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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Rußland und England in Vorder-Asien.
zahllose mächtige Curven beschreibt, denen die Linie nicht folgen
darf, soll sie nicht die Zahl der Kilometer unverhältnißmäßig
erhöhen; den Curven aber auszuweichen, d. h., zahllose Brücken
anzulegen und die vorliegenden Ufervorsprünge zu tunneliren
-- das allein schon würde das Unternehmen derart vertheuern,
daß es auf ein Jahrhundert hinaus unrentabel bliebe. Das
fragliche Comite selbst hat seiner Zeit wohl gewisse Vorzüge
dieser Linie, wie bereits oben angedeutet, anerkannt, konnte aber
über die praktische Seite dieser Frage nicht schlüssig werden.
Wie die Dinge stehen, wird die sogenannte "Eufrat-Bahn" augen-
scheinlich niemals, oder doch nur in sehr ferner, unbestimmbarer
Zeit, zu Stande kommen, wohl aber eine "Tigris-Bahn", die,
von einem nordsyrischen Hafen abgehend, durch das fruchtbare
Hoch-Mesopotamien, also an der kurdisch-mesopotamischen Grenze,
und im weiteren Verlaufe längs der persischen Grenze nach
Bagdad und dem Persischen Meerbusen führen würde. Die
eventuelle englische Interessensphäre rückt demnach um ein be-
deutendes Stück weiter nach Norden, bis an die Marken Kur-
distans hinauf, das heißt, das Gegengewicht muß an einem Punkte
gesucht werden, dessen Ingerenz bis zu der genannten Grenze
reicht. Daß ein solches Gegengewicht nur durch eine unge-
schmälerte Machtstellung am Persermeere, niemals aber in dem
so entlegenen und außer aller Communication mit den britischen
Besitzungen stehenden Tigris-Thale zu suchen sei, liegt auf der
Hand. Hiebei erwächst freilich die moralische Schwierigkeit, daß
eine Machtstellung Englands am Persischen Golf so ziemlich
gleichbedeutend mit dem Besitze der dortigen Küstenländer und,
wenn nicht aller, so doch der türkischen Provinz Irak Araki
(Bagdad) und des persischen Küstenstriches von Susistan ist.

Gegen die unleugbaren Fortschritte Englands am Schat-el-
Arab scheint Rußland in irgend einer Art Persien entgegenge-
schoben zu haben. Englischer Einfluß ist in Persien schon seit
geraumer Zeit gebrochen; er erhielt den letzten Stoß, als es
verschiedenen Intriguen gelungen war, Hrn. v. Reuter sammt
seiner theuer erkauften Eisenbahnconcession aus dem Lande zu
drängen und somit jeder indirecten englischen Speculation die
Spitze abzubrechen. Wenn der Nachfolger im Besitze jenes
Danaer-Geschenkes, General Falkenhagen, seiner kurzen Errungen-

Rußland und England in Vorder-Aſien.
zahlloſe mächtige Curven beſchreibt, denen die Linie nicht folgen
darf, ſoll ſie nicht die Zahl der Kilometer unverhältnißmäßig
erhöhen; den Curven aber auszuweichen, d. h., zahlloſe Brücken
anzulegen und die vorliegenden Ufervorſprünge zu tunneliren
— das allein ſchon würde das Unternehmen derart vertheuern,
daß es auf ein Jahrhundert hinaus unrentabel bliebe. Das
fragliche Comité ſelbſt hat ſeiner Zeit wohl gewiſſe Vorzüge
dieſer Linie, wie bereits oben angedeutet, anerkannt, konnte aber
über die praktiſche Seite dieſer Frage nicht ſchlüſſig werden.
Wie die Dinge ſtehen, wird die ſogenannte „Eufrat-Bahn“ augen-
ſcheinlich niemals, oder doch nur in ſehr ferner, unbeſtimmbarer
Zeit, zu Stande kommen, wohl aber eine „Tigris-Bahn“, die,
von einem nordſyriſchen Hafen abgehend, durch das fruchtbare
Hoch-Meſopotamien, alſo an der kurdiſch-meſopotamiſchen Grenze,
und im weiteren Verlaufe längs der perſiſchen Grenze nach
Bagdad und dem Perſiſchen Meerbuſen führen würde. Die
eventuelle engliſche Intereſſenſphäre rückt demnach um ein be-
deutendes Stück weiter nach Norden, bis an die Marken Kur-
diſtans hinauf, das heißt, das Gegengewicht muß an einem Punkte
geſucht werden, deſſen Ingerenz bis zu der genannten Grenze
reicht. Daß ein ſolches Gegengewicht nur durch eine unge-
ſchmälerte Machtſtellung am Perſermeere, niemals aber in dem
ſo entlegenen und außer aller Communication mit den britiſchen
Beſitzungen ſtehenden Tigris-Thale zu ſuchen ſei, liegt auf der
Hand. Hiebei erwächſt freilich die moraliſche Schwierigkeit, daß
eine Machtſtellung Englands am Perſiſchen Golf ſo ziemlich
gleichbedeutend mit dem Beſitze der dortigen Küſtenländer und,
wenn nicht aller, ſo doch der türkiſchen Provinz Irak Araki
(Bagdad) und des perſiſchen Küſtenſtriches von Suſiſtan iſt.

