Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.Phrygische Landschaften. -- Sidi Ghazi. immenser Heerden, in der Ferne die kahlen Gebirgsrücken oderspärliche Wälder, die über unbewohnte Lehen schatten. In dieser Ebene lag einst das berühmte Gordium und wohnte das reich- begabte Volk der Phrygier, von deren Geschichte, Sprache und Schrift noch kein Gelehrter der Welt den Schleier der Ver- gangenheit weggezogen hat 1. Die, verwahrlosten turkmenischen Hirten als Wohnung 1 Selbst die topographische Position dieser denkwürdigen Capitale, mit ihren orgiastischen Cultussitten zur Ehre der Göttermutter Kybele, ist uns gänzlich unbekannt geblieben. Auf der Burg von Gordium stand der bekannte alterthümlich rohe Wagen der phrygischen Urkönige, Joch und Deichsel so kunstvoll durch ein Band aus Baumbast miteinander ver- bunden, daß Alexander der Große, wie die Mythe geht, keine andere Lösung fand, als den Knoten mit dem Schwerte entzwei zu hauen. (J. Braun, "Historische Landschaften", 197.) 2 Ein isolirter, gewaltiger Fels, mit mäandrisch sich windenden Orna-
menten und einer colossalen Nische, in der ganz unten die Oeffnungen zu den Grabkammern liegen. Dieser Eingang war vermuthlich einst durch einen Felsblock geschlossen, ist aber heute nicht mehr vorhanden. Die In- schriften im Innern, welche mitunter ganz eigenthümliche, ungekannte Charaktere enthalten, sind durch Verwitterung des Gesteins unleserlich geworden (stellenweise von turkmenischen Hirten auch übertüncht), Pilaster, Voluten und andere architektonische Details aber noch allenthalben er- halten. (Vgl. Texier, "Asie Mineure", pl. 56, etc.) Phrygiſche Landſchaften. — Sidi Ghazi. immenſer Heerden, in der Ferne die kahlen Gebirgsrücken oderſpärliche Wälder, die über unbewohnte Lehen ſchatten. In dieſer Ebene lag einſt das berühmte Gordium und wohnte das reich- begabte Volk der Phrygier, von deren Geſchichte, Sprache und Schrift noch kein Gelehrter der Welt den Schleier der Ver- gangenheit weggezogen hat 1. Die, verwahrloſten turkmeniſchen Hirten als Wohnung 1 Selbſt die topographiſche Poſition dieſer denkwürdigen Capitale, mit ihren orgiaſtiſchen Cultusſitten zur Ehre der Göttermutter Kybele, iſt uns gänzlich unbekannt geblieben. Auf der Burg von Gordium ſtand der bekannte alterthümlich rohe Wagen der phrygiſchen Urkönige, Joch und Deichſel ſo kunſtvoll durch ein Band aus Baumbaſt miteinander ver- bunden, daß Alexander der Große, wie die Mythe geht, keine andere Löſung fand, als den Knoten mit dem Schwerte entzwei zu hauen. (J. Braun, „Hiſtoriſche Landſchaften“, 197.) 2 Ein iſolirter, gewaltiger Fels, mit mäandriſch ſich windenden Orna-
menten und einer coloſſalen Niſche, in der ganz unten die Oeffnungen zu den Grabkammern liegen. Dieſer Eingang war vermuthlich einſt durch einen Felsblock geſchloſſen, iſt aber heute nicht mehr vorhanden. Die In- ſchriften im Innern, welche mitunter ganz eigenthümliche, ungekannte Charaktere enthalten, ſind durch Verwitterung des Geſteins unleſerlich geworden (ſtellenweiſe von turkmeniſchen Hirten auch übertüncht), Pilaſter, Voluten und andere architektoniſche Details aber noch allenthalben er- halten. (Vgl. Texier, „Asie Mineure“, pl. 56, ꝛc.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0181" n="149"/><fw place="top" type="header">Phrygiſche Landſchaften. — Sidi Ghazi.</fw><lb/> immenſer Heerden, in der Ferne die kahlen Gebirgsrücken oder<lb/> ſpärliche Wälder, die über unbewohnte Lehen ſchatten. In dieſer<lb/> Ebene lag einſt das berühmte Gordium und wohnte das reich-<lb/> begabte Volk der Phrygier, von deren Geſchichte, Sprache und<lb/> Schrift noch kein Gelehrter der Welt den Schleier der Ver-<lb/> gangenheit weggezogen hat <note place="foot" n="1">Selbſt die topographiſche Poſition dieſer denkwürdigen Capitale,<lb/> mit ihren orgiaſtiſchen Cultusſitten zur Ehre der Göttermutter Kybele, iſt<lb/> uns gänzlich unbekannt geblieben. Auf der Burg von Gordium ſtand<lb/> der bekannte alterthümlich rohe Wagen der phrygiſchen Urkönige, Joch<lb/> und Deichſel ſo kunſtvoll durch ein Band aus Baumbaſt miteinander ver-<lb/> bunden, daß Alexander der Große, wie die Mythe geht, keine andere<lb/> Löſung fand, als den Knoten mit dem Schwerte entzwei zu hauen.<lb/> (J. Braun, „Hiſtoriſche Landſchaften“, 197.)</note>.