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Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878.

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Anhang. Anatolische Fragmente.

Wir verlassen die Pilgerkarawane, welche mit Lobhymnen
auf Allah und Dschelaleddin sich gegen die "cilicische Pforte"
wendet, um ihre langwierige Reise fortzusetzen. Vielleicht finden
sich einige Gläubige, welche zu Nigde (bereits ganz im Gebirge
gelegen) dem Mausoleum1 einer Tochter Achmed I., die hier auf
ihrer Reise nach Mekka starb und beigesetzt wurde, einen flüchtigen
Besuch abstatten. Wir aber verbleiben im Innern Klein-Asiens
und wandern ostwärts der Grabstätte Hadschi Begtasch's jenseits
des Halys zu. Wenn das Steppengebiet gerade nicht von
raubsüchtigen Kurden durchstreift wird, so mag die Reise dahin
noch angehen, trotz der glühenden Hitze während des Sommers,
oder der Gefahren der winterlichen Schneestürme. Im andern
Falle aber mag sich die Karawane glücklich schätzen, wenn sie
unbelästigt in dem kleinen Städtchen Akserai, am Nordfuße
des erloschenen Vulkans Hassan Dagh und unweit des großen
Salzsees eintrifft. Von hier geht es dann weiter durch ein
freundliches Thal voll Obstgärten, später aber wieder durch
öde Districte mit Lava- und Basaltgängen, Tuff- und Bim-
steinbildungen aller Art2, bis das Plateau von Newschehr
erreicht ist. Wer dieses, sowohl geologisch wie historisch
so räthselhafte Gebiet zum erstenmale überblickt, der kann
sich des Gefühles schwer erwehren, als hätten hier Dä-
monen einen phantastischen, nun zu Stein gewordenen Spuk
getrieben; so weit das Auge reicht erheben sich Tausende von
kirchthurmhohen Felskegeln über die vollkommen platte, mit
Bimssteinsand und Trachytblöcken übersäete Ebene. Wenig
Reisende unserer Zeit haben sich mit diesem Naturwunder des
Nähern beschäftigt. Es ist eine ganze Troglodytenstadt, nicht
nach jener armseligen Vorstellung, wie sie uns bereits geschildert,
sondern geradezu großartig in ihrer Gesammtanlage und interessant
in jedem Detail. Sämmtliche Felskegel sind innen ausgehöhlt,
was bei der weichen Bimssteinmasse wohl nicht schwer ausführbar
war, ja, es liegt sogar die Vermuthung nahe, daß gerade dieser
Umstand die hiesigen Ursassen zur Errichtung solcher Behausungen

1 Ansicht bei Texier, a. a. O. II, pl. 94 und 108 (mit den menschen-
köpfigen Vogelgestalten.)
2 W Hamilton, "Asia minor", II.
Anhang. Anatoliſche Fragmente.

Wir verlaſſen die Pilgerkarawane, welche mit Lobhymnen
auf Allah und Dſchelaleddin ſich gegen die „ciliciſche Pforte“
wendet, um ihre langwierige Reiſe fortzuſetzen. Vielleicht finden
ſich einige Gläubige, welche zu Nigde (bereits ganz im Gebirge
gelegen) dem Mauſoleum1 einer Tochter Achmed I., die hier auf
ihrer Reiſe nach Mekka ſtarb und beigeſetzt wurde, einen flüchtigen
Beſuch abſtatten. Wir aber verbleiben im Innern Klein-Aſiens
und wandern oſtwärts der Grabſtätte Hadſchi Begtaſch’s jenſeits
des Halys zu. Wenn das Steppengebiet gerade nicht von
raubſüchtigen Kurden durchſtreift wird, ſo mag die Reiſe dahin
noch angehen, trotz der glühenden Hitze während des Sommers,
oder der Gefahren der winterlichen Schneeſtürme. Im andern
Falle aber mag ſich die Karawane glücklich ſchätzen, wenn ſie
unbeläſtigt in dem kleinen Städtchen Akſerai, am Nordfuße
des erloſchenen Vulkans Haſſan Dagh und unweit des großen
Salzſees eintrifft. Von hier geht es dann weiter durch ein
freundliches Thal voll Obſtgärten, ſpäter aber wieder durch
öde Diſtricte mit Lava- und Baſaltgängen, Tuff- und Bim-
ſteinbildungen aller Art2, bis das Plateau von Newſchehr
erreicht iſt. Wer dieſes, ſowohl geologiſch wie hiſtoriſch
ſo räthſelhafte Gebiet zum erſtenmale überblickt, der kann
ſich des Gefühles ſchwer erwehren, als hätten hier Dä-
monen einen phantaſtiſchen, nun zu Stein gewordenen Spuk
getrieben; ſo weit das Auge reicht erheben ſich Tauſende von
kirchthurmhohen Felskegeln über die vollkommen platte, mit
Bimsſteinſand und Trachytblöcken überſäete Ebene. Wenig
Reiſende unſerer Zeit haben ſich mit dieſem Naturwunder des
Nähern beſchäftigt. Es iſt eine ganze Troglodytenſtadt, nicht
nach jener armſeligen Vorſtellung, wie ſie uns bereits geſchildert,
ſondern geradezu großartig in ihrer Geſammtanlage und intereſſant
in jedem Detail. Sämmtliche Felskegel ſind innen ausgehöhlt,
was bei der weichen Bimsſteinmaſſe wohl nicht ſchwer ausführbar
war, ja, es liegt ſogar die Vermuthung nahe, daß gerade dieſer
Umſtand die hieſigen Urſaſſen zur Errichtung ſolcher Behauſungen