Gegen die unleugbaren Fortſchritte Englands am Schat-el-
Arab ſcheint Rußland in irgend einer Art Perſien entgegenge-
ſchoben zu haben. Engliſcher Einfluß iſt in Perſien ſchon ſeit
geraumer Zeit gebrochen; er erhielt den letzten Stoß, als es
verſchiedenen Intriguen gelungen war, Hrn. v. Reuter ſammt
ſeiner theuer erkauften Eiſenbahnconceſſion aus dem Lande zu
drängen und ſomit jeder indirecten engliſchen Speculation die
Spitze abzubrechen. Wenn der Nachfolger im Beſitze jenes
Danaer-Geſchenkes, General Falkenhagen, ſeiner kurzen Errungen-

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[XV/0019] Rußland und England in Vorder-Aſien. zahlloſe mächtige Curven beſchreibt, denen die Linie nicht folgen darf, ſoll ſie nicht die Zahl der Kilometer unverhältnißmäßig erhöhen; den Curven aber auszuweichen, d. h., zahlloſe Brücken anzulegen und die vorliegenden Ufervorſprünge zu tunneliren — das allein ſchon würde das Unternehmen derart vertheuern, daß es auf ein Jahrhundert hinaus unrentabel bliebe. Das fragliche Comité ſelbſt hat ſeiner Zeit wohl gewiſſe Vorzüge dieſer Linie, wie bereits oben angedeutet, anerkannt, konnte aber über die praktiſche Seite dieſer Frage nicht ſchlüſſig werden. Wie die Dinge ſtehen, wird die ſogenannte „Eufrat-Bahn“ augen- ſcheinlich niemals, oder doch nur in ſehr ferner, unbeſtimmbarer Zeit, zu Stande kommen, wohl aber eine „Tigris-Bahn“, die, von einem nordſyriſchen Hafen abgehend, durch das fruchtbare Hoch-Meſopotamien, alſo an der kurdiſch-meſopotamiſchen Grenze, und im weiteren Verlaufe längs der perſiſchen Grenze nach Bagdad und dem Perſiſchen Meerbuſen führen würde. Die eventuelle engliſche Intereſſenſphäre rückt demnach um ein be- deutendes Stück weiter nach Norden, bis an die Marken Kur- diſtans hinauf, das heißt, das Gegengewicht muß an einem Punkte geſucht werden, deſſen Ingerenz bis zu der genannten Grenze reicht. Daß ein ſolches Gegengewicht nur durch eine unge- ſchmälerte Machtſtellung am Perſermeere, niemals aber in dem ſo entlegenen und außer aller Communication mit den britiſchen Beſitzungen ſtehenden Tigris-Thale zu ſuchen ſei, liegt auf der Hand. Hiebei erwächſt freilich die moraliſche Schwierigkeit, daß eine Machtſtellung Englands am Perſiſchen Golf ſo ziemlich gleichbedeutend mit dem Beſitze der dortigen Küſtenländer und, wenn nicht aller, ſo doch der türkiſchen Provinz Irak Araki (Bagdad) und des perſiſchen Küſtenſtriches von Suſiſtan iſt. Gegen die unleugbaren Fortſchritte Englands am Schat-el- Arab ſcheint Rußland in irgend einer Art Perſien entgegenge- ſchoben zu haben. Engliſcher Einfluß iſt in Perſien ſchon ſeit geraumer Zeit gebrochen; er erhielt den letzten Stoß, als es verſchiedenen Intriguen gelungen war, Hrn. v. Reuter ſammt ſeiner theuer erkauften Eiſenbahnconceſſion aus dem Lande zu drängen und ſomit jeder indirecten engliſchen Speculation die Spitze abzubrechen. Wenn der Nachfolger im Beſitze jenes Danaer-Geſchenkes, General Falkenhagen, ſeiner kurzen Errungen-

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. XV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/19>, abgerufen am 21.11.2024.