</p><lb/> <p>Die, verwahrloſten turkmeniſchen Hirten als Wohnung<lb/> dienenden Felslöcher auf dem Plateau gewinnen erſt bei dem<lb/> genannten Dorfe Sidi Ghazi an archäologiſchem Intereſſe. Ob-<lb/> gleich der Seldſchukide Alaeddin dem Nomadenhäuptling Ertho-<lb/> grul den Bezirk von Sögud (etwas nördlicher gelegen) als Lehen<lb/> angewieſen hatte, um ſeinen ſtarken Arm gegen das benachbarte<lb/> byzantiniſche Reich zu gebrauchen, ſo iſt doch nur das Terri-<lb/> torium zwiſchen Kjutachia und Angora (Engurieh) als die zweite<lb/> Heimat des fraglichen Stammes und als die Wiege der Osma-<lb/> niden zu betrachten. In der Mitte dieſer Zone liegt das<lb/> Plateau von Sidi Ghazi. Dieſer Ort ſteht heute noch, nicht<lb/> der Midas’ſchen Nekropole <note place="foot" n="2">Ein iſolirter, gewaltiger Fels, mit mäandriſch ſich windenden Orna-<lb/> menten und einer coloſſalen Niſche, in der ganz unten die Oeffnungen zu<lb/> den Grabkammern liegen. Dieſer Eingang war vermuthlich einſt durch<lb/> einen Felsblock geſchloſſen, iſt aber heute nicht mehr vorhanden. Die In-<lb/> ſchriften im Innern, welche mitunter ganz eigenthümliche, ungekannte<lb/> Charaktere enthalten, ſind durch Verwitterung des Geſteins unleſerlich<lb/> geworden (ſtellenweiſe von turkmeniſchen Hirten auch übertüncht), Pilaſter,<lb/> Voluten und andere architektoniſche Details aber noch allenthalben er-<lb/> halten. (Vgl. Texier, <hi rendition="#aq">„Asie Mineure“, pl.</hi> 56, ꝛc.)</note> halber, ſondern als Ruheſtätte eines<lb/> moslemiſchen Nationalheiligen, bei den Türken in hohem Anſehen.<lb/> Schmuckloſe Santonsgräber bedecken den weitläufigen Raum und<lb/> in einer uralten baufälligen Moſchee ſuchen kranke Gläubige<lb/> Troſt und Geneſung. Der große Todte, dem ſo bedeutender<lb/> Einfluß auf körperliche Gebreſte zugemuthet wird, war eigentlich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [149/0181]
Phrygiſche Landſchaften. — Sidi Ghazi.
immenſer Heerden, in der Ferne die kahlen Gebirgsrücken oder
ſpärliche Wälder, die über unbewohnte Lehen ſchatten. In dieſer
Ebene lag einſt das berühmte Gordium und wohnte das reich-
begabte Volk der Phrygier, von deren Geſchichte, Sprache und
Schrift noch kein Gelehrter der Welt den Schleier der Ver-
gangenheit weggezogen hat 1.
Die, verwahrloſten turkmeniſchen Hirten als Wohnung
dienenden Felslöcher auf dem Plateau gewinnen erſt bei dem
genannten Dorfe Sidi Ghazi an archäologiſchem Intereſſe. Ob-
gleich der Seldſchukide Alaeddin dem Nomadenhäuptling Ertho-
grul den Bezirk von Sögud (etwas nördlicher gelegen) als Lehen
angewieſen hatte, um ſeinen ſtarken Arm gegen das benachbarte
byzantiniſche Reich zu gebrauchen, ſo iſt doch nur das Terri-
torium zwiſchen Kjutachia und Angora (Engurieh) als die zweite
Heimat des fraglichen Stammes und als die Wiege der Osma-
niden zu betrachten. In der Mitte dieſer Zone liegt das
Plateau von Sidi Ghazi. Dieſer Ort ſteht heute noch, nicht
der Midas’ſchen Nekropole 2 halber, ſondern als Ruheſtätte eines
moslemiſchen Nationalheiligen, bei den Türken in hohem Anſehen.
Schmuckloſe Santonsgräber bedecken den weitläufigen Raum und
in einer uralten baufälligen Moſchee ſuchen kranke Gläubige
Troſt und Geneſung. Der große Todte, dem ſo bedeutender
Einfluß auf körperliche Gebreſte zugemuthet wird, war eigentlich
1 Selbſt die topographiſche Poſition dieſer denkwürdigen Capitale,
mit ihren orgiaſtiſchen Cultusſitten zur Ehre der Göttermutter Kybele, iſt
uns gänzlich unbekannt geblieben. Auf der Burg von Gordium ſtand
der bekannte alterthümlich rohe Wagen der phrygiſchen Urkönige, Joch
und Deichſel ſo kunſtvoll durch ein Band aus Baumbaſt miteinander ver-
bunden, daß Alexander der Große, wie die Mythe geht, keine andere
Löſung fand, als den Knoten mit dem Schwerte entzwei zu hauen.
(J. Braun, „Hiſtoriſche Landſchaften“, 197.)
2 Ein iſolirter, gewaltiger Fels, mit mäandriſch ſich windenden Orna-
menten und einer coloſſalen Niſche, in der ganz unten die Oeffnungen zu
den Grabkammern liegen. Dieſer Eingang war vermuthlich einſt durch
einen Felsblock geſchloſſen, iſt aber heute nicht mehr vorhanden. Die In-
ſchriften im Innern, welche mitunter ganz eigenthümliche, ungekannte
Charaktere enthalten, ſind durch Verwitterung des Geſteins unleſerlich
geworden (ſtellenweiſe von turkmeniſchen Hirten auch übertüncht), Pilaſter,
Voluten und andere architektoniſche Details aber noch allenthalben er-
halten. (Vgl. Texier, „Asie Mineure“, pl. 56, ꝛc.)
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |