuſchwingen. So entſtand zunächſt eine Art Gegen- Patriarchat auf der Inſel Aghthamar im Van-See, ſpäter ein ähnliches zu Sis, zu Jeruſalem und Conſtantinopel, lauter Uſurpationen im Kleinen, die unmöglich zur Kräftigung der Nationalkirche bei- tragen konnten 1. Zur Zeit der furchtbarſten inneren kirchlichen Spaltungen im 17. und 18. Jahrhundert ſchien demnach für die Jeſuiten-Miſſionen, die ſich im perſiſchen Armenien nieder- 2 1 Wirklichen Einfluß hatte indeß ſtets nur dasjenige Patriarchat, in deſſen Beſitze ſich die beneidetſte Reliquie, die „rechte Hand“ St. Gregors befand. Sie hat in der erſten Zeit die wunderbarſten Wanderungen ge- macht: von Etſchmiadſin nach Aghthamar, von da nach Rumkaleh und Sis, dann mit den Kriegszerſtörungen in Cilicien nach Egypten, endlich im 15. Jahrhundert abermals nach Etſchmiadſin und Aghthamar, ſchließlich durch Schah Abbas nach Neu-Dſchulfa (bei Ispahan), bis ſie zuletzt wieder dauernd nach Etſchmiadſin kam. Daß ſich die Streitigkeiten der armeniſchen Patriarchate durch Jahrhunderte um dieſe vermeintliche „rechte Hand“ Gregors drehen konnten, iſt bezeichnend genug für die Ignoranz und un- chriſtliche Abgötterei der armeniſchen Hierarchie… 2 gefunden. Daß es an Bildungstrieb und Lerneifer auch ſonſt nicht fehlt, iſt gewiß ein erfreuliches Zeichen, wie ſehr man den entwickelten und gehobenen Schulunterricht zu würdigen weiß. (Vergl. C. v. Scherzer, „Smyrna“, 68.)

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 141. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/173>, abgerufen am 21.11.2024.