1 Anſicht bei Texier, a. a. O. II, pl. 94 und 108 (mit den menſchen-
köpfigen Vogelgeſtalten.)
2 W Hamilton, „Asia minor“, II.
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[184/0216] Anhang. Anatoliſche Fragmente. Wir verlaſſen die Pilgerkarawane, welche mit Lobhymnen auf Allah und Dſchelaleddin ſich gegen die „ciliciſche Pforte“ wendet, um ihre langwierige Reiſe fortzuſetzen. Vielleicht finden ſich einige Gläubige, welche zu Nigde (bereits ganz im Gebirge gelegen) dem Mauſoleum 1 einer Tochter Achmed I., die hier auf ihrer Reiſe nach Mekka ſtarb und beigeſetzt wurde, einen flüchtigen Beſuch abſtatten. Wir aber verbleiben im Innern Klein-Aſiens und wandern oſtwärts der Grabſtätte Hadſchi Begtaſch’s jenſeits des Halys zu. Wenn das Steppengebiet gerade nicht von raubſüchtigen Kurden durchſtreift wird, ſo mag die Reiſe dahin noch angehen, trotz der glühenden Hitze während des Sommers, oder der Gefahren der winterlichen Schneeſtürme. Im andern Falle aber mag ſich die Karawane glücklich ſchätzen, wenn ſie unbeläſtigt in dem kleinen Städtchen Akſerai, am Nordfuße des erloſchenen Vulkans Haſſan Dagh und unweit des großen Salzſees eintrifft. Von hier geht es dann weiter durch ein freundliches Thal voll Obſtgärten, ſpäter aber wieder durch öde Diſtricte mit Lava- und Baſaltgängen, Tuff- und Bim- ſteinbildungen aller Art 2, bis das Plateau von Newſchehr erreicht iſt. Wer dieſes, ſowohl geologiſch wie hiſtoriſch ſo räthſelhafte Gebiet zum erſtenmale überblickt, der kann ſich des Gefühles ſchwer erwehren, als hätten hier Dä- monen einen phantaſtiſchen, nun zu Stein gewordenen Spuk getrieben; ſo weit das Auge reicht erheben ſich Tauſende von kirchthurmhohen Felskegeln über die vollkommen platte, mit Bimsſteinſand und Trachytblöcken überſäete Ebene. Wenig Reiſende unſerer Zeit haben ſich mit dieſem Naturwunder des Nähern beſchäftigt. Es iſt eine ganze Troglodytenſtadt, nicht nach jener armſeligen Vorſtellung, wie ſie uns bereits geſchildert, ſondern geradezu großartig in ihrer Geſammtanlage und intereſſant in jedem Detail. Sämmtliche Felskegel ſind innen ausgehöhlt, was bei der weichen Bimsſteinmaſſe wohl nicht ſchwer ausführbar war, ja, es liegt ſogar die Vermuthung nahe, daß gerade dieſer Umſtand die hieſigen Urſaſſen zur Errichtung ſolcher Behauſungen 1 Anſicht bei Texier, a. a. O. II, pl. 94 und 108 (mit den menſchen- köpfigen Vogelgeſtalten.) 2 W Hamilton, „Asia minor“, II.

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Zitationshilfe: Schweiger-Lerchenfeld, Amand von: Armenien. Ein Bild seiner Natur und seiner Bewohner. Jena, 1878, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schweiger_armenien_1878/216>, abgerufen am 24.11.2024.